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Der neue Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, der vorher dem
Bistum Trier vorstand, hat kürzlich ein Buch mit dem Titel Das Kapital. Ein Plädoyer für den
Menschen geschrieben; äußerlich ist es nach dem Vorbild der Marx-Engels-Werkausgabe (MEW)
gestaltet ist, innen führt er eine seitenlange Auseinandersetzung mit seinem berühmten
„Namensvetter”
Da der Erzbischof früher
„christliche Gesellschaftslehre” unterrichtet hat, als eine Autorität in sozialen Fragen
gilt und auch als Kandidat für den Vorsitz der deutschen Bischofskonferenz gehandelt wird, ist es kein
Fehler, sich mit seinen Ansichten auseinander zu setzen. Sein Anliegen hat durchaus auch einen sympathischen
Zug: Er betont die „Sozialbindung des Eigentums” und fordert den Erhalt des Sozialstaats gegen
seine Verächter oder Deregulierer. Allerdings ist er auch überdeutlich bestrebt, möglichst
konziliant zu wirken und nirgends anzuecken. So bleibt die konkrete Umsetzung seiner Programmatik
merkwürdig blass.
Das Buch beginnt mit einem Brief an Karl
Marx, in dem der Bischof seiner Sorge Ausdruck verleiht, der Autor des Kapital könnte in vielen Fragen
der Einschätzung der kapitalistischen Entwicklung doch Recht gehabt haben. Vielleicht ist es nach dem
Sieg des „kapitalistischen Westens” über den „kommunistischen Osten” „zu
früh gewesen, endgültig den Stab über Sie und ihre ökonomischen Theorien zu
brechen”
Er benennt den Konzentrations- und
Zentralisierungsprozess des Kapitals, der — wie von Marx vor 150 Jahren vorhergesagt — immer
globaler abläuft und zu einem internationalen Wettbewerb um die profitträchtigsten
„Standorte” führt. In diesem Wettbewerb komme es unter der Devise „Sozialabbau und
Deregulierung” überall zu Angriffen auf Löhne und soziale Standards, was bewirke, dass die
Staaten die Steuern und Abgaben auf Unternehmenserträge und Privateinkünfte immer weiter senkten.
Die „Mittelstandsgesellschaft”
der Nachkriegszeit zerfalle und führe für viele Menschen zu immer prekäreren
Lebensbedingungen. Tendenziell ergebe sich eine immer stärkere Polarisierung zwischen den Gewinnern der
Globalisierung und den Verlierern; nicht nur in den verschiedenen Gesellschaften nehme das
Wohlstandgefälle zu, sondern auch zwischen reichen und armen Ländern.
Weltweit leben heute eine Milliarde Menschen
in absoluter Armut. Wenn man die absolute Armutsgrenze bei 2 Dollar pro Tag ansetzt, müssen über
2,5 Milliarden Menschen unter solchen Elendsbedingungen vegetieren. Der dramatischen Armut steht ein
exzessiver Reichtum gegenüber, denn mehr als die Hälfte der weltweiten Vermögen befinden sich
in der Hand von nur 2% der Weltbevölkerung; das reichste Prozent verfügt allein über 40% des
Weltvermögens.
"Betrachtet man die heutige
wirtschaftliche Entwicklung, scheinen Sie mit Ihrer Auffassung recht gehabt zu haben, dass das Kapital
stetig nach seiner Vermehrung strebt, dass es in diesem Streben im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos ist
und dass die Tendenz zur ökonomischen Globalisierung insofern dem Kapitalismus tatsächlich
immanent ist."
Der Bischof fragt: „Ist der Traum vom
Wohlstand für alle in einer marktwirtschaftlichen Ordnung ausgeträumt?” Wird der
Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen? Die Antwort: „Ich hoffe es
nicht.” Und warum? Weil das Modell der Zentralverwaltungswirtschaft vollständig gescheitert ist
und „ein trauriges Erbe” hinterlassen hat. Nun weiß er natürlich, dass Karl Marx kaum
für den „Sowjetkommunismus” verantwortlich gemacht werden kann. Er behauptet aber ohne
ernsthafte Auseinandersetzung weder mit Marx Theorie noch der Geschichte der Oktoberrevolution,
Marx Programm der „Vergesellschaftung der Produktionsmittel” laufe letztlich immer auf
eine Verstaatlichung hinaus. Und die „ungeheure Konzentration wirtschaftlicher Macht in den
Händen einer kleinen herrschenden Clique führte regelmäßig in die politische Diktatur,
auch in die totalitäre Diktatur."
Aber bisher haben Revolutionen zur
Abschaffung des Kapitalismus nur in unterentwickelten Ländern ohne demokratische Traditionen
stattgefunden. Und sie begannen in der Regel auch mit einem massiven Demokratisierungsschub, man denke nur
an das Entstehen von Räten oder Selbstverwaltungsstrukturen etwa in Russland 1917 oder in Spanien 1936.
Die Mächte der alten Ordnung (darunter auch und gerade die christlichen Kirchen) boten alle ihnen zur
Verfügung stehenden Möglichkeiten auf, die revolutionären Bestrebungen einer demokratischen
Selbstorganisation zu bekämpfen oder gar im Blut zu ersticken.
Tatsächlich ist die zentrale Frage
eines „Sozialismus des 21.Jahrhunderts” die Demokratiefrage, verstanden als demokratische
Beteilung der großen Mehrheit der Bevölkerung an der Gestaltung der Wirtschaft. Sicher, es grenzte
an ein Wunder, wenn gerade ein katholischer Bischof zum Bannerträger einer solchen Bewegung würde.
Wie sehen nun die Vorschläge des
Bischofs aus, zu einer gerechteren und sozialeren Weltwirtschaftsordnung zu kommen? Er zitiert Johannes Paul
II.: „Das Gemeinwohl der ganzen Menschheit bedeutet eine Kultur der Solidarität mit dem Ziel, der
Globalisierung des Profits und des Elends eine Globalisierung der Solidarität entgegenzuhalten.”
Wie soll das konkret aussehen? Es soll eine Global Governance geschaffen werden, ein „System von
Institutionen und Regeln, die auf die globalen Herausforderungen zugeschnitten sind”
Reinhard Marx kritisiert diejenigen
„Globalisierungsgegner”, die die internationalen Organisationen wie IWF oder WTO bekämpfen,
denn eine Global Governance sei ohne multilaterale Institutionen nicht möglich. Wir stimmen zu, dass es
dringend international durchgesetzter Standards in sozialen und ökologischen Fragen bedarf, aber die
urkapitalistischen Organisationen IWF und WTO damit beauftragen zu wollen, hieße nun wirklich, den Bock
zum Gärtner zu machen.
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