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Derzeit überbieten sich vor allem zwei Interessenten, ihr Angebot
für Opel so sozialverträglich wie möglich erscheinen zu lassen, und versprechen dabei die
geringst möglichen Arbeitsplatzverluste: der italienische Autobauer Fiat und der österreichische
Autozulieferer Magna. Ob einer von ihnen zum Zuge kommt, ist jedoch noch fraglich.
Fiat wird nachgesagt, es wolle die Krise
nutzen, um preiswert zu einer Jahresproduktion von 3—4 Millionen Einheiten (Personen- und
Nutzfahrzeuge) aufzusteigen: Fiat produzierte 2007 2,7 Millionen Einheiten, Opel 1,1 Millionen, Vauxhall und
Saab (die ebenfalls zu GM Europe gehören) 400000. Diese Größenordnung würde den
italienischen Autobauer in die Lage versetzen, den Giganten Volkswagen und Toyota Konkurrenz zu machen.
Sein Konzept beruht vornehmlich auf
Rationalisierung. Europaweit will Fiat 12000 Arbeitsplätze abbauen; die Produktionskapazitäten im
neu zu bildenden Autokonzern sollen um 20% reduziert werden. GMs Modelle Agila (Produktion in Gliwice),
Corsa (Zaragoza, Eisenach) und Astra (Bochum, Antwerpen, Gliwice, Ellesmere Port) überschneiden sich
mit dem Fiat Panda (Tychy) und Punto (Serbien). Fiats jüngster Plan „Projekt Phoenix” sieht
laut Financial Times Deutschland zwei Werksschließungen vor, Luton (Vauxhall) in England und Tychy in
Polen; in Deutschland sind angeblich keine Werksschließungen vorgesehen. Auch in italienischen Werken
sollen Arbeitsplätze abgebaut werden; Details sind noch keine bekannt, doch fürchten die Arbeiter
in Pomigliano dArco (bei Neapel) und Termini Imerese (Sizilien) um den Bestand der Werke. Die
Frankfurter Rundschau will in Erfahrung gebracht haben, dass die Marke Lancia zugunsten der Marke Opel
geopfert werden soll.
Die Reduzierung der
Produktionskapazitäten um 20% bedeute nicht, dass auch die Arbeitsplätze um 20% reduziert werden,
beeilt sich Fiat-Chef Sergio Marchionne zu sagen. Die Nutzung gemeinsamer Komponenten soll jährlich
eine Einsparung von einer Milliarde Euro ergeben. Sicher ist, dass Fiat die Motorenproduktion nach Italien
holen will, um einen Synergieeffekt zu erreichen. Frühere Ankündigungen, das Werk Kaiserslautern
deshalb zu schließen, hat Fiat inzwischen dementiert, ebenso die frühere Ankündigung, 18000
Arbeitsplätze zu streichen.
Fiat will seine Autosparte aus dem Konzern
ausgliedern und mit GM-Europe und den Chrysler-Anteilen zu einem neuen Autokonzern verschmelzen, der an die
europäischen Börsen geht.
Fiats Angebot ist bei so ziemlich allen
Beteiligten auf Ablehnung gestoßen: GM ist dagegen, weil Fiat im Falle der Übernahme Opels
Technologie mitnähme, gleichzeitig aber als Mehrheitsaktionär von Chrysler Konkurrent von GM ist;
außerdem will Fiat GM am neuen Autokonzern nur zu 10% beteiligen. Fiat will an GM auch möglichst
kein Bargeld zahlen, sondern fordert Staatsbürgschaften in Höhe von 7 Mrd. Euro. Der neue
Autokonzern braucht 6,4 Mrd. Euro Kredit; er muss 4,4 Mrd. Euro Pensionsverpflichtungen von GM
gegenüber den Opelarbeitern auslösen und hat weitere 2 Mrd. Euro Schulden.
