SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 08

Die Stahlkrise trifft Duisburg wieder besonders hart

"Wir wollen nicht, dass die Belegschaften die Krise bezahlen"

Bei Thyssen Krupp konnten betriebsbedingte Kündigungen noch einmal verhindert werden. Der Abbau von 2000 Stellen läuft nach dem alten Muster ab.Auch der Technologiekonzern Thyssen Krupp — das Flaggschiff der deutschen Stahlindustrie — ist durch die Wirtschaftskrise massiv unter Druck gekommen. Als der Vorstand im Stahlbereich ("Steel") entgegen einer Vereinbarung von 2006 auch harte Entlassungen nicht mehr ausschloss und einseitig, ohne den Aufsichtsrat zu beteiligen, ein massives Kostensenkungs- bzw. Profitsteigerungsprogramm und einen weitgehenden Konzernumbau anstrebte, wackelte die Wand. Die IG Metall machte mächtig Druck. Betriebliche Führungen und Belegschaften bewiesen, dass sie immer noch kämpfen können.
Mit mehreren Aktionstagen und Protestaktionen — zuletzt bundesweit am 11.Mai — wurde der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen erreicht und Grundzüge für einen neuen Sozialplan durchgesetzt. Dieser knüpft im Wesentlichen an traditionelle Regelungen in der Stahlindustrie an, sieht freiwillige Abfindungen bis September 2010, Versetzungen und Vermittlungen auf andere Arbeitsplätze, Teilzeitverträge und ein rentennahes Ausscheiden vor. Mit ihm sollen rd. 2000 Beschäftigte abgebaut werden. Das bereits 2006 vereinbarte Programm „ProZukunft” wird fortgeführt. Es sieht die Übernahme von 1000 Ausgebildeten bis 2013 vor.
Es bleibt allerdings das bittere Fazit, dass wieder einmal viele Arbeitsplätze verloren gehen. Besonders gekniffen sind die vielen Leiharbeiter, für die sich die IG Metall in den letzten Jahren mit einer eigenen Kampagne stark gemacht hatte. Nun hofft alles auf ein Wiederanziehen der Konjunktur, dessen Zeitpunkt alles andere als ausgemacht ist. Die notwendige Debatte um eine veränderte Produktstrategie — weg von der Konzentration auf Autobleche und -teile, hin zu nachhaltiger Infrastruktur — hat in den bisherigen Auseinandersetzungen leider so gut wie keine Rolle gespielt. Dazu bräuchte es auch eines massiven politischen Drucks, eines öffentlichen Investitionsfonds und anderer Regierungen.
Das nachstehende Interview mit vier Stahlbetriebsräten der LINKEN wurde uns freundlicherweise vom Standpunkt, der Zeitung des Kreisverbands Duisburg der LINKEN (April 2009), zur Verfügung gestellt.



Wie sieht‘s beim größten Duisburger Unternehmen — ThyssenKrupp — aus?
Binali Demir (Werk Hamborn-Beeckerwerth): In der Stahlindustrie sind seit Herbst die Aufträge weggebrochen. Die 70%ige Abhängigkeit von Autoindustrie und Zulieferern schlägt voll durch. Durch die hohen Überkapazitäten in der Autoindustrie — man spricht von 27 Mio. Autos weltweit — tobt ein heftiger Preiskampf. Bei ThyssenKruppSteel befinden sich inzwischen rd. 17000 der 19000 Beschäftigten an den sieben Standorten in Kurzarbeit. Auch der Bereich Edelstahl ist fast komplett betroffen. Die meisten verlieren fünf Schichten, aber mit dem betrieblichen Ausgleich zum Kurzarbeitergeld konnten wir 93% durchsetzen. Wer sich in einer Qualifizierungsmaßnahme befindet, hat keinen Verlust. Von den 4000 Leiharbeitern und Fremdfirmenbeschäftigten sind nur noch rd. 1700 da.
Erkan Kocalar: (ThyssenKrupp Süd): Neben der Wirtschaftskrise ist der Konzern auch durch schwere Managementfehler ins Schleudern geraten. Das neue Hüttenwerk bei Rio läuft durch bauliche und technische Pannen verspätet an, wahrscheinlich erst im Oktober dieses Jahres. Es soll Vormaterial ins Ruhrgebiet und in das neue Hüttenwerk nach Alabama liefern. Auch Alabama nimmt erst später den Betrieb auf.
Bei TKS Steel im Ruhrgebiet sind mit dem 400-Mio.-Euro-Projekt Herkules-Anlagen und Logistikkapazitäten erweitert worden; jetzt sind sie nicht ausgelastet.

