SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2009, Seite 12

Krupp-Krankenhaus in Essen war doch nicht Kirche

Jetzt in Richtung Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD)

von Tobias Michel

Am 17.3. verkündete das Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Das Betriebsverfassungsgesetz ist auf das Alfried-Krupp-Krankenhaus anzuwenden.
Nach über drei Jahren Rechtsstreit ist damit endlich klar:
— Das renommierte Alfried-Krupp-Krankenhaus in Essen war und ist keine kirchliche Einrichtung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes.
— Der Betriebsrat bestand und besteht fort.
— Die zahlreichen Betriebsvereinbarungen galten und gelten fort.
In einem Überraschungscoup zum Jahresbeginn 2006 waren die Geschäftsführer des Krankenhauses aus dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in die Diakonie Rheinland gewechselt. Sie glaubten, indem sie sich zur kirchlichen Einrichtung ausflaggten, könnten sie das störende Betriebsverfassungsgesetz verlassen.
Die Mitbewerber in anderen Kliniken beobachteten dabei ungläubig, aber durchaus interessiert, wohin so ein schlichter Schritt führen könne. Doch weder den damaligen Geschäftsführern, noch dem Alfried-Krupp-Krankenhaus hat das Abenteuer Glück und Frieden gebracht.

Silvesterüberfall

Am 3.1.2006 teilte die Geschäftsführung dem überrumpelten Betriebsrat seine Auflösung mit. Im ersten Info an die Belegschaft antwortete dieser: „Wenn aber der Arbeitgeber versucht, die Interessenvertretung auszuhebeln, dann wehren wir uns” (vgl. SoZ 2/06).
Am 16.2.2006 witterte der befasste Arbeitsrichter Oelbermann: Die „Sache sieht ein bisschen nach Flucht aus dem Betriebsverfassungsgesetz aus.” Die Kontrahenten seien ja gerichtsbekannt, weil der Betriebsrat hier oft und erfolgreich Verstöße des Arbeitgebers stoppe. Dennoch sah das Arbeitsgericht keinen Grund, die Manager zu stoppen: „Fliehen ist nicht verboten, wenn man sich in großer Gefahr befindet."
Am 29.8.2006 hob das Landesarbeitsgericht Düsseldorf auf die Beschwerde des Betriebsrats hin den Beschluss auf. Es stellte erstmals fest, dass auf die „Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Krankenhaus gGmbH” in Essen das Betriebsverfassungsgesetz Anwendung findet.
Am 5.12.2007 stimmten die Bundesarbeitsrichter in Erfurt dieser Entscheidung in weiten Teilen zu. Es stellte auch fest, zwar seien fast alle Mindestbedingungen, die die Diakonie für sich und ihre Mitglieder festgelegt hat, nicht erfüllt. Aber das LAG solle nochmal prüfen und entscheiden, ob nicht doch mit der Umfirmierung auch ein ordnender Einfluss der Kirche auf andere Art sichtbar und beweisbar geworden sei.
Erst jetzt, mit der wohl endgültigen Entscheidung des LAG Düsseldorf, kann das Krupp Krankenhaus seine seltsame Verkleidung als angeblich kirchliche Einrichtung ablegen. Die alten Geschäftsführer wurden abgelöst, und niemand rechnet damit, dass der Arbeitgeber noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen wird.
Denn auch die heutigen Manager werden nun aufatmen. Das Tarifchaos in der Kirche, die wilde Konkurrenz zwischen dem kircheneigenen Ersatztarif (AVR DW EKD) und dem NRW-Ableger BAT-Kirchliche Fassung, hat dem Betrieb zunehmend geschadet. Und die kirchlichen Sondergerichte können die zunehmenden Konflikte nicht bearbeiten, geschweige denn lösen.
Der Arbeitgeber und Ver.di stehen längst in den Startlöchern — mehr als bereit, den „Rücksturz zur Erde” mit einem Übergang in den TVöD zu besiegeln.
Die Gewerkschaft Ver.di hat von Beginn an den Betriebsrat in diesem existenziellen Rechtsstreit materiell, mit Sachkundigen und viel Solidarität unterstützt. Jetzt wird Ver.di endlich mit einem Tarifvertrag für die Beschäftigten belohnt.
Die Beschäftigten werden auch belohnt: Sie warten seit 2005 auf eine Entgelterhöhung und verlässliche Arbeitsbedingungen. Zuerst muss der Betriebsrat aber die Trümmer der vergangenen Jahre aufräumen.
Noch nicht alle Fragen sind beantwortet: Das gerade erst im Oktober in „Alfried Krupp Krankenhaus Essen- Steele” umgetaufte Lutherhaus ist eine 100%ige Tochter des Rüthenscheider Mutterbetriebs.
Wie lange kann es noch als angebliche kirchliche Einrichtung außerhalb des Betriebsverfassungsgesetzes gehalten werden? Und was wird nun aus den Mitarbeitervertretungen in den beiden Betrieben?


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