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Innenminster Maroni versetzt die Insel in einen permanenten Ausnahmezustand.Seit der
Jahrtausendwende ist die nur 11 Kilometer lange Insel Lampedusa nahezu zum Synonym für massive Fluchtbewegungen von Afrika
nach Europa geworden. Die Anlandungen begannen in Sizilien Ende der 90er Jahre. Im Jahr 2000 kamen 2782 Menschen über das
Meer nach Lampedusa und Sizilien, im Jahr 2001 über 5000 und 2002 mehr als dreimal so viel, nämlich 18225. Nach einem
leichten Rückgang landeten im Jahr 2008 31250 Flüchtlinge auf der kleinen Insel an.
Das ganze Jahr über leben auf Lampedusa rund 5000 Menschen,
im Sommer, in der Hochsaison, sind es schon mal 20000. 31250 Menschen sind verdammt viel für eine so kleine Insel.
Betrachtet man aber die Migrationsstatistiken europaweit, kommt nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge über das Meer,
denn insgesamt fliehen pro Jahr rund 500000 Menschen nach Europa. Die meisten sind sog. „overstayers”, also Leute,
die ihre Visa auslaufen lassen. Was jedoch zunimmt, ist die Zahl der Todesopfer.
Im Jahr 2005 brachte der Journalist Fabrizio Gatti einer
breiteren Öffentlichkeit die untragbare Situation der Flüchtlinge auf Lampedusa nahe — er war als Kurde in
Lampedusa gelandet und hatte sich Zugang zum Aufnahmelager verschafft, das sich neben dem Flughafen befand.
Im Sommer 2007 eröffnete man ein weiteres
Flüchtlingslager in der Contrada Imbriacola. Die Bevölkerung hatte sich anfangs dagegen gewehrt, aus Angst, die Insel
werde nur noch als Fluchtort wahrgenommen. Das CSPA Imbriacola ist ein Zentrum für Erstversorgung und Erstaufnahme. Es
befindet sich in einem Tal, rundherum durch sehr steiles Gelände eingeschlossen und nur auf einer Seite durch einen Zaun
begrenzt. Die Kapazität beträgt 341 Plätze, wenn nötig erweiterbar bis zu 804 Plätzen. Von hier aus
werden die Flüchtlinge auf verschiedene Zentren in Italien verteilt. Das soll innerhalb von 48 Stunden erfolgen,
zögert sich aber meist etwas hinaus. Seit März 2007 gibt es das Projekt „Praesidium IV”, an dem die IOM
(International Organisation for Migration), das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR, das italienische Rote Kreuz und seit
April 2008 auch „Save the Children” mitarbeiten. Obowhl das Lager oft heillos überfüllt ist — im
August 2008 landeten binnen weniger Tage 3000 Menschen auf der Insel — klappt es mit der Aufnahme relativ gut.
Normalerweise, falls man in diesem Zusammenhang von „normal” sprechen kann, kommen im Winter aufgrund der
schlechten Wetterlage nur vereinzelt Boote an. In diesem Winter war es anders, allein um die Weihnachtszeit erreichten rund 1000
Menschen die Insel. Trotzdem entschied Innenminister Maroni Ende Dezember, dass die Flüchtlinge nicht mehr aufs Festland
gebracht werden. Diese Massnahme zielte vor allem auf die vielen Tunesier ab, die von vornherein als Wirtschaftsflüchtlinge
eingestuft werden und die man am liebsten direkt von Lampedusa aus abschieben will.
Das eigentliche Ziel Maronis ist, die Flüchtlinge vor der
Küste Libyens abzufangen, der Freundschaftsvertrag zwsichen Italien und Libyen sieht vor, dass ab dem 15.Mai gemeinsame
Patrouillen starten. Mitte Januar wurde die Asylkommission für wenige Tage per Dekret von Trapani (Westsizilien) nach
Lampedusa verlegt; auf der Insel gibt es weder ein Gericht noch Anwälte. Einige Asylsuchende wurden in Aufnahmelager nach
Sizilien und in andere Regionen Italiens gebracht, während andere, zusammen mit Minderjährigen, auf die ehemalige
Militärbasis Loran am westlichen Ende Lampedusas gebracht wurden. Hier gibt es keinerlei geeignete Wohnbereiche; die
Einrichtungen entsprechen nicht den Sicherheitsbestimmungen, am 2.Februar brach prompt ein Feuer aus.
Ende Januar wurde das Lager in der Contrada Imbriacola per
Dekret in ein Zentrum für Identifikation und Abschiebung (CIE) verwandelt, nun sollte die ehemalige Militärbasis Loran
für die Erstaufnahme genutzt werden. Per Dekret heißt, dass der neue Status zeitlich begrenzt ist. Dazu kommt, dass in
Italien Flüchtlinge bislang lediglich bis zu 60 Tagen festgehalten werden dürfen. Im neuen, von der Regierung
verabschiedeten Sicherheitspaket sollte die Aufenthaltsdauer auf sechs Monate verlängert werden — Innenminister
Maroni zog diese Maßnahme jedoch in letzter Minute zurück, als absehbar war, dass er dafür im Parlament keine
Mehrheit bekommen würde.
Ende Februar beschloss die Regierung ein weiteres, ebenfalls
zeitlich begrenztes Dekret, das die Aufenthaltsdauer auf sechs Monate verlängert; wenn es nicht noch juristische Tricks
gibt, wird es am 26.April auslaufen, dann sind rund 700 der etwa 1000 Menschen, die sich derzeit im Zentrum Imbriacola befinden,
frei.
