SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 14

"Fall Emmely"

Das Recht auf Widerstand erstreiten

Petition gegen Sonderkündigungsrechte der Unternehmer

von Gregor Zattler

Die Kündigung der streikenden Kaiser‘s-Kassiererin Emmely unter dem Vorwand, sie habe 1,30 Euro Flaschenpfand unterschlagen, hat im Februar/März zu einem unüberhörbaren Blätterrauschen und damit verbunden zu einem immensen Imageschaden für die Lebensmittelkette Kaiser‘s geführt. Seitdem ist die Kündigung von Emmely zum Fall und der Fall zum Symbol und Synonym für eine aus dem Gleichgewicht geratene soziale Ordnung geworden.
Vor allem Politiker verweisen auf die Kassiererin und ihre Kündigung, um ihrer Volksnähe unter Beweis zu stellen; sie alle betonen eine Dimension sozialer (Un-)Gerechtigkeit: Nach 31 Betriebsjahren bekommt sie die Kündigung wegen 1,30, während die Verursacher der Krise Millionenboni einstreichen. Damit finden sie Anklang beim Volk und schieben den Fall gleichzeitig derart ins Allgemeine, dass die Frage nach Konsequenzen gar nicht mehr aufkommt.
Nicht so das Komitee „Solidarität mit Emmely": Nach Emmelys Niederlage vor dem Landesarbeitsgericht ist es gleichzeitig in drei Richtungen aktiv.
Jeden Freitag ab 17 Uhr werden Flugblätter vor der Filiale Warschauer Str./Ecke Revaler Str. verteilt, bzw. finden dort Aktionen statt. Dazu kommen unregelmäßige Aktionen vor anderen Filialen in Berlin, zuletzt ein „Fest der Solidarität” zusammen mit dem Bund der Migrantinnen in Deutschland und der FAU vor der Filiale im Wrangelkiez. In Hamburg hat das dortige Sozialbündnis, in Lübeck die Basta-linke-jugend Aktionen vor Supermärkten durchgeführt. Solche Aktionen sind einfach durchzuführen und treffen überall auf breite Zustimmung.
Emmely hat Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingelegt und Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Bundesarbeitsgericht eingereicht. In beiden Verfahren werden „innerjuristische” Kämpfe ausgetragen, die mit ihrem sozialen Anlass nur noch vermittelt zu tun haben und in einer kaum nachvollziehbaren Fachsprache geführt werden. Gleichzeitig werden beide Verfahren im günstigsten Fall jeweils Jahre dauern — nur die kommentarlose Ablehnung könnte etwas schneller gehen. Hier bedarf es aufklärender Öffentlichkeitsarbeit.
Das Komitee hat deshalb beim Bundestag eine Petition für eine Bagatellgrenze bei Kündigungen und für die Pflicht zum Nachweis der Vorwürfe bei verhaltensbedingten Kündigungen eingereicht.

Bagatellgrenze einführen

Emmlys Kündigung hat dazu geführt, dass breit über völlig einseitig die Unternehmen bevorzugende Aspekte der deutschen Arbeitsrechtsprechung diskutiert wird. Das sind in diesem Fall die Verdachtskündigung, bei der oft faktisch die gekündigte Beschäftigte ihre Unschuld beweisen muss, und der Umstand, dass speziell bei Kündigungen, denen der Vorwurf eines Eigentumsdelikts zugrunde liegt, keine Bagatellgrenze gilt. In beiden Fällen handelt es sich (vor allem in Kombination) um Sonderkündigungsrechte von Unternehmen gegen Beschäftigte, die so unbequem sind, dass man sie unbedingt loswerden will: aktive Betriebsräte, Gewerkschafterinnen oder „Rädelsführer”
Gerade jetzt, in der Krise, bedarf der Widerstand gegen Massenentlassungen solcher Aktivisten. Die Linke muss sich überlegen, was sie dazu beitragen kann, sie in den Betrieben besser zu schützen. Ein Weg ist, diese arbeitsrechtlichen Instrumente abzuschaffen oder wenigstens unbrauchbarer zu machen. Im Moment sind wegen dem Medienecho auf Emmelys Kündigung die Stimmung dafür und breite Informiertheit da. Zwei Drittel der Bevölkerung halten das Urteil gegen Emmely für ungerecht. Dazu kommt, dass sich zumindest die beiden großen Parteien im Superwahljahr sozial geben müssen. Diese Situation will das Komitee „Solidarität mit Emmely” nutzen, um mit der Petition den Druck zur Änderung der Rechtsprechung zu erhöhen.
Wenn überhaupt, kann das Ziel nur erreicht werden, wenn die Petition bekannter wird. Dazu hat das Komitee „Solidarität mit Emmely” eine Kampagnen-WebSite eingerichtet: http://1euro30.de. Dort kann man sich in einen Newsletter eintragen, um Infos zu bekommen, und die Unterschriftenliste herunterladen, um Unterschriften zu sammeln. Aller Erfahrung nach erntet man beim Unterschriften sammeln ganz überwiegend positives Echo. In den Betrieben kann die Aktion genutzt werden, um die Diskussion auf die Notwendigkeit zu lenken, Aktivistinnen zu schützen. Unterschriften helfen der Petition jetzt am meisten. Das Solikomitee ist zu erreichen unter mail@emmely.org.


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