Die Opelbelegschaften sind gegen Fiat, weil
sie fürchten, unter den Hammer zu kommen. Die Bundes- und Landesregierungen fürchten, die
Staatsbürgschaften in den Sand zu setzen. Und bei der Bundesregierung mag hinzu kommen, dass sie sich
ungern einen gewachsenen Konkurrenten zu Volkswagen ins Haus holt.
Der „Genosse der Bosse” jedenfalls, ehemals Ministerpräsident von Niedersachsen und dick
mit Ferdinand Piëch, Gerhard Schröder, heute Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Staatskonzerns
Gazprom, unterstützt vehement die andere Lösung: Magna. „Magna hat auch die Sympathien von
Teilen der SPD, des europäischen GM-Managements und der Opel-Belegschaft”, schreibt das
Handelsblatt (22.5.).
Selbst die Fiat-Arbeiter in Pomigliano
dArco drücken die Daumen: Seit Wochen beobachten sie mit Sorge die Übernahmeangebote von
Fiat und fürchten, dass sie dabei über den Jordan gehen.
Das bislang einem breiteren Publikum
unbekannte österreichisch-kanadische Unternehmen ist weltweit der drittgrößte Autozulieferer;
70000 Beschäftigte erwirtschaften einen Umsatz von 20 Mrd. US-Dollar. Der Eigentümer, Frank
Stronach, ein österreichischer Auswanderer nach Kanada, hat es 1957 gegründet und in einer Ein-
Mann-Werkstatt mit der Produktion von Aufhängungen für Sonnenblenden begonnen. Später kamen
Sitze, Türschließanlagen, Spiegelsysteme und Antriebsstränge hinzu.
Heute fertigt Magna so gut wie alles, was
man für ein Auto braucht. Es beliefert 60 Autohersteller, die Hälfte des Geschäfts macht es
mit GM und Chrysler.
Magna stellt im Auftrag von Autoherstellern
aber auch ganze Autos her: den Jeep Grand Cherokee für Chrysler, die G-Klasse für Mercedes, den 9-
3 Cabrio für Saab und den X3 für BMW. Demnächst sollen die Geländevarianten des Mini und
der Aston Martin Rapide dazukommen.
Wo Fiat im Ruf steht, seinen Konzern mit dem
Geld und der Verachtung des Grandseigneurs für die Handarbeit zu führen, eilt Magna der
entgegengesetzte Ruf voraus: handwerkliche Solidität, eingeschworenes Führungsteam aus der
Steiermark, flache Konzernhierarchie und Mitarbeiterbeteiligung, aber auch unbedingte Loyalität und
unverhohlene Gewerkschaftsfeindlichkeit.
"Die Austro-Kanadier gelten als gute
Techniker, die über ausgefeiltes Knowhow verfügen” (Spiegel-Online). In seinem Unternehmen
hat Stronach in den 70er Jahren eine Betriebsverfassung eingeführt, die den Beschäftigten einen
bestimmten Anteil am Gewinn zuschreibt. Man stellt sich den Prototypen eines patriarchalisch geführten
Unternehmens vor, in dem Arbeit geachtet, aber jeder Versuch, gegenüber dem Boss einen
unabhängigen Standpunkt zu behaupten, scharf geahndet wird. Die kanadische Autogewerkschaft hat heftige
Kämpfe mit ihm ausgefochten.
Magna will sich nur 20% der Anteile an Opel
sichern, denn Magna hat nicht viel Geld, laut Stronach 1,5 Mrd. Dollar Kapitalreserven. Wegen der Krise ist
der Umsatz in diesem Jahr aber um 40% gesunken, über die Hälfte der Belegschaft ist in Kurzarbeit.
Von den Arbeitern in Graz wurden zwischen 5% und 20% Lohnverzicht gefordert — keine attraktive
Aussicht für Opelarbeiter.
