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Mit wenigen Ausrutschern und bei kritischeren Tönen auf der Seite der
radikalen Linken haben die Organisatoren der Demonstrationen vom 28.März diese einhellig als Erfolg
bewertet. Im Detail fällt das Urteil jedoch differenziert aus.
Der größte Erfolg der ersten
Großdemonstrationen gegen die Krise in Deutschland besteht in der Zahl der Teilnehmenden: Die Angaben
schwanken zwischen 30000 und 55000 (für beide Demos zusammen); hält man sich an die
Einschätzung von Michael Schlecht, wirtschaftspolitische Abteilung von Ver.di, wurden „40000 auf
jeden Fall erreicht” Dabei waren es in Berlin mehr als in Frankfurt — und das war eine
Überraschung.
Denn die Gewerkschaften Ver.di und IG
Metall, die in Frankfurt mit starken Blöcken zugegen waren und von denen man annahm, dass sie die Masse
bringen, waren in Berlin nur mit vereinzelten Fahnen sichtbar — obwohl beide Gewerkschaften auch hier
aufgerufen hatten. In Berlin bildete Attac den größten Block, gefolgt von der Partei DIE LINKE und
verschiedenen Gruppen der radikalen Linken, von denen einige der Interventionistischen Linken nahe stehen
(Gruppe soziale Kämpfe, ALB, FelS), und die eine wichtige Rolle in der Mobilisierung gespielt haben.
Die Mobilisierung. Auf einem ersten
Nachbereitungstreffen in Frankfurt hieß es dazu, Attac, die Sozialproteste und die radikale Linke
hätten ihre Mobilisierungspotenzial ausgeschöpft, die Gewerkschaften noch nicht. Ob die dieser
Einschätzung zugrundeliegende Haltung „Wir sind der Riese, wir schlafen nur noch”
zukunftsträchtig ist, wird sich weisen, wenn die Krise die Zahl der Erwerbslosen schlagartig
verdoppelt. Auf jeden Fall wirft sie die Frage auf, warum auch auf gewerkschaftlicher Seite nur das
mobilisiert werden konnte, was von der gewerkschaftlichen Linken angesprochen wurde.
Das war allerdings beachtlich: Aus
verschiedenen Teilen der hessischen und baden-württembergischen Metallindustrie wurde berichtet,
Vertrauensleute hätten mit Flugblättern in die Betriebe gewirkt und dort einen Diskussionsprozess
in Gang gesetzt, das habe es schon lange nicht mehr gegeben. „Da sind nicht nur die Aktiven gekommen,
auch normale Kollegen.” Allerdings setzte die Mobilisierung hier erst eine Woche vor der
Demonstration ein. Vielerorts trauten sich die Organisatoren nicht, so viele Busse zu bestellen, wie sie am
Schluss hätten brauchen können, weshalb etliche zu Hause bleiben mussten. Das
Mobilisierungspotenzial wurde hier nicht ausgeschöpft.
Kein Aufbruch. Vielfach wird der
28.März mit dem 1.November 2003 verglichen — als ein Bündnis aus Erwerbslosengruppen,
radikalen Linken und linken Gewerkschaftern zu einer bundesweiten Demonstration gegen die Hartz-Gesetze nach
Berlin aufrief und überrascht war, welch große Resonanz sie erfuhr — bis hin zum spontanen
Anschluss zahlreicher Berliner; am Schluss wurden 100000 Teilnehmer gezählt. In dieser Demonstration
entlud sich der über Jahre aufgestaute Zorn über die Abrissbirne, mit der der Sozialstaat von
einer „rot-grünen” Regierung zerschlagen wurde. Auf den 1.November folgten die Montagsdemos
und die Gründung der WASG.
Einen ähnlichen Aufbruch hat der
28.März nicht bewirkt. Das hat mehrere Gründe:
Die Stimmung in der Bevölkerung ist
gespalten. Das Tor für schonungslose Kapitalismuskritik steht heute weit offen, auf der mentalen Ebene
gibt es einen Radikalisierungsprozess, in der Praxis aber noch nicht. Die Angst ist immer noch
größer als der Zorn. In den Metallbetrieben ist die Entwicklung dramatisch: Überall werden
kleinere und mittlere Betriebe dicht gemacht; die Großbetriebe haben alle Kurzarbeit eingeführt
(es sind jetzt über eine Million!); die Zahl der registrierten Erwerbslosen ist nach Angaben der
Bundesagentur für Arbeit zwischen September 2008 und März 2009 um eine halbe Million auf 3,5
Millionen gestiegen. Jeder weiß mehr oder weniger genau, dass die Wirtschaftskrise erst nach der
Bundestagswahl so richtig auf den Arbeitsmarkt durchschlagen wird — und das vor dem Hintergrund
dramatisch gekürzter Leistungen für Arbeitslose und einer Entrechtung der Hartz-IV-Beziehenden.
Spaltung. Verwiesen wurde auch auf die
ungleichen Auswirkungen der Krise: Am stärksten spürten sie derzeit die Prekären und die
Kollegen aus der exportorientierten Metallindustrie. Die Leiharbeiter waren die ersten Opfer der Krise, die
Exportwirtschaft breche dauerhaft weg, weil die Verschuldungsblase in den Abnehmerländern geplatzt sei.
Andere Sektoren der Bevölkerung hingegen hätten in diesem Jahr mehr bekommen als früher
— z.B. habe es erstmals eine Rentenanhebung und auch nennenswerte Lohnerhöhungen gegeben.
Andere betonten, in den Gewerkschaften gebe
es „eine richtige Spaltung” Die Vorstände der Einzelgewerkschaften und der DGB hatten die
Beteiligung an den Demonstrationen vom 28.3. abgesagt mit Verweis auf die Mobilisierung am 16.Mai, zu der
der Europäische Gewerkschaftsbund aufruft; der DGB mobilisiert an diesem Tag nach Berlin und
organisiert in den Tagen davor einen „Kapitalismuskongress” (nicht etwa einen
Antikapitalismuskongress). Der tiefere Grund aber sei, dass die SPD die Gewerkschaften seit einem Jahr
wieder richtig umwirbt. „Schwarz-Gelb verhindern” lautet die Melodie, die sie wieder verbinden
soll. Die IG Metall hat für den 9.September eine Kundgebung vorgesehen, die man nur als
Wahlkampfveranstaltung für die SPD verstehen kann.
"Die Gewerkschaftsbezirke, in denen die
SPD dominiert, haben die Demo vom 28.3. abgelehnt; die haben sie zum Teil richtig bekämpft”,
erklärte Bernd Riexinger von Ver.di Stuttgart. „Andere hätten sich der Demo schon gern
angeschlossen, sind aber umgefallen, als der DGB seine Beteiligung abgesagt hat.” Die
Gewerkschaftslinke aber habe regelrecht, und erfolgreich, mobilisiert. Der 28.März habe deshalb in den
Gewerkschaften auch mehr bewegt als der 1.November. Die Ausstrahlung der Demonstrationen in die Büros
und Betriebe sei größer, als auf den Demonstrationen sichtbar wurde.
Wie aber soll es jetzt weiter gehen? Dazu
haben wir nachstehend einige Wortmeldungen von Organisationen eingeholt, die das Bündnis getragen
haben.
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