Ende Januar lief bei den Inselbewohnern das Fass über. Sie wollen nicht, dass die Insel wieder zu einer
Gefängnisinsel wird wie schon zu Zeiten des Faschismus. Trotz der Proteste erteilte die Regierung Bauaufträge für
die Loran-Basis, Container wurden installiert. Mehrere hundert Flüchtlinge verließen für kurze Zeit das Lager.
Das sei normal, meinte Berlusconi, sie können ja jederzeit mal raus und ein Bierchen trinken. In Wahrheit sind die
Flüchtlingslager streng abgeschirmt, nur hin und wieder wird offiziellen Delegationen Zutritt gewährt. Frei bewegen
können sich nur anerkannte Asylwerber, davon gibt es aber auf Lampedusa keine.
Nun werden die ersten Abschiebebescheide erteilt, turnusweise
kommen Friedensrichter und Pflichtverteidiger aus Agrigent, wo sich das zuständige Gericht befindet. Angesichts der
über 1100 Menschen im Lager kann man sich kaum vorstellen, dass jeder Einzelfall sorgfältig geprüft wird.
Ende Januar wird zudem bekannt, dass Tunesien der
Rückführung von 500 Flüchtlingen zugestimmt hat. Die Spannung in den Lagern steigt. Für einige Gruppen wird
der Transfer in andere Flüchtlingslager Italiens verfügt, es wird immer klarer, dass eine direkte Abschiebung aus
Lampedusa unmöglich ist. Am 18.Februar bricht eine Revolte im Lager Imbriacola aus, die zum Teil sehr brutal
niedergeschlagen wird. Ein Lagerblock gerät dabei in Brand. Wie später berichtet wurde, bestehen diese Blöcke aus
Isopam, einem hochentflammbaren Material. Kein Zertifikat hat je die Einhaltung der Brandschutzbestimmungen der Anlage
bestätigt. Das verbrannte Isopam liegt nun auf der Müllhalde (siehe Foto).
Die Notstandslösungen der Regierung verändern die Insel, sie machen aus ihr ein großes Gefängnis, nehmen
keinerlei Rücksicht auf die Natur. In den letzten Jahren hat sich die Insel, die früher vom Fischfang lebte (es gab
hier auch Fischfabriken) gewandelt, der Massentourismus im Sommer hat nicht den nötigen Fortschritt gebracht: Ein Ausbau
des Abwassersystems, mehr Flüge, bessere Schiffsverbindungen, der Bau von Schulen und einem Krankenhaus — all das
wäre dringend notwendig.
Das größte Problem der Insel stellt die
Militarisierung dar, es gibt hier mehr als 1000 Militärs und Polizeikräfte, je einen für drei Einwohner. Sie
stellen auch ein logistisches Problem dar. Die jetzt aktive Fluglinie setzt nur noch Flugzeuge mit knapp 50 Sitzen ein, und
nicht selten bleiben die Einwohner von Lampedusa am Boden, weil die Maschinen mit Polizisten und deren Gepäck
überfüllt sind. Auf eigene Kosten müssen sie dann in einem Hotel auf Sizilien auf den nächsten Flug warten.
Die massive Präsenz von Ordnungskräften bringt
natürlich auch Geld auf die Insel, die Polizisten müssen alle schlafen und essen, und die Hotels sind im Winter meist
leer. Wenn sie auch im Sommer bleiben, werden die Hoteliers und Privatvermieter Geld verlieren, Touristen zahlen natürlich
mehr. Bereits an Ostern gab es große Einbussen, die Zahl der Reservierungen für den Sommer ist um 35%
zurückgegangen. Zudem fühlt sich die Bevölkerung massiv überwacht, ein Jugendlicher wurde in einer
Telefonzelle verprügelt, weil ihn die Polizisten mit einem Migranten verwechselten.
Im Januar hatten die Einwohner noch vereint mit den dortigen Behörden protestiert, seither hat sich die vereinte Front
gespalten. Bürgermeister Bernardino DeRubeis, der dem Movimento per lAutonomia des Ministerpräsidenten
Siziliens, Raffaele Lombardo, nahesteht, ist zwar weiterhin gegen die Einrichtung eines Identifikations- und Abschiebezentrums
auf der Insel, möchte aber gleichzeitig an den Verhandlungstisch mit der Regional- und der Nationalregierung. Sein Ziel:
eine Erstaufnahme auf der Loran-Basis. Ein Teil der Bevölkerung stellt diese Verhandlungen in Fragen, vor allem, weil der
Bürgermeister sie im Alleingang führt. Er legt den Protestierenden inzwischen sogar Steine in den Weg: Ende März
verbot er einen Informationsstand zum Start einer Unterschriftenkampagne gegen das Abschiebelager.
Die Arbeiten an der ehemaligen Militärbasis ruhen derzeit.
Die Umweltorganisation Legambiente hat Einspruch beim Umweltministerium erhoben, die Insel hat ein fragiles Ökosystem und
ist u.a. berühmt dafür, dass hier noch Schwämme wachsen und Schildkröten an den weißen
Sandstränden nisten. Die Container, die auf der Loran-Basis Ende März abgestellt wurden, sind durch die Stürme um
Ostern beschädigt worden. Die Stürme haben sich gelegt, jetzt kommen wieder Hunderte über das Meer. Die meisten
von ihnen werden direkt nach Sizilien gebracht, bzw. kurz nach der Ankunft auf Lampedusa per Fähre nach Sizilien
transportiert.
Die Migranten scheinen für die Bewohner der Insel jedoch
die kleinere Sorge zu sein. Sie haben Angst um ihre Haupteinnahmequelle, den Tourismus. „Warum sollte ein Tourist
herkommen und sich den Sirenenlärm anhören? Da kann er doch auch in der Stadt bleiben und sparen”, meint ein
Einwohner. Die massive Militarisierung bringt das soziale Gefüge der Insel in große Gefahr.
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