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Der Verlauf der internationalen Demonstration war nicht nur Ergebnis
polizeilicher Repression, sondern auch der Widersprüche in der europäischen Antimilitarismus- und
Friedensbewegung.
Gut ein Jahr lang wurden die Aktionen gegen den NATO-Geburtstag in Straßburg und Baden-Baden/Kehl
von der europäischen Friedens- und Antimilitarismusbewegung vorbereitet.
In der BRD war es gelungen, ein Bündnis
zwischen antimilitaristischer Bewegung und traditioneller Friedensbewegung zu bilden; der
„Vorbereitungskreis NO to NATO” umfasste Attac, DFG VK, Informationsstelle Militarisierung
(IMI), Interventionistische Linke (IL), DIE LINKE, den Kasseler Friedensratschlag, Widerstand der beiden
Ufer u.a.
Die europäischer Ebene organisierte das
International Coordination Commitee (ICC), in dem aus Frankreich das PCF-nahe „Mouvement de la
Paix” und die NPA (Neue Antikapitalistische Partei) saßen, außerdem Vertreter aus
Großbritannien, Belgien, Griechenland, Italien usw.
Die Projekte für Straßburg waren
Camp, Gegenkongress, Aktionen des zivilen Ungehorsams (Blockaden) und eine zentrale Großdemonstration
am 4.April. Die Demo war dabei das Projekt, auf das sich alle als zentralen Ausdruck des Widerstands gegen
die NATO einigten. Sie durfte von den anderen Projekten auf keinen Fall gefährdet werden. Vor allem die
traditionelle Friedensbewegung und Attac versuchten mit Bezug darauf, die Blockaden mehrmals in Frage zu
stellen.
Die IL und die Gewaltfreien — War
Resisters International und Bombspotting, Belgien — überzeugten fast das gesamte ICC vom
Blockadeprojekt, mit der Auflage, dass ihr Ablauf auf keinen Fall die Demo gefährden dürfe.
Sowohl im bundesdeutschen Vorbereitungskreis
als auch im ICC wurden trotz des hohen Stellenwerts der Demo niemals deren organisatorische Struktur, die
möglichen Szenarien und die Absicherung gegen äußere wie innere Angriffe diskutiert.
Initiativen u.a. der IL dazu wurden vom ICC mit dem Hinweis erledigt: „Jeder Demoblock organisiert
sich und seine Ordner selbst.” Stattdessen konzentrierten sich die Auseinandersetzungen darauf, wer
von den drei französischen Linksparteien wann und wo reden durfte.
Die Präfektur in Straßburg hatte bereits im Februar verfügt, dass nur eine Demoroute im
Süden Straßburgs, weit weg von Innenstadt und NATO Kongressort, möglich sei. Die lokale
Straßburger Verhandlungskommission hatte dies akzeptiert. Auf der NO-NATO-Aktionskonferenz Anfang
Februar wurde dieses Agreement verworfen und bekräftigt, dass in der Innenstadt demonstriert wird.
Später wurde — ohne vorherige Diskussion im ICC — der von der Präfektur genehmigte
Auftaktkundgebungsplatz veröffentlicht, ein Parkplatz nahe der Europabrücke.
Auf den ICC-Sitzungen am 1. und 3.April
wurde der Auftaktplatz akzeptiert, die Demoroute durch Industriebrache, Hafenanlagen und Wald aber abgelehnt
und ein Formelkompromiss gefunden:
Nach der Auftaktveranstaltung sollte eine
Demonstration zur Vaubanbrücke, der südlicheren der beiden Brücken über den Kanal,
führen. Dort sollte es eine Kundgebung und eine Pressekonferenz vor den Polizeiabsperrungen geben.
Durch Verhandlungen mit der Polizeiführung und den Druck der Massen sollte doch noch eine Route in die
Innenstadt durchgesetzt werden. Sollte dies nicht gelingen, sollte die frisch gewählte achtköpfige
Demoleitung entscheiden, ob es zum Kundgebungsplatz zurückgehen, oder ob der genehmigten Route durch
das Niemandsland gefolgt werden sollte.
