SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, April 2009, Seite 18

Dokumentation:

Rufmord als Mittel der Kritik

Der Fall Dierkes und die Tabuisierung von Israelkritik

Der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) war die Sache einigen Aufwand wert: Innerhalb von vier Tagen veröffentlichte sie gleich 22 Artikel gegen den „Antisemiten” Hermann Dierkes. Und die Israelfraktion in der Linkspartei haute sogleich in dieselbe Kerbe, in der Hoffnung, einen Linken mehr loswerden zu können. Was wirklich gelaufen ist, kann hier nachgelesen werden
Im Bericht über die Veranstaltung in Duisburg-Hamborn am 18.2., mit der alles anfing, heißt es:


Hermann Dierkes, OB-Kandidat der LINKEN: „Wir müssen mutig die Wahrheit verbreiten. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass im Namen des Holocaust und mit Unterstützung der Bundesregierung derart schwere Menschrechtsverbrechen begangen und geduldet werden. Jede und jeder kann z.B. durch den Boykott von israelischen Waren dazu beitragen, dass der Druck für eine andere Politik verstärkt wird. Während des furchtbaren Angriffs der israelischen Armee auf den Gaza-Streifen haben die norwegischen und griechischen Gewerkschaften mit ihrer Weigerung, israelische Schiffe zu laden, gezeigt, was möglich ist."

www.die-linke-duisburg.de/ortsverbaende/hamborn/

Die WAZ

Das blieb in der WAZ von Dierkes‘ Auslassungen über die Boykott-Kampagne übrig:

Natürlich weiß ich, wo der Spruch herkommt: „Deutsche, kauft nicht bei Juden”, sagte Dierkes, in Anlehnung an die Tatsache, dass Terror und Massenmord an Deutschen jüdischen Glaubens vom Nazi-Regime einst mit einem Boykott eingeleitet wurden: „Klar bekommt so eine Geschichte leicht einen Beigeschmack.”

(24.2.2009)
Zwei Tage später versuchte die WAZ, die BDS-Kampagne herunterzuspielen:

Bereits gestern sagten deutsche Teilnehmer und Mit-Organisatoren des Gipfels gegenüber der WAZ, dass es in der Erklärung [des WSF] keinen Aufruf zum Boykott israelischer Waren gegeben habe, es sei lediglich von einem Aktionstag die Rede. Außerdem sei die Erklärung keinesfalls bindend für alle Gipfel-Teilnehmer, wie Frauke Distelrath, Pressesprecherin des Mitorganisators Attac sagt: „Diese Erklärung enthält nichts Verpflichtendes.” Attac Deutschland rufe jedenfalls nicht zu einem Boykott von Israel auf.

(26.2.2009)

Die Drahtzieher

Die Pressekampagne der WAZ wurde von einem ehemaligen Mitglied der LINKEN angestoßen, der das Material Werner Jurga zuspielte, Wahlhelfer des OB-Kandidaten der SPD, Jürgen Brandt, und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. So stellt er es jedenfalls in seinem Blog dar.
Am 1.März 2009 kommentierte Thomas auf www.ruhrbarone.de/dierkes-wirft-hin/#comments:

Ich habe die Dierkes-wird-abtreten-müssen-Nummer ja in der Regie obwaltet, obschon ich der Linkspartei wegen des Claimes mit dem Sozialen sympathisierend verbunden bin.
Das mit der Dierkesnummer ging so: Ich las zufällig die Website des Ortsvereines der Duisburger Linken, auf der mit dieser inkriminierten Äußerung zitiert war. Ich dachte: So geht das ganz und gar nicht.
Dann hab ich dem CvD vom Tage der Ruhrbarone mitgeteilt. (Und nach der Fama soll ich diese ja auch mitbegründet haben. (http://www.ruhrbarone.de/ chefsache/)
Dann hab ich den Link Werner Jurga geschickt.
Dann hab‘ ich den Link guten Kollegen geschickt.
Dann hab ich Dierkes und dessen Pressesprecher — ich spiele immer mit offenen Karten — eine Strompost geschickt, mit den Worten: ‘mal schauen, wer sich in den nachrichtenarmen Zeiten des Karnevals noch so dafür interessiert. Ich freue mich auf euer Krisenmanagement‘.
In den üblichen Abläufen hab‘ ich dann mal ein wenig Regie geführt, gute Akteure machen mit einem guten Regisseur halt gute Stücke auf der Bühne; was man so macht mit Herzblut. Ähem, Herzlblut. (-;
Dann hab ich die Sentenz vom Aschermittwoch auf den Baronskis geschrieben.
Aber — mehr war das nicht.
Dierkes wäre ohnehin gefallen. Mit dem O-Ton. Früher oder später. Der hat sich um Kopf um Kragen geredet. Sowas geht nicht an.
Also — No big. Von meiner Seite.

