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Die Partei DIE LINKE plakatiert zur Europawahl ausnahmsweise mit klaren Parolen: Raus aus
Afghanistan, europäischer Mindestlohn. Warum fehlt ein Plakat: Nein zum Lissabon-Vertrag, oder auch:
Volksabstimmung jetzt? Das ist ja immer noch aktuell, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in
Karlsruhe steht noch aus, und da klagt ja auch DIE LINKE. Damit könnte man doch Druck machen?
Das bedaure ich auch. Ich habe in den zuständigen Gremien angemahnt, dass wir auch mit den Themen
Demokratie und Lissabon-Vertrag auftreten, das war jedoch nicht gewünscht. Ich vermute mal, dahinter
steht, dass eine klare Positionierung zum Lissabonvertrag für manche eine zu oppositionelle Ausrichtung
wäre. Im Landesverband NRW haben wir aber ein Flugblatt in 500000 Auflage mit der Hauptlosung: Nein zum
Lissabon-Vertrag gedruckt. Das Flugblatt wird derzeit auch über NRW hinaus breit verteilt.
Im Europawahlprogramm steht eindeutig: Wir lehnen den Lissabon-Vertrag ab. Die Formulierung, die dort
gewählt ist, lautet: Für eine demokratische Neubegründung der EU. Das heißt aber nichts
anderes, als dass es einen Bruch geben muss, um einen solchen demokratischen Neuanfang in der EU
hinzukriegen. Das Europawahlprogramm versucht, die Frage zu beantworten, wie die Wähler dazu motiviert
werden können, dass sie überhaupt zur Wahl gehen — die Quote der Nichtbeteiligung nimmt ja
von Wahl zu Wahl zu. Das wirbt DIE LINKE mit der Losung: „Die herrschende Politik
abwählen.” Das ist denkbar unglücklich, weil man erstens Machtverhältnisse eh nicht
einfach abwählen kann, zweitens aber das Europaparlament ja nicht mal die Befugnisse eines der
nationalen Parlamente hat — kein Initiativrecht, kaum Kontrollbefugnisse usw. Warum tut sich DIE LINKE
sich so schwer, das anzuprangern? Warum schließt sie sich nicht der französischen Debatte an, die
im Rahmen der Kampagne für das Nein zur EU-Verfassung z.B. einen demokratisch gewählten Konvent
mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragen wollte?
Die von dir zitierte Position wird von vielen in der LINKEN geteilt, auch von mir. Diejenigen in der
Partei, die sie ablehnen, argumentieren vielfach so: Die Verfassung ist in Frankreich abgelehnt worden, aber
danach ist nichts passiert, das führt uns nicht weiter. Das kommt der Position sehr nahe, die Sven
Giegold jetzt vertritt, der für die Grünen antritt: Er war damals auch für das Nein, jetzt
ist er dafür, den Lissabon-Vertrag durchzuwinken. Da fehlt das Zutrauen, dass nach einem zweiten
irischen Nein oder auch nach einer Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht ein positiver Prozess
für eine Alternative eingeleitet werden könnte.
Ich persönlich bin dafür, dass ein
gewählter Konvent, unter Beteiligung von Organisationen der Zivilgesellschaft und der Bürgerinnen
und Bürger, einen neuen verfassungsgebenden Prozess in Gang setzt.
Trotz aller Unzulänglichkeiten hat man dennoch den Eindruck, dass DIE LINKE bei diesen
Europawahlen fortschrittlicher aufgestellt ist als noch bei den vergangenen Wahlen, wo es ja bis zuletzt den
Disput mit Sylvia Yvonne-Kaufmann gegeben hat, ob DIE LINKE den Vertrag ablehnen darf. Sie wurde diesmal
nicht mehr aufgestellt, die Liste scheint etwas linker zu sein. Auf Bundesebene und in Bezug auf die
Listenaufstellungen zur Bundestagswahl gewinnt man einen ähnlichen Eindruck. Kann man daraus
schließen, dass es einen Linksruck in der Partei gibt?
