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Während das Kapital zunehmend international agiert, orientierten sich die
Gewerkschaften noch immer nationalstaatlich, lautet eine nicht nur in Zeiten der neuen Wirtschaftskrise
häufig zu hörende Klage. Wer die Studie der Sozialwissenschaftlerin Stefanie Hürtgen* liest,
wird feststellen, dass die Gewerkschaften längst im europäischen Rahmen agieren.
Das hat allerdings nicht zu einer
Internationalisierung von Streiks und Klassenkämpfen, sondern zu einer Ausweitung der Politik des Co-
Managements geführt.
Hürtgen führte im Zeitraum von
2000 bis 2003 ausführliche Gespräche mit Gewerkschaftern aus Deutschland, Polen und Frankreich,
die zugleich Mitglieder des Europäischen Betriebsrats waren. Diese institutionelle Form der
Arbeitnehmervertretung geht auf eine europäische Betriebsratrichtlinie von 1994 zurück.
Die politischen Einstellungen von
Hürtgens Interviewpartnern differenzieren stark. Am linken Rand stehen die ehemalige PCF-
Funktionärin Madeleine F. und der ebenfalls der PCF nahestehende Louis F. aus Frankreich. Am anderen
Ende ist der Ostdeutsche Heiner D. positioniert, der seine Betriebsratarbeit als Chance für seine
persönliche Karriere ganz ohne klassenkämpferische Intentionen begreift. Auch mehrere der
interviewten polnischen Gewerkschafter können in diese Kategorie eingeordnet werden. Den Typus des
enttäuschten Sozialdemokraten vertritt in dem Buch der langjährige IG-Metall-Funktionär
Demiray D.
Doch schnell wird deutlich, dass auch
Gewerkschafter, die sich im allgemeinen Gespräch als klassenkämpferisch einordnen, im Detail eine
Politik der Standortsicherung und des Co-Managements vertreten.
Der Eurobetriebsrat wird von den meisten
Gewerkschaftern als eine Instanz zur Lobbyarbeit für den eigenen Standort gesehen, auch wenn es gegen
die Kollegen aus anderen Ländern geht. „Man knüpfte Kontakte zu anderen Unternehmen, aber
auch zu politischen Parteien, um dort Druck zu machen oder politischen Lobbyismus zu betreiben”,
bringt der pragmatische Ostdeutsche Heiner D. dieses Rollenverständnis auf dem Punkt.
Im Gespräch mit Hürtgen gefallen
sich auch andere Gewerkschafter in der Rolle des Betriebsretters mit guten Kontakten in höchste
Politik- und Wirtschaftskreise. Auch der sich selbst als „Sympathisant für alles Soziale”
charakterisierende Demiray D. fertigte in seinem Betrieb beschäftigte Leiharbeiter, die mit einem
Problem an ihn wandten, mit den Worten ab: „Ich vertrete nicht euch. Ich vertrete meine Leute."
Dass britische Kollegen im Eurobetriebrat
eher als Klassenkämpfer denn als Lobbyisten auftreten, wurde von mehreren ostdeutschen und polnischen
Interviewpartnern als mangelnde Europareife und Zeichen für Rückständigkeit interpretiert.
In anderen Zusammenhang wurde
kämpferisches Verhalten von Belegschaften mit der Charakterisierung „typisch
französisch” ethnisiert und eben nicht als eine Erfahrung in der Arbeiterbewegung wahrgenommen.
Hürtgen liefert mit dem Buch ein
realistisches aber auch ernüchterndes Bild über den Bewusstseinsstand europäischer
Gewerkschaftspolitik auf Betriebsratsebene, das mehr ist als eine Momentaufnahme. Die Frage, ob und wie es
möglich ist, eine klassenbewusste Gewerkschaftspolitik auch auf transnationaler Ebene zu entwickeln,
müssen sich die Leser selber stellen. Doch dazu wäre insgesamt eine gemeinsame linke Politik auf
europäischer Ebene erforderlich. Daran fehlt es derzeit aber leider nicht nur bei den Gewerkschaften.
*Stefanie Hürtgen, Transnationales Co-
Management. Betriebliche Politik in der globalen Konkurrenz, Münster: Westfälisches Dampfboot,
2008, 312 S., 29,90 Euro.
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