Am 26.2.2009 schreibt Werner Jurga auf www.jurga.de/html/dierkes__rucktritt.html:

Rufmordkampagne ... Sie gleicht einer öffentlichen Steinigung
Mit Rufmord dürfte er [Dierkes] wohl seine Darstellung als Antisemiten meinen — ja, da war ich möglicherweise der erste. Und eine Kampagne — ja, die hat es unzweifelhaft gegeben. Und daran war mir auch sehr gelegen, worüber sich auch Hermann Dierkes im Klaren ist ... Und Andreas Scholz, ein Blogger bei den Ruhrbaronen, weiß auch ziemlich genau, warum ich so böse Sachen mache. Meine Erklärung gegenüber den Ruhrbaronen erklärt er augenzwinkernd so:
Na also. So geht das. Wenn man weiß, dass es keine Stichwahl bei der OB-Wahl gibt, ist ein aussichtsreicher linker Kandidat neben einem Brandt-Beschleuniger ziemlich störend. Und was gibt es wirksameres als die Antisemitismuskeule in D. Das gibt doch bestimmt ne Belohnung für Dr.Jurga ;-)

Das Weltsozialforum

Der Aufruf der Versammlung der sozialen Bewegungen von Belém bezieht sich explizit auf die Boykottkampagne:

Im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise werden den Menschen systematisch Rechte vorenthalten. Die wilde Aggression der israelischen Regierung gegen das palästinensische Volk ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht und läuft auf ein Kriegsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinaus; sie symbolisiert die Vorenthaltung von Rechten gegenüber einem Volk, was auch in anderen Teilen der Welt zu beobachten ist. Die schändliche Straflosigkeit muss gestoppt werden. Die sozialen Bewegungen bekräftigen ihre aktive Unterstützung für den Kampf des palästinensischen Volkes sowie für alle Maßnahmen, die sich gegen die Unterdrückung von Völkern weltweit richten. [...]
Folglich verpflichten wir uns [...] (zur) Mobilisierung gegen Krieg und Krise am 30.März, dem Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk, der Unterstützung von Boykott, Investitionsstopp (Disinvestment) und Sanktionen gegen Israel.

Das Ziel der Boykottkampagne wird ausführlicher beschrieben in der Erklärung der „Versammlung gegen den Krieg, Militärbasen und Atomwaffen":

Damit dieser Tag ein historischer Schritt für diese Anti-Apartheid-Bewegung wird, wollen wir uns konzentrieren auf:
1) BDS-Aktionen gegen israelische Konzerne und solche Multis, die die Besatzung und die israelische Apartheid unterstützen; gegen den Freihandel und Präferenzabkommen mit Israel; gegen Waffenhandel mit Israel;
2) strafrechtliche Aktionen, um der Straffreiheit Israels ein Ende zu setzen und seine Kriegsverbrecher vor nationale und internationale Strafgerichte zu stellen.
link zur Quelle

DIE LINKE

Die Landessprecher von NRW, Katharina Schwabedissen und Wolfgang Zimmermann, haben sich mit der nachstehenden Erklärung an die Parteimitglieder gewandt:


Wir teilen die Auffassung vieler Menschen in- und außerhalb der Partei, dass die Unterstützung eines Boykotts gegen die israelische Regierung und Wirtschaft nicht nur vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte schwierig ist. Ein Boykott gegen Israel ist keine Position der LINKEN und soll es auch nicht werden. Ein Boykott muss in erster Linie der deutschen und internationalen Rüstungsindustrie gelten. Wir fordern einen sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen an beide Konfliktparteien und einen sofortigen Stopp des Krieges gegen die Menschen in Gaza. Das Existenzrecht Israels ist für uns ebenso unantastbar, wie das Existenzrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser.
Wir erleben mit der Presseberichterstattung gegen unsere Partei in diesem Fall erneut, was uns von Seiten der bürgerlichen Medien in den kommenden Monaten blühen wird. [...] Immer wieder werden dabei Personen der LINKEN und mit diesen die gesamte Partei zur Zielscheibe von Pressekampagnen, denen es nicht um die Menschen im Krieg oder um reaktionäre Tendenzen wie etwa den Antisemitismus geht, sondern darum, uns als politische Kraft mit allen Mitteln zu bekämpfen. [...]
Wir können verstehen, dass Hermann von seiner Kandidatur zurücktritt, weil er dem Druck nicht standhalten kann: Aber wir bedauern seinen Rücktritt sehr und hoffen, dass er die Ruhe und die Kraft findet, weiterhin auch mit und in der Partei DIE LINKE für eine solidarische Welt zu kämpfen, in der die Menschenrechte für alle gelten und von allen geachtet werden!

(26.2.2009)

Das Forum demokratischer Sozialismus erklärt:

Boykottaufrufe verbieten sich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und treffen die Zivilbevölkerung. [...] Wir unterstützen die Forderung von amnesty international nach dem Stopp aller Waffenlieferungen nach Israel und an die Hamas und teilen auch deren Vorwürfe gegen über Israel und der Hamas. Die Kriegs- und Blockadepolitik der israelischen Regierung gegen den Gaza-Streifen verdient ebenso internationale Kritik wie der fortgesetzte Raketenbeschuss Israels durch die Hamas. Dabei geht es um eine Kritik an der Verletzung des Völkerrechts durch beide Seiten.

(25.2.2009)
link zur Quelle
Auf dem Europaparteitag in Essen wollten es zahlreiche Vertreter des rechten Parteiflügels nicht dabei belassen, dass ein Antrag, der Solidarität mit Hermann Dierkes einforderte, nicht befasst wurde. Sie unterstützen „die öffentliche Empörung” gegen Dierkes, der ihnen nicht mal eine Namensnennung wert ist.

In der vergangenen Woche hat ein Duisburger Kommunalpolitiker mit Verweis auf den Krieg im Gaza-Streifen zum Boykott israelischer Waren aufgerufen. Dies hat zu Recht öffentliche Empörung hervorgerufen. In einer Erklärung der Bundesebene wurde klar gestellt: Mit Boykottaufrufen ist eine Lösung im Nahost-Konflikt nicht zu erreichen. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau verdeutlichte, dass solche Äußerungen „angesichts der deutschen Geschichte unsägliche Assoziationen wecken und finsterste Klischees bedienen”
Der Kommunalpolitiker trat von seiner Kandidatur zurück. Damit hätte diese unerfreuliche Angelegenheit nicht mehr Thema des Bundesparteitages werden müssen.
Stattdessen wurde an unseren Bundesparteitag ein Antrag gerichtet, mit dem die Kritik an dem Kommunalpolitiker gerügt werden sollte, da dies ein Mangel an Solidarität darstellen würde. Dieser Antrag wurde mit Nichtbefassung beschieden.
Äußerungen, die antisemitisch sind oder wirken, sind für uns gänzlich inakzeptabel und wir werden sie auch künftig immer zurückweisen, mit und ohne Erlaubnis von Parteigremien. Und das erwarten wir selbstverständlich von unseren Gremien und SpitzenpolitikerInnen. Gerade eine Partei, die sich dem Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus und Rassismus programmatisch verschrieben hat wie die Linke, darf sich hier keine Zweideutigkeiten erlauben.