Warum Magna den Opel-Deal „gestalten
will”, wie er sagt, versteht man besser, wenn man weiß, dass er nach eigenen Angaben
gegenüber GM und Chrysler 1,5 Mrd. Dollar Außenstände hat. Magna ist deshalb daran
interessiert, dass GM gestützt wird und mit im Boot sitzt. Und es ist daran interessiert, dass das neue
Unternehmen Autos baut und damit expandiert (ein Elektroauto soll ab 2011 auf den Markt kommen) — das
sichert ihm die Existenz als Autozulieferer.
Magna will, so schreibt die italienische Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore, „seine
Produktionskapazitäten im Autobereich erhöhen; dazu könnte es die ungenutzten
Fertigungslinien in den Opelwerken verwenden” 35% der Opelanteile soll GM deshalb behalten, mit 10%
sollen sich die Opel-Mitarbeiter beteiligen, und für die restlichen 35% hat sich Magna die russische
Sberbank an Bord geholt.
Die Sberbank gehört zu 60% der
russischen Zentralbank; ihren Leiter German Gref bezeichnet Spiegel-Online als „engen Vertrauten
Putins” Im Schlepptau der Bank segelt der Autohersteller Gaz, der den Wolga baut. Das Unternehmen
gehört dem Oligarchen Oleg Deripaska, der lange Zeit der reichste Mann Russlands war, bevor er durch
die Finanzkrise 25 Mrd. Dollar verlor und den russischen Staat um eine Millionenbürgschaft bitten
musste. Gaz will jedoch keine Anteile am neuen Unternehmen, sondern bietet sich nur als „industrieller
Partner” an.
Magna fordert eine staatliche
Kreditbürgschaft in Höhe von 5 Mrd. Euro; zusammen mit der Sberbank will der Zulieferer
500—700 Mio. Euro in Opel investieren. 10000 Arbeitsplätze sollen abgebaut werden, davon 2500 in
Deutschland (2200 bei Opel Bochum). Das Gros der Arbeitsplatzverluste sollen vermutlich die Belgier
(Antwerpen) und die Engländer (Luton) tragen. Als Chef des neuen Unternehmens ist der jetzige GM-
Europachef Carl-Peter Forster auserkoren; als Hauptsitz Rüsselsheim.
Die Russland-Connection eröffne die
Chance, den russischen Markt zu erschließen (20%), werben die Befürworter der „russisch-
sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Seilschaft für Opel”, wie Spiegel-Online sie nennt. Auch
eine gemeinsame Produktion mit Gaz an einem russischen Standort sei möglich. Spiegel-Online bemüht
ein historisches Vorbild: „Das 1939 aufgelegte, legendäre Gaz-Modell Probeda basierte auf dem in
Deutschland entwickelten Opel Kapitän. Zwar trifft die Autokrise das Land hart, doch die meisten
Experten sind sich sicher: In Zukunft wird Russland Deutschland als größten Automarkt Europas
ablösen."
Pech ist nur, dass Gaz laut Presseberichten
eine Milliarde Euro Schulden hat und ein Viertel der einst 120000 Arbeiter entlassen musste; 30000 weitere
Jobs gelten als gefährdet. Der Spiegel will jedoch in Erfahrung gebracht haben, dass der Kreml die
Autoindustrie zu einer Schlüsselindustrie erkoren hat, die mit russischer Staatsknete gestützt
wird. Die Sberbank habe die Führung bei Gaz übernommen, damit sei der russische Staat unmittelbar
Mitspieler auch bei Opel.
Rettet Russland einen Teil der deutschen
Autoindustrie? Das wäre 20 Jahre nach dem Mauerfall eine Wende in der Geschichte, die einem Treppenwitz
gleichkommt. Man kann auch fragen: Warum freuen sich in Deutschland jene, die auf keinen Fall wollen, dass
der deutsche Steuerzahler für Opel aufkommen soll, darüber, dass dies nun der russische
Steuerzahler tun soll?
Und schließlich kann man sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass beide Varianten der „Opel-Rettung” jeweils mehrere Lahme
zusammenbinden, damit sie auf vermintem Gelände wieder laufen lernen.
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