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"Staatlich” ist nicht immer gut, und nicht von sich aus
demokratisch. Wenn wir sagen, wir sind gegen die Privatisierung öffentlicher Güter, ist damit noch
nicht die Frage beantwortet, was die Alternative sein soll. Reicht. Im nachstehenden Beitrag setzt sich
HELMUT WEISS damit an Hand mehrerer Sektoren auseinander (Wohnung, Wasser, Nahverkehr usw.). Nachfolgend ein
Auszug, der sich auf die Frage der öffentlichen Kontrolle konzentriert.Der Beitrag wurde auf dem
Weltsozialforum in Belém 2009 gehalten; er ist vollständig nachzulesen auf www.labournet.de.
Auf vielfältige Weise verbindet sich
die Finanzkrise mit dem Thema: „Wie gegen Privatisierung kämpfen?” Es vor allem drei
Schlagworte, die die Verbindung deutlich machen: Die Frage der Kontrolle — über Hilfsgelder, den
Wohnungsmarkt als Auslöser der aktuellen Krise, die privatisierten Rentenversicherungen, die bereits
von mehreren (südamerikanischen) Regierungen wieder verstaatlicht wurden oder gerade werden.
Vor einigen Jahren gab es bei modebewussten
Sozialwissenschaftlern eine Debatte darum, ob der kontinuierliche Rückzug des Staates zu seinem
Absterben führen würde: Die letzte Rache des Kapitalismus am Kommunismus — kaum an seiner
Realität, wohl aber an seiner Utopie. Heute wird — vielleicht nicht gerade im selben
Personenkreis — dagegen längst über Schlagworte wie Sicherheitsstaat,
Überwachungsstaat, Eingreifstaat und ähnliches diskutiert.
Für unser Thema ist daran wichtig:
Jeglicher Privatisierungsprozess ist immer auch ein Prozess der Abschaffung öffentlicher Kontrolle.
Dabei geht es auch immer um die Abschaffung potenzieller öffentlicher Kontrolle. Auch ausgewiesene
Gegner der Privatisierung sehen dies nicht immer scharf.
Nun ist es jedoch gerade Gegenstand der
Debatte, wie diese Art von Kontrolle organisiert war und ist; denn die gesellschaftlichen
Kräfteverhältnisse sind schon seit mehr als einer Generation so, dass es keine reale Kontrolle
gibt. Ob dies von einem System, das von kapitalistischem Sachzwang geprägt ist, überhaupt zu
leisten wäre, ist dabei eine Kernfrage.
Auch innerhalb der Bewegung gegen
Privatisierung gibt es Positionen, die davon ausgehen, dass alle nötigen Kontrollinstanzen bereits
vorhanden wären. Herbert Schui schreibt zum Beispiel: „Sicherlich ist auch ein solches
öffentliches Unternehmen zu überwachen. Die technische Sicherheit ist zu kontrollieren, ebenso die
Wirtschaftlichkeit und die Bezüge der Unternehmensführung. Zu verhindern ist nicht zuletzt, dass
ein solches Unternehmen zum Auffanglager für abgewählte Politiker wird. Die dafür
erforderlichen Institutionen gibt es längst. Rechnungshöfe und technische
Überwachungsvereine, die — gegebenenfalls mit erweiterten Kompetenzen — argwöhnisch
prüfen, müssen nicht erst gegründet werden. Überdies kann das Unternehmen ein Statut
bekommen, das Pfründenwirtschaft ausschließt. Und schließlich ist — anders als im
Realsozialismus und im neoliberalen Gegenwartskapitalismus — mehr auf eine wachsame Presse und
Öffentlichkeit zu setzen und auch auf aufmerksame Parlamentarier. Zu Vetternwirtschaft und
Unwirtschaftlichkeit muss es also nicht kommen.” ("Bitte rational abwägen”, Freitag,
Nr. 48, 2006.)
Wir denken ganz im Gegensatz dazu, dass es
gerade darauf ankäme, solche Einrichtungen entweder grundlegend zu verändern oder zu ersetzen
durch Einrichtungen, die eine direkte Beteiligung der Bevölkerung nicht nur ermöglichen, sondern
voraussetzen. Real betrachtet sind nämlich genau diese vorhandenen Kontrollinstanzen ein Inbegriff
dessen, wie es nicht funktionieren kann — sie schließen jegliche öffentliche Beteiligung
aus. Wobei noch hinzukommt, dass die potenziellen Kontrolleure zumeist gleichzeitig Akteure der
Privatisierung nicht nur waren, sondern auch noch sind.
