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Bricht als nächstes der Weltmarkt zusammen? Glaubt man
liberalen Wirtschaftskommentatoren, droht ein wiedererwachter Protektionismus, den Weltmarkt
zu zerstören.Obwohl kaum jemand ernsthaft eine derartige Politik verfolgt, ist die Gefahr
durchaus real und sie geht von der weltweiten Überproduktion aus: Sollten nach den
weltweiten Kreditketten auch noch globale Zulieferketten reißen, kann der Weltmarkt
zusammenbrechen.
Die liberalen Strategien der
Krisenbekämpfung — Verdrängungswettbewerb und Abwälzung der Krisenlasten
auf die Arbeiterklasse — tragen allerdings mehr dazu bei als Klauseln, die die
einheimische Industrie stärken und Entlassungswellen zu vermeiden suchen. Sie können
den Übergang von der Krise zum nächsten Konjunkturaufschwung, zweckoptimistisch auf
das Ende dieses oder den Beginn des nächsten Jahres datiert, ernstlich behindern.
Nachdem der Börsen- und
Bankenkrach den Herren des Geldes im vergangenen Herbst vorübergehend die Sprache
verschlagen hat und sie sich für einen kurzen Moment nicht sicher waren, ob die
Steuerzahler für sie in die Bresche springen würden, fühlen sie nun wieder
Oberwasser. Zumindest soweit, dass sie für den Fall, dass der angekündigte
Aufschwung auf sich warten lässt, Schuldige präsentieren können: wohlmeinende,
aber gleichwohl völlig fehlgeleitete Wirtschaftspolitiker, die Staatsgelder für
industriepolitische Zwecke missbrauchen und dadurch die globalen Wettbewerbsbedingungen
verzerren, statt sie weiterhin in den Finanzsektor zu pumpen — ohne Verstaatlichungen
versteht sich.
In einem Punkt haben die
liberalen Eiferer freilich Recht: Ein Zusammenbruch des Weltmarkts könnte
tatsächlich dazu beitragen, dass die gegenwärtige Rezession sich vertieft und in
eine Depression übergeht. Ansonsten aber sind sie schief gewickelt.
Dem nüchternen Blick kann nicht entgehen, dass der Staat auch zu den Glanzzeiten des
Weltmarkts tüchtig bei der Zu- und Verteilung von Marktanteilen mitgemischt hat. Wer je
Kommunal- und Landespolitiker mit Steuerstundung und Gratisinfrastruktur um die
Investitionsgunst privaten Kapitals hat buhlen sehen, wird nie an den staatsfreien Markt
geglaubt haben.
Und auch Bundespolitiker haben
unter dem Mantel einer wettbewerbsneutralen Steuerpolitik eifrig politische Standort- oder
genauer: Profitpflege betrieben.
Die kontinuierliche
Einmischung des Staates ins weltwirtschaftliche Geschehen ging weit über die Aushandlung
internationaler Geschäftsbedingungen hinaus; darüber sollte auch der Verweis auf das
mühselige Zurückdrängen von Einfuhrzöllen nicht hinwegtäuschen.
Viele liberale Kommentare
dieser Tage lesen sich ja, als stünde uns nun nach einer versehentlich in die Krise
geratenen Phase des Freihandels die Rückkehr des Schutzzolls ins Haus. Damit ist nun aber
bestimmt nicht zu rechnen.
Das von Woodrow Wilson am Ende
des Ersten Weltkriegs verkündete und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch praktisch
dominierende Kapitalismusmodell mit ungehinderten Marktzugängen sah in Schutzzöllen
von Anfang an ein Überbleibsel europäischer Regulierungswut, die echt amerikanischer
Pioniergeist auf den Misthaufen der Geschichte zu befördern habe.
Die historische Mission war
mit praktischem Geschäftssinn gepaart: Für viele arme Länder, die gerade erst
ihre politische Unabhängigkeit erlangt hatten, aber weder über eine nennenswerte
inländische Steuerbasis noch über einen entsprechenden Steuerstaat verfügten,
waren Einfuhrzölle in den ersten Nachkriegsjahrzehnten eine wichtige, für manche
sogar die wichtigste Einnahmequelle.
So hatte sich der
amerikanische Liberalismus die postkoloniale Freiheit aber nicht gedacht und machte sich
sogleich daran, den Schutzzoll auch naseweisen Drittwelt-Regierungen auszutreiben, nachdem man
schon die europäischen Freunde zum Freihandel bekehrt hatte.
Solange die Sowjetunion, die
Volksrepublik China und deren Verbündete ihre Türen dem amerikanischen Kapital noch
nicht geöffnet hatten, schien den Regierenden in Washington das Aufpäppeln
antikommunistischer Frontstaaten — Deutschland, Japan, Südkorea und Taiwan —
angeraten. Sie wurden Exportstaaten, die einen modernen Merkantilismus pflegen — die USA
boten ihnen die Möglichkeit zum exportorientierten Wachstum. Übersteigen die
Ausfuhren eines Landes nämlich seine Importe, können Unternehmen ihren Umsatz und
Gewinn über das inländische Nachfragevolumen hinaus steigern. Ein klarer
Wachstumsimpuls für dieses Land — der aber mit einem Nachfrageentzug anderswo
einhergeht, weil die Ausfuhrüberschüsse eines Landes die Außenhandelsdefizite
eines anderen Landes darstellen.