Dietmar Bartsch (Bundesgeschäftsführer), Cornelia Ernst (Vorsitzende Die Linke Sachsen), Klaus Ernst (stv. Parteivorsitzender), Tina Flauger (Vorsitzende Linksfraktion Niedersachsen), Wulf Gallert (Vorsitzender Linksfraktion Sachsen-Anhalt), Andre Hahn (Vorsitzender Linksfraktion Sachsen), Matthias Höhn (Vorsitzender Die Linke Sachsen- Anhalt), Kerstin Kaiser (Vorsitzende Linksfraktion Brandenburg), Katja Kipping (stv. Parteivorsitzende), Knut Korschewsky (Vorsitzender Die Linke Thüringen), Klaus Lederer (Vorsitzender Die Linke Berlin), Wolfgang Methling (Vorsitzender Linksfraktion Mecklenburg- Vorpommern), Thomas Nord (Vorsitzender Die Linke Brandenburg), Petra Pau (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages), Bodo Ramelow (stv. Vorsitzender Linksfraktion im Bundestag), Peter Ritter (Vorsitzender Die Linke Mecklenburg-Vorpommern), Halina Wawzyniak (stv. Parteivorsitzende), Gabi Zimmer (Sprecherin der Linken im EP), Julia Bonk (MdL, Sachsen), Matthias W. Birkwald (Köln), Steffen Bockhahn (stv. Vorsitzender Mecklenburg-Vorpommern), Elke Breitenbach (MdA, Berlin), Angelika Gramkow (PV, Oberbürgermeisterin Schwerin), Thomas Händel (Bayern), Caren Lay (MdL Sachsen, PV, fds), Stefan Liebich (MdA Berlin, fds), Inga Nitz (MdBB Bremen, PV, fds), Helmuth Markov (MdEP), Karin Plagge (Bochum) Katina Schubert (Berlin), Uwe Vorberg (Bochum), Udo Wolf (MdA, Berlin, fds)
(1.3.2009)
linkJüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost
Der Ev.Kirchenkreis Duisburg hatte Hermann Dierkes zu einer kommunalpolitischen Podiumsdiskussion eingeladen, und danach mit einem Offenen Brief wieder ausgeladen. Darauf erwiderte die Jüdische Stimme mit einer Offenen Replik.



Nach Lage der Dinge handelt es sich um einen Vorgang, der keineswegs nur als Duisburger Provinz-, sondern als bundesweiter Demokratieskandal bedauert werden muss. Dabei wird Dierkes‘ Position von breiten Teilen der internationalen sozialen Bewegungen — darunter auch unzählige christ- und sogar evangelisch-kirchliche und selbstverständlich viele jüdische Organisationen — getragen. [...]
Superintendenten und Leiter kirchlicher Einrichtungen in Deutschland irren, wenn sie glauben und verbreiten, dass die von den Nazis ausgegrenzten, vertriebenen, geschädigten und ermordeten Juden mit Israel gleichzusetzen sind. Auch sehen sich viele der heute lebenden Juden und Jüdinnen keineswegs durch Israel vertreten. Als Juden und Jüdinnen in Deutschland halten wir es für hochproblematisch, alle Juden und Jüdinnen in einen Topf zu schmeißen. Es entspricht einer stereotypen Einstellung, die uns nur als homogene Gruppe zu sehen fähig ist. Ein Zugang, der jeder Form des Rassismus zu Grund liegt. Um es klar zu sagen: Ihren Bezug auf „unsere (?) jüdischen Glaubensgeschwister” finden wir anmaßend! [...]
Als Mitglieder der Jüdischen Stimme [...] weisen wir das Ansinnen, den Aufruf zum Boykott israelischer Waren als antisemitisch zu diskreditieren, auf das Schärfste zurück! [...]
Die Wählbarkeit der Partei DIE LINKE halten wir, angesichts der offenkundig undemokratischen und mit Solidarität unvereinbaren Dirigismen von oben, für mehr als fraglich. Herr Dierkes muss rehabilitiert werden!

(6.3.2009)



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