Der gesellschaftspolitische Gegensatz, um den es beim Widerstand gegen Privatisierung geht, ist im Kern
die Frage der Demokratie. Weswegen auch bei allen bestehenden öffentlichen Einrichtungen genau
analysiert werden muss, inwieweit sie die Menschen zumindest beteiligen.
Nun ist aber die Frage der Demokratie eine
ganz konkrete: Die traditionelle politische Theorie der so genannten Gewaltenteilung, die einst drei
Säulen der Macht vorsah, ist längst von einer Realität überwunden, in der die Exekutive
weitgehend unkontrolliert agiert bzw. sich Organe schafft, die dies können.
Es geht dabei nicht um eine formale
Definition von Demokratie, wie etwa jene: Wenn bei Wahlen einigermaßen unterschiedliche politische
Parteien antreten, sei dieses System demokratisch zu nennen. Kontrolle und Aufsicht durch Kommunen und
andere Instanzen — die durch die Privatisierung ausgehöhlt, unterlaufen bzw. abgeschafft werden
— ist in keinem Falle gleichzusetzen mit Kontrolle, Aufsicht oder autonomer Partizipation von
Belegschaften und Bevölkerung. Das ist ein Mangel in sehr vielen kritischen Analysen des
Privatisierungsprozesses.
Es geht um das konkrete Handeln der
Betroffenen: Inwieweit wird die Bevölkerung in die Lage versetzt, so gewünscht, direkt Einfluss zu
nehmen? Wie kann sie sich Verfügungsmöglichkeiten aneignen?
Versucht man, weltweit einen Überblick
über die Kämpfe gegen Privatisierung zu gewinnen, fällt auf, dass die Zahl jener zunimmt, die
eben genau diese Verfügungsgewalt erreichen wollen: Das drückt sich zum Einen in Gesetzen aus, die
die Beteiligung der Bürger einfordern, die gibt es von Kenya bis Indien. Zum anderen zeigt es sich auch
dort, wo es eine Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und organisierten Bürgergruppen gibt —
etwa am Beispiel Japans oder Malis.
In Deutschland, wo es zwar sehr begrenzte,
aber immerhin vorhandene Mitwirkungsrechte gibt, besser: gab, haben Stadt- und Landesregierungen aller
politischen Couleur Privatisierungen und Umverteilungen in der Regel heimlich vorgenommen, haben
Volksbegehren erschwert, haben die begrenzten Ansätze für Bürgereinfluss, wie etwa
Sozialwahlen, ihres Inhalts entleert.
Bei genauer Betrachtung der Sozialwahlen
wird sehr schnell deutlich, dass keineswegs vorgesehen ist, den Menschen wirklichen Einfluss auf die
Sozialversicherungen zu ermöglichen: Erstens bestimmt die Regierungspolitik, was passiert und nur in
diesem Rahmen dürfte überhaupt irgendetwas unternommen werden; und zweitens sind die Sozialwahlen
durch Absprachen und die Erfahrung der Nutzlosigkeit des Engagements einzelner längst zu einer Farce
geworden.
Die Gewerkschaften beschränken sich
darauf vertreten zu sein und beklagen, dass „aufgrund der Regelungsdichte im Sozialversicherungsrecht
die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Selbstverwaltung mehr und mehr begrenzt wurden —
dies gilt insbesondere für die Krankenversicherung” „Regelungsdichte” ist eine
vornehme Umschreibung dafür, dass alle Regierungen der BRD daran gearbeitet haben, Einflüsse der
Versicherten zu unterbinden.
Der erste und wesentlichste Punkt einer Grundversorgung außerhalb der privaten Unternehmen ist
deshalb eine organisierte, leicht zugängliche Form der entscheidenden Beteiligung von Belegschaften und
Bevölkerung in der alltäglichen Funktion solcher Einrichtungen, die nicht auf die
Repräsentation durch Großorganisationen setzt, sondern auf direkte selbst organisierte
Beteiligung.
Ein zweiter entscheidender Punkt ist die
sektorale Verankerung dieser anderen Art und Weise, Grundversorgung zu organisieren, also: Koppelung an
verschiedene gesellschaftliche Sektoren und eigenständige Vernetzung dieser Einrichtungen, um zu
verhindern, dass sie ökonomisch ausgetrocknet werden oder in politischer Formalisierung erstarren. Was
drittens für Repräsentanten bedeutet, mit einem imperativen Mandat ausgestattet zu sein. Diese
Punkte sind weitere Bausteine für Überlegungen.
In Deutschland haben die Implosion der
gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft wegen Korruption in den 80er Jahren, sowie die Unterspülung
alternativer Betriebsinseln durch die kapitalistische Sturmflut und das eingehämmerte eindimensionale
Denken die Debatten um Alternativen zur Marktwirtschaft weitgehend erstickt — nicht nur die Debatten
um grundsätzlich andere Gesellschaftsmodelle, sondern um die Möglichkeiten, anders zu leben und zu
arbeiten.
Es gibt deswegen nur minimale Ansätze
solcherart Initiativen, die zudem noch mit ganz anderen, traditionell bürgerlichen, ökonomischen
Modellen zusammengebunden werden. In Deutschland wie anderswo laufen sie unter dem Begriff
„Solidarische Ökonomie”
Der Schluss, dass eins die Solidarische
Ökonomie vergessen könne, weil es schon in den 70er Jahren ähnliche Initiativen gab —
und die, wir wissen es doch, sind allesamt gescheitert — ist allerdings zu kurz. Denn zumindest
zweierlei ist heute anders. Erstens ist die Solidarische Ökonomie um die Erfahrung ihrer Grenzen und
des Scheiterns früherer Ansätze reicher, zweitens trifft sie heute auf gänzlich
veränderte Umstände.
So ist die Solidarische Ökonomie des
21.Jahrhunderts, im Unterschied zu den Alternativbetrieben der 70er Jahre, selten eine Spielwiese für
Leute, die aus freien Stücken einem Normalo-Job den Rücken kehren, sondern ist oft eine
Notwendigkeit des Überlebens — nicht nur, aber gerade auch für jene, die
„normale” Jobs kaum mehr kennen.
Aus all dem vorher Gesagten ergibt sich
nahezu von selbst: Der erste grundsätzliche Fehler, den man begehen kann, ist der Ruf nach dem Staat;
der zweite Fehler die Einbettung in die Marktwirtschaft. Diese Abhängigkeiten engen Spielräume ein
und machen Projekte abhängig von Mächten, die ihnen keineswegs wohlgesonnen sind. Mit autonomen
Organisationsprozessen, imperativem Mandat, Abgrenzung zu Akzeptanzförderung und Einbindung, neuen
Bündnissen, ökonomischer Vernetzung in diversen Sektoren und Distanz zu Markt und Staat sind zwar
nur sehr allgemeine Orientierungen vorhanden, aber sie sind vorhanden und bilden die Basis für die
Diskussion von Erfahrungen auf dem Weg zur Aneignung des Lebens.
Eine grundlegende Bedingung für jede
Alternative ist das Aufbrechen des Warenaustauschs. In Die Grenzen des Kapitalismus schreiben Exner, Laut
und Kulterer: „Einzelne besetzte Betriebe können sich nicht solidarisch entwickeln, solange sie
an den Markt gebunden bleiben. Daher müssen sie diese Abhängigkeit überwinden. Das kann aber
nur gelingen, wenn sie sich untereinander vernetzen. Sie müssen einander Güter und Dienste zur
Verfügung stellen — ohne Geld und ohne Verrechnung. Erst dann wird aus solidarischen Betrieben
auch eine solidarische Wirtschaft. Dafür sind übergreifende Strukturen der Koordination
nötig."
Auch die in den letzten Jahren viel
diskutierte und zunehmend praktizierte Partizipation an kommunalen Haushalten nach dem Beispiel Porto
Alegres ist Bestandteil der Erfahrungen, die analysiert werden müssen; ebenso die Tatsache, dass in
vielen Ländern staatliche Betriebe fortexistieren, die keineswegs die Wertschätzung der breiten
Bevölkerung genießen; und die Erfahrung, dass Alternativbetriebe sich in normale Unternehmen
verwandeln.
Deswegen ist auch die Losung „Kommunal
ist optimal” nur sehr begrenzt zutreffend. Optimal ist eine Grundversorgung, die in Kooperation von
Belegschaften und Bevölkerung organisiert wird, und nicht durch Beamte, die sich von Marktgesetzen
leiten lassen. Die Frage kann nicht lauten, wer kommandiert — das Kommandoregime muss abgeschafft
werden. So entwickelt sich der Kampf gegen die Privatisierung von einem Kampf zur Abwehr der weiteren
Verschlechterung der Lebenslage zu einem Kampf, der Eckmarken setzen kann — Bruchstellen zu Profit,
Markt und blindem Wachstum — und gesellschaftlich die Frage aufwirft, wer sich was wie aneignet.
Wir schlagen vor, dass alle, die das mehr
oder minder so sehen, sich zusammentun, um eine Art eigene kleine Strömung innerhalb der weltweiten
Bewegungen gegen Privatisierung zu bilden.
Der Autor ist Mitarbeiter von Labournet.
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