China schloss sich der
merkantilistischen Aufsteigerclique in den 80er Jahren an, nachdem Deng Xiaoping die
politischen Beziehungen, die sein Erzrivale Mao mit den USA eingefädelt hatte, zu einem
Transpazifikdeal ausbaute, der die Entstehung einer chinesischen Bourgeoisie und Mittelklasse
vorsah und im Gegenzug die amerikanische Arbeiterklasse unter Konkurrenzdruck setzen sollte.
Je nach politischer
Großwetterlage dominierte in den Exportstaaten das Ziel der Einbindung oder der
Zurückdrängung der heimischen Arbeiterklasse. Zunächst noch ohne den
Bundesgenossen China produzierten sie Exportüberschüsse, die zum Zerbrechen des
Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse beitrugen.
Später trugen die
Kapitalexporte, einhergehend mit Überschüssen in der Handelsbilanz, zur
Aufblähung der internationalen Finanzmärkte bei. Kontinuierlich förderten sie
Aufbau und Reproduktion von Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, die die zu
realisierenden Gewinne einschränkten und in ein krasses Missverhältnis zu den
Gewinnvorgaben des ins Kraut schießenden Geldkapitals setzte.
Hierin hat die
gegenwärtige Krise ihren Ursprung und hier liegen auch die Ursachen für den
möglichen Übergang in eine Depression.
Die weltweite
Überproduktionskrise führt gegenwärtig zu einem massiven Rückgang der
privaten Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. Logisch, dass dabei auch die
Nachfrage nach Importen sinkt. Dies spielt sich in allen Ländern ab, daher sinkt das
Welthandelsvolumen. Dabei handelt es sich um ein Symptom der Krise, nicht um eine Folge
protektionistischer Maßnahmen.
Dennoch, und ungeachtet der schlechten theoretischen Begründung, sollte die Linke
liberale Warnungen vor Protektionismus und einem Zusammenbruch des Weltmarkts ernst nehmen.
Sollten nach den weltweiten Kreditketten nun auch noch globale Zulieferketten reißen, ist
ein solches Szenario nicht auszuschließen.
Zu beachten ist dabei
freilich, dass weniger Obamas kurzzeitig und mit propagandistischer Absicht ventilierte
„Buy American"-Klauseln oder Steinbrücks halbherzig verfolgte Verstaatlichungen
den Welthandel bedrohen als die liberalen Strategien der Krisenbekämpfung. Wer die
Vergabe von Staatsgeldern — gegenwärtig bei Opel und der Konzernmutter General
Motors heiß diskutiert — an Entlassungen und Lohnsenkungen knüpft, heizt den
Merkantilismus noch richtig an.
Der über Jahrzehnte sich
vollziehende Verdrängungswettbewerb könnte unter den Bedingungen weltweit sinkender
Nachfrage und einer verschärften Beggar-thy-neighbour-Politik (zu deutsch: Bring deinen
Nachbarn an den Bettelstab) in eine Vernichtungskonkurrenz umschlagen. In diese Richtung
wirken nicht nur staatlich subventionierter Lohnraub und hierdurch forcierte
Unterbietungswettläufe, sondern auch eine Währungskonkurrenz, die auf einem kleiner
werdenden Weltmarkt versucht, durch Abwertung der eigenen Währung den Export zu
fördern.
Keines der kapitalistischen
Kernländer, die im Gegensatz zu Peripheriestaaten politisch auf den Wechselkurs ihrer
Währungen einwirken können, verfolgt gegenwärtig eine solche Strategie. Wie bei
einem Duell belauern sie sich gegenseitig und warten darauf, dass das Gegenüber die
Spannung nicht mehr erträgt und sich endlich bewegt.
Im Unterschied zum Duell sind
die Sekundanten nicht so sehr mit der Überwachung der Spielregeln beschäftigt
— die gelten auf dem kapitalistischen Weltmarkt weniger als unter Aristokraten und
Westernhelden — sondern mit der Verkündung liberaler Freihandelsideen, deren
Befolgung die Schießerei angeblich überflüssig macht.
Derweil hat die Finanzkrise
Randstaaten wie Island, die baltischen Staaten, Ungarn und die Ukraine, sogar schon die
Regionalmacht Russland zum Verpulvern ihrer Währungsreserven gezwungen, ohne dass dies
den Absturz ihrer Währungen hätte verhindern können. Diese Abwertungen werden
kaum den merkantilistischen Showdown auslösen, weil der Weltmarktanteil dieser
Länder trotz der Krise in den Zentren immer noch gering ist. Sie könnten aber die
angespannte Ruhe unter den Hauptländern stören und diese aus der Deckung locken.
Lange erwartet und, wenn es
dann soweit ist, doch überraschend werden dann die Freihandelsmäntel abgeworfen und
spontane Koalitionen gebildet. Der neoliberale Globalisierungsblock löst sich in
verfeindete Blöcke auf. Am Ende will es natürlich wieder keiner gewesen sein, und
irgendwie stimmt das ja auch. Was zum Showdown treibt, ist ja nicht kaufmännisches
Kalkül, das den Wert ungehinderten Marktzugangs sehr genau zu schätzen weiß,
sondern ein auf Überakkumulation ruhender Weltmarkt.
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