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Auf Einladung von Mitgliedern der US-amerikanischen
„Sanctuary-Bewegung” reisten sechs Mitglieder der Ökumenischen
Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche” und des Internationalen
Versöhnungsbunds im November 2008 nach Tucson (Arizona), um die prekäre Situation an
der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze kennenzulernen, sich über gemeinsame Erfahrungen
in der Arbeit mit Flüchtlingen auszutauschen und um Möglichkeiten internationaler
Zusammenarbeit auszuloten. Im April 2009 ist der Gegenbesuch einer amerikanischen Delegation
geplant.
Die 3100 Kilometer lange
Grenze zwischen den USA und Mexiko wird so häufig überquert wie wohl keine andere:
pro Jahr 250 Millionen legale Grenzübertritte — aber auch über eine halbe
Millionen illegale. Der Migrationsdruck nach Norden ist hoch, die Ursachen liegen auf der
Hand: Es ist eine Grenze zwischen der sog. Ersten und Dritten Welt, zwischen Wohlstand und
Armut, Macht und Ohnmacht. Fast die Hälfte der 103 Millionen Mexikaner lebt in Armut,
viele ohne Arbeit und Lebensperspektiven. Das Lohnniveau liegt bei einem Zehntel von dem der
USA. Also versuchen Hunderttausende, in die USA, das gelobte Land, abzuwandern — legal
oder illegal.
Aber die USA schotten sich
— ähnlich wie die EU an ihren Außengrenzen — massiv gegen
Armutsmigranten ab. Die Grenze wird scharf bewacht und ist schwer zu überwinden. Die
längste Trennlinie bildet der Rio Grande, der Rest geht überwiegend durch
Wüsten und wird durch Mauern und Zäune gesichert. Ein technisch hochgerüsteter
Grenzschutz — die Border Patrol — kontrolliert das Gebiet, vor allem in der
Nähe großer Städte.
Migranten müssen auf
unwirtliche Gebiete in der Grenzregion ausweichen, die endlose Sonorawüste. Das ist sehr
gefährlich: Zwischen 1998 und 2004 sind hier über 2000 Migranten ums Leben gekommen;
im letzten Jahr allein 387. Sie verdursten auf den tagelangen Märschen in der Gluthitze
— im Sommer steigen die Temperaturen über 45 Grad, verletzen sich an den
Felsenklippen oder erkranken und werden von ihren Schleppern gnadenlos zurückgelassen.
Oft sind es Kinder, Ältere oder (schwangere) Frauen. Ihre Leichen werden in der
Wüste gefunden.
An manchen Orten sehen wir
„Schreine”, die an die Opfer erinnern: ein Holzkreuz, Steine, auf die die Namen
der Verstorbenen gemalt sind, dazu ihre Schuhe, Kleidung und andere Habseligkeiten.
Erschütternde Zeugnisse von menschlichen Tragödien — Zeugnisse aber auch eines
globalen Unrechtsystems, das die Ressourcen dieser Erde so ungleich verteilt.
Wir machen aber auch
ermutigende Erfahrungen, lernen Menschen kennen, die dieses schreiende Unrecht nicht
hinzunehmen bereit sind. 2004 z.B. wurde die Organisation No More Deaths ("Nicht noch mehr
Tote") gegründet, die der Not und dem Sterben an der Grenze ein Ende setzen will
— durch praktische Hilfe für Migranten in Not, durch Bildungs-,
Öffentlichkeits- und politische Arbeit. Wir fahren mit Freiwilligen von No More Deaths in
robusten Geländewagen durch die Wüste.
Ich bin bei Ed eingestiegen,
einem pensionierten Geologieprofessor, der die Gegend sehr genau kennt. Er hat sie
kartografisch erfasst und die schmalen Migrantenpfade darin eingezeichnet. Ein Navi hilft ihm,
die Pfade zu finden. Mit wissenschaftlicher Akribie hat er ein System entwickelt, mit dem er
und seine Helfer herausfinden, in welcher Region der Wüste gerade Migranten unterwegs
sind und möglicherweise Hilfe brauchen.
Ed und die Freiwilligen von
„No More Deaths” sind regelmäßig dort, verfolgen genau, welche Wege am
stärksten von Migranten benutzt werden. Dorthin laufen auch wir und stellen an genau
festgelegten Orten Wassergallonen ab, führen Buch darüber, wieviele Gallonen das
letzte Mal verbraucht wurden, beschriften die neuen Gallonen mit Datum und Standort.
Unsere Begleiter sprechen
Spanisch, rufen in die Wüste, fragen, ob da migrantes sind, die Hilfe brauchen; sie seien
eine christliche Organisation usw. Wir fahren und laufen zu sieben verschiedenen Stellen, um
Wasser abzustellen. Am Schluss kommen wir an der ersten Stelle wieder vorbei: sieben von zehn
Gallonen sind bereits verschwunden!
Mitarbeiter von No More Deaths
sind schon oft mit der Border Patrol in Konflikt geraten, haben sogar diverse
Gerichtsverhandlungen hinter sich. Aber sie lassen sich dadurch nicht abhalten, Menschen zu
retten, Menschenrechte zu schützen. Ihre plausible Antwort auf die Anklagen ist die
Parole: „Humanitarian Aid is not a Crime!” Sie haben schon viele Kranke mit
Beinbrüchen und schlimmen Fußverletzungen, akutem Wassermangel und Magenkrankheiten
gerettet — sie sind ihrem Ziel „No More Deaths” ein Stück näher
gekommen!
Der Beweggrund für ihr
Engagement sind ihre christlichen Überzeugungen. Immer wieder hören wir den Verweis
auf Matthäus 25,35ff.:
”..ich bin hungrig
gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu
trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen ... Ich bin krank
gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir
gekommen ... Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr
mir getan."
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