SoZ - Sozialistische Zeitung |
Als vor rund zwanzig Jahren der Staatssozialismus im Osten nach dem
friedlichen, revolutionären Volksaufstand scheiterte und zusammenbrach, mussten die führenden
Ideologen einem neuen Denken weichen und ihren Platz räumen. Anderen gelang es, sich als
„Wendehälse” (mit und ohne Stasi-Vergangenheit) neu zu orientieren und „nach
Aufarbeitung ihrer Vergangenheit und Fehler” politischen Einfluss zu wahren. Die Unverbesserlichen
wurden regelrecht davon gejagt oder zur Rechenschaft gezogen.
Ganz anders hingegen zwanzig Jahre
später, als der neoliberale, marktradikale Kapitalismus im Westen zusammenbrach: Die dafür
verantwortlichen politischen und wirtschaftlichen Eliten verbleiben bis heute ungehindert und beharrlich auf
ihren einflussreichen Plätzen, ohne dass bislang irgendjemand im Volk ihre „Köpfe”
forderte oder glaubwürdige Protagonisten eines neuen Denkens auf ihre Plätze gelangten.
Vielmehr versuchen die Verursacher der Krise
mit allenfalls verbalradikalen Sprüchen den Eindruck zu erwecken, sie seien zu einer grundlegenden
Selbsterneuerung fähig. Von wirklichem Umdenken ist keine Spur zu sehen, doch die einstmals
Neoliberalen in Parteien, Banken, Wirtschaft und Medien setze sich weiterhin an die Spitze der Bewegung
— um das alte, gescheiterte System mit ein paar marginalen „Kurskorrekturen” zu retten und
fortzuführen.
Hätten seinerzeit die Funktionäre
der DDR (von Erich Honecker bis Egon Krenz) sich so dreist verhalten und als Elite des
Demokratisierungsprozesses umgeschminkt, hätte sie das aufgebrachte Volk eigenhändig und gewaltsam
davongejagt. Bei uns ist nicht einmal damit zu rechnen, dass die neoliberalen Politiker in diesem Wahljahr
von aufgebrachten Wählern abgewählt werden; denn sie verteilen sich gleichmäßig auf fast
alle Parteien und überbieten sich plötzlich mit linker und radikaler Programmatik. „Haltet
den Dieb”, rufen plötzlich jene, die Hedgefonds und Steuerflucht zugelassen und erleichtert
haben.
Keinerlei Anstalten machen die
Wendehälse, „in Sack und Asche” daher zugehen, ihr Fehlverhalten, ihre Irrtümer und
Verblendungen zuzugestehen, sich zumindest bei den Geschädigten zu entschuldigen und Wiedergutmachung
nach dem Verursacherprinzip zu leisten. Stattdessen entwerfen die Täter Szenarien, wie sie
Steuerzahler, Arbeitnehmer und Rentner demnächst für die „Generationenverschuldung”
haftbar machen können, die dann für die Fehler und die Gier der Eliten ein zweites Mal
büßen würden, damit die erneute Umverteilung von unten nach oben nicht bemerkt wird. Doch
keine Sorge, es gibt keinen Volksaufstand, wie Gesine Schwan oder Michael Sommer befürchten, auch nicht
nach der gesitteten Großdemonstration am 16.Mai nach Berlin.
Die Mehrheit wird im Wahlkampf auf die links
gewendeten „Volksparteien” SPD und CDU und auf die Grünen hereinfallen, die ihre
Regierungssünden bei der Aufkündigung des Sozialstaatsmodells einfach totschweigen. Die FDP als
hartnäckigste Verteidigerin des gescheiterten Neoliberalismus bekommt sogar Zulauf. Bekanntlich hatte
auch der „Sozialstaatskiller” Gerhard Schröder die Agenda 2010 und Hartz IV seinerzeit
überhaupt nicht im Wahlkampfprogramm angekündigt, sondern erst nach seiner äußerst
knappen Wahl aus der Tasche gezogen — ein plumper Wählerbetrug.
Der unverfrorenste neue Wendehals ist seit
Mai 2009 der „Papst” des Neoliberalismus, der in allen Talkshows herumgereichte Professor Sinn
vom Ifo-Institut. Ausgerechnet er veröffentlichte jetzt ein „kapitalismuskritisches” Buch
mit dem Titel „Kasinokapitalismus” — dem alle Medien eine hohe Auflage bescheren, statt es
ihm vor die Füße zu werfen. Jetzt verdient sich der größte Verfechter der deregulierten
Finanzmärkte eine goldene Nase an seiner „wissenschaftlichen” Erklärung, „wie es
zur Finanzkrise kam” Erst kürzlich musste er sich noch in aller Öffentlichkeit für
seine Entgleisung entschuldigen, weil er die einhellige Kritik an den für die Krise verantwortlichen
Wirtschafts- und Bankmanagern mit der Judenverfolgung verglich.
Nun setzt er sich an die Spitze dieser
Kritiker — aus Wut, weil er mit eigenen Börsenspekulationen privat viel Geld verloren hat, oder
weil seine eigenen Wirtschaftstheorien versagt haben?
Der zunehmenden Zahl der Verlierer im
Verteilungskampf zwischen Arm und Reich hilft das nicht weiter — solange sie die
„Wendehälse” gewähren lassen und sogar deren radikal nach Wende klingende Bücher
kaufen.
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