SoZ - Sozialistische Zeitung |
Am Vorabend der internationalen Demonstration schärft Nicolas Sarkozy der
CRS, der für ihre Knüppelorgien berüchtigten Bereitschaftspolizei, ein, was das oberste Ziel
ihres Einsatzes zu sein hat.Den Häuptern der reichsten und wichtigsten Länder der Welt
präsentiert er eine Stadt im Ausnahmezustand. Sie verbarrikadieren sich hinter drei Meter hohen
Metallgitterzäunen in einer roten und einer orange Zone, die am Samstag nicht einmal mehr von denen
passiert werden durfte, die dafür einen Ausweis hatten. „Bleiben Sie zu Hause”, lautet der
Rat der Behörden. Die Schulen sind schon die ganze Woche geschlossen; viele Menschen haben die Stadt
verlassen. Am Freitag werden die Autobahnen rund um Straßburg gesperrt, der Zugverkehr nach Kehl
eingestellt; Samstag früh ist auch der gesamte öffentliche Nahverkehr in der Stadt eingestellt;
Geschäfte und Restaurants haben geschlossen zu bleiben. Straßburg gleicht einer belagerten Stadt.
In seiner Bilanz des Polizeieinsatzes hält sich der Präfekt des Département Oberrhein,
Jean-Marc Rebière, zugute, dass „die Demonstranten nicht in die Stadt gekommen sind und dass es
wenig Verletzte und keine Toten gegeben hat” Das ist wohl wahr, aber es ist an diesem Samstag auch das
Demonstrationsrecht auf der Strecke geblieben. Denn die Demonstration konnte sich zu keinem Zeitpunkt
vollständig sammeln; die vereinbarte Demoroute wurde von der Polizei mehrfach versperrt; ständig
wurden Teil von ihr mit Tränengas, Blendschockgranaten und Gummigeschossen angegriffen und zerrieben.
Tatsächlich hätte man die Route
nicht akzeptieren dürfen, denn sie führte über eine Insel, die von drei Brücken begrenzt
war. Mit einer Verzögerung von eineinhalb Stunden wurden die Demonstranten zum Kundgebungsort
durchgelassen; danach wurden alle drei Brücken gesperrt. Mehrere tausend Demonstranten, die später
dazu stießen, wurden nicht mehr durchgelassen und sammelten sich am gegenüberliegenden Ufer des
Kanals, von wo sie aber bald mit Tränengas verscheucht wurden. Es war eher ein Freiluftgefängnis
als eine Route. Und selbst auf dieser Insel konnten die Demonstranten nicht einmal im Viereck laufen, weil
die vierte Seite, die an der Europabrücke vorbeiführte, gesperrt war.
Die Polizei brachte damit das gesamte
Demonstrationskonzept durcheinander, stiftete Chaos und schuf ideale Voraussetzungen für das Werk der
Brandstifter. Diese wiederum ließ sie so offensichtlich gewähren, dass der Bürgermeister von
Straßburg, die Regionalpresse und die örtliche Bevölkerung später übereinstimmend
kritisierten, der Präfekt habe es unterlassen, die Straßburger zu schützen und zugesehen, wie
ein ganzer Stadtteil niedergebrannt wird.
Port du Rhin ist eines der ärmsten Stadtviertel von Straßburg; lange Zeit wurde es von der
Stadtverwaltung vernachlässigt. Die Bevölkerung in dem kleinen Hafenviertel, inmitten von einem
ausgedehnten Gewerbegebiet, ist sehr jung — Elsässer und maghrebinische Familien, Leute der
Banlieue. Sie sind erschüttert über den Zynismus der Ordnungskräfte. Sie sind nicht gegen die
Demonstration, aber: Warum führt sie nicht durch die sog. besseren Viertel?
Sie berichten groteske Situationen: Als
erstes brennt das Zollhäuschen auf der Brücke, sechs Wasserwerfer stehen drum herum, keinem
fällt es ein zu löschen.
Nachdem die hohen Herren ins Kongresszentrum
gebracht sind, zieht die Polizei an der Brücke wieder ab. Kleinere Gruppen schwarz Gekleideter
rücken an und lassen sich erst einmal in der Lobby des Ibis-Hotels nieder, wo sie nach dem Whisky
greifen. Im Hotel sind der Direktor und eine Angestellte sowie einige Gäste. Nachdem sich die Schwarzen
gütlich getan haben, werfen sie die Möbel auf die Straße und entzünden ein Feuer. Danach
setzen sie mit ein paar Brandbomben das ganze Hotel in Brand. Die ganze Zeit kreisen sechs Hubschrauber
über dem Gelände, aber es braucht über eine Stunde, bis Polizei anrückt. Die ersten
Löscharbeiten und Evakuierungsmaßnahmen müssen die Bewohner selber erledigen. Als die
Feuerwehr kommt, beschränkt sie sich darauf, ein Übergreifen des Brandes auf benachbarte
Häuser zu verhindern. Das achtstöckige Hotel brennt aus, ebenso die Touristeninformation und die
Apotheke.
Besonders empfindlich trifft die Bewohner
der Verlust der Apotheke. Darüber sind sie untröstlich, denn jetzt müssen sie in die Stadt
fahren, um sich zu versorgen, und das geht nur mit dem Bus, der unregelmäßig fährt.
Definitiv: Wenn unter den Brandstiftern einer ist, der meint, eine Wut auf das System zu haben, hat sie mit
dem gemeinsamen Kampf an der Seite der Ausgegrenzten und Entrechteten nichts zu tun. Jedenfalls hatten sich
die Brandstifter hervorragend vorbereitet, ihr Werk hatte nichts von einer spontanen Revolte, die wenigstens
von ihnen kamen aus Straßburg und aus diesem Stadtteil schon gar nicht. „Unsere Jugendlichen
haben sich schützend vor die Schule gestellt, damit die nicht auch noch angesteckt wird."
Die Brandstifter wurden bis heute nicht
gefasst; an dem Samstag gab es trotz der zahlreichen Zerstörungen und der großen Übermacht
der Polizeikräfte gerade mal 33 Verhaftungen. Hingegen nahm die Polizei zwei Tage vorher bei einem
Angriff auf das Camp 300 Menschen fest, von denen sie die meisten wieder freilassen musste — nachdem
sie in die Polizeiakte eingetragen waren.
Die Grünen haben eine parlamentarische Untersuchungskommission gefordert, viele fordern den
Präfekten zur Rechenschaft; der hat Vorsorge getragen und zwei Tage nach der Demonstration um seine
Versetzung gebeten, die ihm prompt gewährt wurde. Der sozialdemokratische Bürgermeister von
Straßburg fordert eine „Überprüfung der Kommandostruktur”, Absprachen seien nicht
eingehalten worden. Die Stadt fordert Schadenersatz von der Zentralregierung für die entstandenen
Schäden. Sie hatte bei den Entscheidungen über den Umgang mit dem Gipfel und den
Gegenaktivitäten nichts mitzureden.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |