SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Mai 2009, Seite 09

Wie weiter nach dem 28.März?

Eine erste Auswertung

von Angela Klein

Mit wenigen Ausrutschern und bei kritischeren Tönen auf der Seite der radikalen Linken haben die Organisatoren der Demonstrationen vom 28.März diese einhellig als Erfolg bewertet. Im Detail fällt das Urteil jedoch differenziert aus.
Der größte Erfolg der ersten Großdemonstrationen gegen die Krise in Deutschland besteht in der Zahl der Teilnehmenden: Die Angaben schwanken zwischen 30000 und 55000 (für beide Demos zusammen); hält man sich an die Einschätzung von Michael Schlecht, wirtschaftspolitische Abteilung von Ver.di, wurden „40000 auf jeden Fall erreicht” Dabei waren es in Berlin mehr als in Frankfurt — und das war eine Überraschung.
Denn die Gewerkschaften Ver.di und IG Metall, die in Frankfurt mit starken Blöcken zugegen waren und von denen man annahm, dass sie die Masse bringen, waren in Berlin nur mit vereinzelten Fahnen sichtbar — obwohl beide Gewerkschaften auch hier aufgerufen hatten. In Berlin bildete Attac den größten Block, gefolgt von der Partei DIE LINKE und verschiedenen Gruppen der radikalen Linken, von denen einige der Interventionistischen Linken nahe stehen (Gruppe soziale Kämpfe, ALB, FelS), und die eine wichtige Rolle in der Mobilisierung gespielt haben.
Die Mobilisierung. Auf einem ersten Nachbereitungstreffen in Frankfurt hieß es dazu, Attac, die Sozialproteste und die radikale Linke hätten ihre Mobilisierungspotenzial ausgeschöpft, die Gewerkschaften noch nicht. Ob die dieser Einschätzung zugrundeliegende Haltung „Wir sind der Riese, wir schlafen nur noch” zukunftsträchtig ist, wird sich weisen, wenn die Krise die Zahl der Erwerbslosen schlagartig verdoppelt. Auf jeden Fall wirft sie die Frage auf, warum auch auf gewerkschaftlicher Seite nur das mobilisiert werden konnte, was von der gewerkschaftlichen Linken angesprochen wurde.
Das war allerdings beachtlich: Aus verschiedenen Teilen der hessischen und baden-württembergischen Metallindustrie wurde berichtet, Vertrauensleute hätten mit Flugblättern in die Betriebe gewirkt und dort einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, das habe es schon lange nicht mehr gegeben. „Da sind nicht nur die Aktiven gekommen, auch ‘normale‘ Kollegen.” Allerdings setzte die Mobilisierung hier erst eine Woche vor der Demonstration ein. Vielerorts trauten sich die Organisatoren nicht, so viele Busse zu bestellen, wie sie am Schluss hätten brauchen können, weshalb etliche zu Hause bleiben mussten. Das Mobilisierungspotenzial wurde hier nicht ausgeschöpft.
Kein Aufbruch. Vielfach wird der 28.März mit dem 1.November 2003 verglichen — als ein Bündnis aus Erwerbslosengruppen, radikalen Linken und linken Gewerkschaftern zu einer bundesweiten Demonstration gegen die Hartz-Gesetze nach Berlin aufrief und überrascht war, welch große Resonanz sie erfuhr — bis hin zum spontanen Anschluss zahlreicher Berliner; am Schluss wurden 100000 Teilnehmer gezählt. In dieser Demonstration entlud sich der über Jahre aufgestaute Zorn über die Abrissbirne, mit der der Sozialstaat von einer „rot-grünen” Regierung zerschlagen wurde. Auf den 1.November folgten die Montagsdemos und die Gründung der WASG.
Einen ähnlichen Aufbruch hat der 28.März nicht bewirkt. Das hat mehrere Gründe:
Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten. Das Tor für schonungslose Kapitalismuskritik steht heute weit offen, auf der mentalen Ebene gibt es einen Radikalisierungsprozess, in der Praxis aber noch nicht. Die Angst ist immer noch größer als der Zorn. In den Metallbetrieben ist die Entwicklung dramatisch: Überall werden kleinere und mittlere Betriebe dicht gemacht; die Großbetriebe haben alle Kurzarbeit eingeführt (es sind jetzt über eine Million!); die Zahl der registrierten Erwerbslosen ist nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit zwischen September 2008 und März 2009 um eine halbe Million auf 3,5 Millionen gestiegen. Jeder weiß mehr oder weniger genau, dass die Wirtschaftskrise erst nach der Bundestagswahl so richtig auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird — und das vor dem Hintergrund dramatisch gekürzter Leistungen für Arbeitslose und einer Entrechtung der Hartz-IV-Beziehenden.
Spaltung. Verwiesen wurde auch auf die ungleichen Auswirkungen der Krise: Am stärksten spürten sie derzeit die Prekären und die Kollegen aus der exportorientierten Metallindustrie. Die Leiharbeiter waren die ersten Opfer der Krise, die Exportwirtschaft breche dauerhaft weg, weil die Verschuldungsblase in den Abnehmerländern geplatzt sei. Andere Sektoren der Bevölkerung hingegen hätten in diesem Jahr mehr bekommen als früher — z.B. habe es erstmals eine Rentenanhebung und auch nennenswerte Lohnerhöhungen gegeben.
Andere betonten, in den Gewerkschaften gebe es „eine richtige Spaltung” Die Vorstände der Einzelgewerkschaften und der DGB hatten die Beteiligung an den Demonstrationen vom 28.3. abgesagt mit Verweis auf die Mobilisierung am 16.Mai, zu der der Europäische Gewerkschaftsbund aufruft; der DGB mobilisiert an diesem Tag nach Berlin und organisiert in den Tagen davor einen „Kapitalismuskongress” (nicht etwa einen Antikapitalismuskongress). Der tiefere Grund aber sei, dass die SPD die Gewerkschaften seit einem Jahr wieder richtig umwirbt. „Schwarz-Gelb verhindern” lautet die Melodie, die sie wieder verbinden soll. Die IG Metall hat für den 9.September eine Kundgebung vorgesehen, die man nur als Wahlkampfveranstaltung für die SPD verstehen kann.
"Die Gewerkschaftsbezirke, in denen die SPD dominiert, haben die Demo vom 28.3. abgelehnt; die haben sie zum Teil richtig bekämpft”, erklärte Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart. „Andere hätten sich der Demo schon gern angeschlossen, sind aber umgefallen, als der DGB seine Beteiligung abgesagt hat.” Die Gewerkschaftslinke aber habe regelrecht, und erfolgreich, mobilisiert. Der 28.März habe deshalb in den Gewerkschaften auch mehr bewegt als der 1.November. Die Ausstrahlung der Demonstrationen in die Büros und Betriebe sei größer, als auf den Demonstrationen sichtbar wurde.
Wie aber soll es jetzt weiter gehen? Dazu haben wir nachstehend einige Wortmeldungen von Organisationen eingeholt, die das Bündnis getragen haben.


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