Zunächst mal muss man festhalten, dass der Europawahlparteitag am 1.März der erste der neuen
Partei war, auf dem überhaupt ein Wahlprogramm verabschiedet wurde. Das ist in der Tat linker als das,
was die PDS vorher hatte. Es ist auch interessant, wie es zustande gekommen ist: Es gab erst einen sehr
farblosen Entwurf, der zunächst vom Bundesvorstand korrigiert und dann auf dem Parteitag selbst noch
einmal deutlich nach links verschoben wurde. Ähnliches zeichnet sich gegenwärtig beim
Bundestagswahlprogramm ab. Das ist ein erfreuliches Zeichen; insofern kann man schon von einer
Linksentwicklung der Partei sprechen. Das haben die bürgerlichen Medien auch so wahrgenommen.
Was die Liste angeht, ist es so, dass es ab
Platz 10 zu Kampfkandidaturen kam, nachdem die ersten neun Plätze einem Proporz zwischen Ost und West,
Mann und Frau, Gewerkschafter und anderen gefolgt waren. Auf Platz 10 hat sich Tobias Pflüger
durchgesetzt, auf Platz 11 die Vositzende des Verbands der Migrantinnen Sidar Aydinlik-Demirdögen, die
auch DIDF-Mitglied ist. Auf Platz 12 setzte sich der Kandidat der Parteijugend Sascha Wagener gegen
André Brie durch und auf Platz 13 Ruth Firmenich, eine Mitarbeiterin von Sahra Wagenknecht, gegen
Sylvia Yvonne Kaufmann.
Für die Europawahl gilt diesmal: Je
besser das Ergebnis, desto linker wird die Fraktion ausfallen.
Also heißt es diesmal: Wenn Tobias Pflüger ins Europaparlament kommen soll, müssen die
Linken DIE LINKE wählen. Wieviele Stimmen braucht DIE LINKE, um noch den 13.Listenplatz
reinzubekommen?
Damit Tobias Pflüger wieder rein kommt, braucht DIE LINKE etwa 9% der Stimmen. Das ist durchaus
knapp, einige der letzten Umfragen lagen darunter. Die genaue Zahl hängt auch davon ab, wie viele
Stimmen für Parteien abgegeben werden, die an der 5%-Hürde scheitern. Bei einer guten
Wahlbeteiligung im Bundesgebiet könnte es z.B. für die CSU knapp werden, die ja eigenständig
antritt. Dann würden die CSU-Sitze auf die anderen Parteien verteilt.
Für 13 Sitze, was eine starke linke
Fraktion bedeuten würde, müsste das Wahlergebnis bei 11,5—12% liegen.
Welche Initiativen plant die künftige Europafraktion der LINKEN, was ihre Wahl vielleicht
attraktiv machen könnte?
Ein wichtiger Punkt ist die Unterstützung der linken irischen NEIN-Kampagne. Die irische
Bevölkerung soll ja im Herbst erneut über den Lissabon-Vertrag abstimmen, weil sie aus Sicht der
EU-Eliten falsch abgestimmt haben — ein demokratiepolitischer Skandal! Viele der linken Kandidaten
haben angekündigt dann diese Kampagne auch konkret vor Ort zu unterstützen.
Ansonsten hängen künftige
Initiativen auch von den jeweiligen politischen Schwerpunkten der einzelnen Mitglieder der Fraktion ab.
Diesmal sind ja auch mehrere Gewerkschafter auf der Liste; ich bin mir sicher, dass sie Initiativen starten,
um die gewerkschaftsfeindliche Politik auf europäischer Ebene zu attackieren. Und Tobias Pflüger
wird sicher seine antimilitaristische Arbeit fortsetzen, wie zuletzt bei dem Hearing gegen europäischen
Militärbasen.
Gibt es Linksverschiebungen auch bei den Listen in anderen EU-Ländern?
Einen genauen Überblick habe ich hier nicht. Aber durch die guten Chancen der NPA aus Frankreich
könnte die Europafraktion beim nächsten mal deutlich linker werden.
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