Was unternimmt der Konzernvorstand gegen die Probleme?
Binali Demir: Zunächst war für den Gesamtkonzern ein Kostensenkungsprogramm von einer Mrd. vorgesehen, inzwischen sind wir bei 1,5 Mrd. Euro. Allein die Flachstahlbereiche sollen 340 Mio. Euro wegsparen. Der Personalabbau bei Steel — bedroht sind rd. 3000 Arbeitsplätze — soll über zwei Jahre verteilt 150 Mio. Euro bringen.
Ohne die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat zu fragen, wurden massive Einsparprogramme aufgelegt und ein umfassender Konzernumbau betrieben.
Die Bereiche Technologie und Aufzüge, die noch gut laufen, sollen zu einer Division
zusammenlegt werden, drei kritische Bereiche — Steel, Stainless und Services — zu einer zweiten Division zusammengefasst werden. Die Linie des Vorstands heißt: Ergebnissicherung für die Aktionäre.
Wir wollen aber nicht, dass die Belegschaften für die Krise und hauseigene Fehler bezahlen, sondern die, die Profite machen und verantwortlich sind. Anfang Januar wurden noch 608 Mio. Euro Dividenden im Gesamtkonzern ausgeschüttet. Im vergangenen Geschäftsjahr machte der Konzern noch 1,5 Mrd. Gewinn, diesmal sollen es immerhin noch 260 Mio. Euro sein.

Wie wehren sich Belegschaften und IG Metall?
Erkan Kocalar: Wir wehren uns dagegen, dass die Krise gegen uns gemünzt und die Sozialkassen geplündert werden, außerdem die Mitbestimmungsstrukturen durch Neuordnung des Konzerns verschlechtert werden. Am 26.6.08 haben fast 10000 Beschäftigte gestreikt und demonstriert. Am 6.4.09 waren es rund 14000 aus mehreren Standorten.
Wir haben uns besonders gefreut, dass Unterstützung aus anderen gesellschaftlichen Bereichen kommt. Auch DIE LINKE stand mit Aktionstagen, Infostand, Flugblättern und politischen Forderungen an der Seite der kämpfenden Belegschaften.
Betriebsbedingte Kündigungen sind für uns ebenso tabu wie die Ausbildungskapazitäten. Wir brauchen dringend eine Diskussion über die Produktstrategie, um die einseitige Abhängigkeit vom Auto weg zu kriegen, Arbeitsplätze zu halten und neue zu schaffen.

Gibt es derzeit konkrete Verhandlungen?
Binali Demir: Verhandelt wird u.a. über ein „rentennahes Ausscheiden” — 57 und älter. Die Verlängerung des Altersteilzeittarifvertrags schafft gewisse
Möglichkeiten. Abfindungsangebote wird es wohl auch geben. Wir müssen aufpassen, dass dabei keine sozialen Fallen gebaut und Rentenverluste vermieden werden. Wenn die Konditionen stimmen, könnten etwa 2200 Kollegen davon Gebrauch machen.

Wie sieht es bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann aus?
Mirze Edis: Wir durchlaufen im Jahr des 100.Firmenjubiläums die wohl größte Krise seit Gründung des Unternehmens. Von unseren noch rd. 3000 Beschäftigten fahren bis auf wenige Ausnahmen alle fünf Tage Kurzarbeit pro Monat. 160 Leiharbeiter sind schon weg, vielen wurde bereits gekündigt.
Die geplante Kokereierweiterung ist gestoppt. Die Produktion soll — auch nach Ende der Krise — um 1 Mio. Tonnen auf nur noch 4,6 Mio. Tonnen verringert werden. Die offizielle Parole „Gemeinsam für ein starkes Unternehmen” passt zu dieser Schrumpfperspektive überhaupt nicht. Ich bin auch der Meinung, dass stärker gegen gehalten werden muss. So wären noch mehr Qualifizierungsmaßnahmen möglich, zum einen, um Potenziale zu verbessern, zum andern, um die Kurzarbeit zu verringern. Auch wenn die Verluste noch nicht groß sind, Arbeitnehmer brauchen jeden Euro.

Wie wirkt sich die Krise auf TST Schienentechnik aus?
Kenan Ilhan (Betriebsrat bei TST Schienentechnik): Die Auslastung ist noch nicht dramatisch rückläufig. Wir sind nicht autoabhängig. Probleme machen die Finanzierungsmöglichkeiten unserer Kunden durch die Bankenkrise. Das spielt stark hinein, z.B. bei Exporten und Bürgschaften.
Wir erwarten neue Impulse durch das Konjunkturprogramm. Im gesamten Voest-Alpine-Konzern, zu dem wir gehören, ist nur noch die Schienenproduktion in Deutschland und Österreich gewinnbringend.

Wie schätzt du die abgeschlossene Tarifrunde ein?
Kenan Ilhan: Die Verunsicherung der organisierten Beschäftigten durch die Krise ist groß. Trotzdem gab es teilweise heftige Diskussionen darüber, ob Lohnzurückhaltung etwas bringt. Wir sind schließlich mit einer Forderung von nur 4,5 % in die Verhandlungen gegangen. Qualitative Forderungen wie Beschäftigungs- und Entgeltsicherung, Übernahme der Azubis und die Verlängerung des Altersteilzeittarifvertrags bekamen das Hauptgewicht gegenüber einer Entgeltsteigerung. Das Ergebnis von 2% ab 2010 und 350 Euro für 2009 ist sehr mager, wird aber angesichts der Krise akzeptiert. Die verdoppelte Mindestübernahme der Azubis auf 24 Monate ist ein wichtiger Erfolg.


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