SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 12

Das bedingungslose Grundeinkommen (bGE)

Ein Verblendungszusammenhang

Die Wirtschaftskrise hat die Industrieländer schwerer erwischt als ihre Experten vorausgesagt haben: Im Vergleich zum 1.Quartal 2008 sank das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im 1.Quartal 2009 um 6,7%; der Rückgang hat sich über vier Quartale in Folge beschleunigt. Für das Jahr 2009 erwartet die Bundesregierung einen Rückgang um 6%. Die Welle der Arbeitslosigkeit baut sich spürbar auf. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet 2010 mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit über 5 Millionen.Gewerkschaften, Belegschaften, die politische Linke tun sich schwer mit einer angemessenen Antwort. Denn betriebliche Antworten reichen nicht mehr aus. Ein Konzept aber präsentiert sich mehr denn je als die eierlegende Wollmilchsau und Antwort auf so gut wie alle Probleme: das bedingungslose Grundeinkommen (bGE). Wer was damit verbindet und welche Fallstricke hier lauern, erklärt WOLFGANG RATZEL.



"Unserer Gesellschaft geht die Arbeit aus. Die Arbeitslosen werden nicht weniger”, schrieb Ralf Dahrendorf in der Zeit vom 17.Januar 1986. Man war entsetzt: Die Konjunktur kam oder ging — die Arbeitslosigkeit blieb. Riesenprofite und Stellenvernichtung geschahen gleichzeitig. Man „übersah” jedoch, dass nur die bezahlte reguläre Lohnarbeit ausging.
So ward ein neuer Verblendungszusammenhang geboren: Rationalisierungsbedingter Arbeitsmangel führt zu Dauermassenerwerbslosigkeit führt zu Dauermassenarmut führt zur Krise des Sozialstaats. Das bGE erschien als „last exit” und das in zweifacher Gestalt: neoliberal und kapitalismuskritisch.
Erstere entstammte der US-Diskussion der 60er Jahre: sie nennt sich Negative Einkommensteuer und verstand sich als systemkompatibles Armutsbekämpfungsprogramm.
Letztere entstand hierzulande im grünalternativen Milieu der 80er Jahre und profilierte sich als Systemüberwindungsprogramm. Man glaubte, das System zwingen zu können, „politischen Lohn” für politische Arbeit oder alternative Ökonomie zu bezahlen. Dazu noch Lohn für Hausarbeit — nicht vom Ehemann, sondern vom Gesamtpatriarchen. Und Lohn fürs Ehrenamt. Und „Befreiung von falscher Arbeit": Alle können das arbeiten, was sie wirklich, wirklich arbeiten wollen!
Die wirkliche Wirklichkeit indes schlug zurück. Nur wenigen gelang die Befreiung von falscher Arbeit; die übergroße Mehrheit sah sich befreit zum Unglücklichsein: Erwerbslosigkeit macht einsam und krank an Körper und Seele; man verdämmert im Abseits, entfähigt, perspektivlos.
Heute biedert sich das Mainstream-bGE als asoziales Entfaltungsprogramm an: Das Kapital soll sich zu seinen Zwecken, und du sollst dich zu deinen Zwecken entfalten können — auf Kosten der Anderen.
Kuriosum am Rande: Neuestens versucht man, eine bGE-Tradition zu entdecken — in Thomas Morus‘ Utopia, ausgerechnet in einem totalitären Arbeitsstaat, wo, wer nicht arbeitet, nichts zu essen bekommt: „Ihr seht: es ist unmöglich sich um Arbeit zu drücken, und es gibt keinen Vorwand für den Müßiggang” — sagt Morus.

Unterschiede

Nicht alle bGE-Modelle sind bedingungslos für alle, für die Reichsten wie für die Ärmsten. Die Negative Einkommensteuer wird nur an Einkommenslose voll ausbezahlt; für alle über dem Nullpunkt (ca. 1600 Euro) wirkt sie nur als Steuerfreibetrag.
Das bGE der Katholischen Jugend wiederum verlangt von den 18- bis 65-Jährigen eine Gegenleistung: mindestens 500 Stunden ehrenamtliche Arbeit pro Jahr.
Die „Für-Alle-Modelle” müssen nach ihrem Verhältnis zum Sozialstaat beurteilt werden. Wollen sie ihn zerschlagen oder ergänzen? An der Spitze der Sozialstaatszerschlagung steht das Modell „Sonderwirtschaftszone BRD” von Götz Werner: Das Kapital wird von allen Steuern und Abgaben entlastet; das bGE wirkt als gigantische flächendeckende Lohnsubvention; die Finanzierung läuft über eine sehr hohe Mehrwertsteuer. Die Modelle Straubhaar und Althaus verlangen wenigstens noch 50% bzw. 25% Flat-Tax.
Sozialstaatserhaltend sind das Existenzgeld und das Modell der BAG Weg mit Hartz IV der Partei DIE LINKE — Letzteres zum Preis von 1600 Mrd. Euro, das entspricht einer Staatsquote von ca. 71% des Bruttoinlandsprodukts, ein Wolkenkuckucksheim, das niemand ernst nehmen kann.
Was die Höhe betrifft, ist der 1500 Euro-Medien-Hype vorbei; bei den asozialen Modellen geht es nur noch um 600 Euro netto (800 brutto); bei Straubhaar gar um 425 netto (625 brutto). Brutto umschließt eine Grundkrankenversicherungs- Kopfprämie von 200 Euro, bei Althaus umfasst sie auch die Pflegeversicherung.
Alle bGEs liegen unter dem Brutto von Hartz IV = etwa 850 Euro + Sozialstaat. Das Argument, das bGE verhindere Niedriglöhne, ist somit vom Tisch! 425 bis 600 Euro zwingen zum Zuverdienst!
Die magische Zahl 800 ergibt sich aus einer Milchjungenrechnung: Man teilt 720 Mrd. Euro (= jährliche Kosten der Sicherungssysteme) durch 82 Mio. Berechtigte.
Faustregel: Wer allen ein bGE von brutto 800 Euro bezahlen will, muss den Sozialstaat zerschlagen.
Dennoch haben die asozialen bGE-Modelle kaum Rückhalt in den etablierten Parteien; alle schreiben Hartz IV fort. Vielleicht wird man die milliardenschweren Integrationsprogramme gegen Null kürzen, v.a. die 1-Euro-Jobs, denn Workfare ist längst zu teuer.
So oder so — es wird böse enden.


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