Am Abend des 3.April gab es im Camp eine gut
besuchte Veranstaltung des antikapitalistischen Blocks. Dort kam man überein, dass nach der Kundgebung
an der Vaubanbrücke auf keinen Fall die genehmigte Inselroute genommen, sondern versucht werden sollte,
sich einen Weg in die Straßburger Innenstadt zu bahnen — allerdings nicht durch direkte Angriffe
auf die Polizeiketten, sondern dadurch, dass man versuchte, die Materialsperren aus dem Weg zu räumen.
Die ganze Nacht und am frühen Morgen versuchten Hunderte die ausgemachten Blockadepunkte in der
Innenstadt zu erreichen. Sie wurden von der Polizei ständig angegriffen und kamen zumeist nicht an ihr
Ziel. Aus dieser Gruppe und von Leuten, die später vom Camp kamen, formierte sich dann ein
Demonstrationszug, der zum Kundgebungsplatz auf der Insel wollte. Gegen 11 Uhr erreichte er die
Vaubanbrücke. Die war jedoch entgegen den Abmachungen gesperrt.
Die Polizei griff die Demonstration mit
Tränengas an, Mollis flogen, schnell errichtete Barrikaden brannten. Die Demoleitung des ICC, aber auch
des antikapitalistischen Blocks, waren nur bedingt funktionsfähig. Ein Teil des ICC war auf dem
Kundgebungsplatz und verhandelte mit der Polizei mit dem Ziel, der Teildemonstration den Weg zum
Kundgebungsplatz freizumachen; ein anderer Teil der Demoleitung stand vor der gesperrten Brücke.
Um 12.30 Uhr wurde die Brücke
freigegeben, ca. 8000 Leuten bewegten sich in Richtung Kundgebungsplatz.
Unterwegs kam es zu den ersten unsinnigen
Riots. Ein Tankstellenshop und mehrere Bushaltestellen wurden verwüstet. Dann, vor dem Zugang zum
Kundgebungsplatz, spaltete sich der Zug. Etwa 4000 Leute gingen auf den Platz, die andere Hälfte zog in
Richtung Europabrücke.
Auf der bundesdeutschen Seite der
Brücke warteten weitere 7000 Demonstrierende (Ostermarsch Baden Württemberg, Friedenslok NRW u.a.)
auf den Übergang. Sie sollten niemals die Grenze passieren, denn inzwischen brannte es neben der
Brücke. Die Polizei sperrte diese jetzt endgültig. Es gab Versuche, aus dem Demozug heraus die
Brandstiftung zu stoppen, aber angesichts der tagelangen militanten Repressalien der Polizei und der
aufgestauten Wut hatten diese Kräfte keine Chance.
Als die Polizei den Demonstrationszug vor
der Europabrücke mit Gasgranaten angriff und die Gasschwaden auf den Kundgebungsplatz wehten, wurde die
Veranstaltung dort abgebrochen und ein neuer Demonstrationszug formierte sich, der zurück in die
Innenstadt wollte. Dorthin kam er nicht durch; ein Teil strebte zurück zur Europabrücke, die
weiterhin gesperrt blieb, und wurde schließlich nach mehreren Angriffen der Polizei am späten
Nachmittag aufgelöst.
Die am Vortag eingesetzte Demoleitung traf
sich kein einziges Mal an diesem Tag.
Die Sitzung des ICC am Tag am Sonntagmorgen fand ausschließlich mit deutscher und französischer
Beteiligung statt. Reiner Braun von der Internationalen Vereinigung der Rechtsanwälte gegen Atomwaffen
(IALANA) hatte eine Erklärung vorbereitet, die einerseits das Verhalten der Polizei als undemokratisch
und absolut inakzeptabel kritisierte. Andrerseits gipfelte sie darin, Polizei und „Schwarzer
Block” hätten wie Geschwister agiert und gemeinsam die Demo kaputt gemacht. Der letzten
Formulierung widersprachen heftig IL und DFG VK, unterstützt von War Resisters International, NPA, und
IMI. Für die Formulierung Reiner Brauns waren Attac, Parti de Gauche, Mouvement de la Paix.
Somit gab es keine gemeinsame Erklärung
des ICC. Auf der abschließenden Pressekonferenz machte lediglich der Vertreter von BLOCK NATO die
Distanziererei vom „Schwarzen Block” nicht mit.
Reiner Schmidt ist Mitglied der IL und war
im Vorbereitungskreis „NO tO NATO” und dem ICC.
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