SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juni 2009, Seite 21

Moral

fürs Kapital

von Paul Kleiser

Reinhard Marx: Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen, München: Pattloch, 2008, 320 Seiten, 19,95 Euro

Der neue Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, der vorher dem Bistum Trier vorstand, hat kürzlich ein Buch mit dem Titel Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen geschrieben; äußerlich ist es nach dem Vorbild der Marx-Engels-Werkausgabe (MEW) gestaltet ist, innen führt er eine seitenlange Auseinandersetzung mit seinem berühmten „Namensvetter”
Da der Erzbischof früher „christliche Gesellschaftslehre” unterrichtet hat, als eine Autorität in sozialen Fragen gilt und auch als Kandidat für den Vorsitz der deutschen Bischofskonferenz gehandelt wird, ist es kein Fehler, sich mit seinen Ansichten auseinander zu setzen. Sein Anliegen hat durchaus auch einen sympathischen Zug: Er betont die „Sozialbindung des Eigentums” und fordert den Erhalt des Sozialstaats gegen seine Verächter oder Deregulierer. Allerdings ist er auch überdeutlich bestrebt, möglichst konziliant zu wirken und nirgends anzuecken. So bleibt die konkrete Umsetzung seiner Programmatik merkwürdig blass.
Das Buch beginnt mit einem Brief an Karl Marx, in dem der Bischof seiner Sorge Ausdruck verleiht, der Autor des Kapital könnte in vielen Fragen der Einschätzung der kapitalistischen Entwicklung doch Recht gehabt haben. Vielleicht ist es nach dem Sieg des „kapitalistischen Westens” über den „kommunistischen Osten” „zu früh gewesen, endgültig den Stab über Sie und ihre ökonomischen Theorien zu brechen”
Er benennt den Konzentrations- und Zentralisierungsprozess des Kapitals, der — wie von Marx vor 150 Jahren vorhergesagt — immer globaler abläuft und zu einem internationalen Wettbewerb um die profitträchtigsten „Standorte” führt. In diesem Wettbewerb komme es unter der Devise „Sozialabbau und Deregulierung” überall zu Angriffen auf Löhne und soziale Standards, was bewirke, dass die Staaten die Steuern und Abgaben auf Unternehmenserträge und Privateinkünfte immer weiter senkten.
Die „Mittelstandsgesellschaft” der Nachkriegszeit zerfalle und führe für viele Menschen zu immer prekäreren Lebensbedingungen. Tendenziell ergebe sich eine immer stärkere Polarisierung zwischen den Gewinnern der Globalisierung und den Verlierern; nicht nur in den verschiedenen Gesellschaften nehme das Wohlstandgefälle zu, sondern auch zwischen reichen und armen Ländern.
Weltweit leben heute eine Milliarde Menschen in absoluter Armut. Wenn man die absolute Armutsgrenze bei 2 Dollar pro Tag ansetzt, müssen über 2,5 Milliarden Menschen unter solchen Elendsbedingungen vegetieren. Der dramatischen Armut steht ein exzessiver Reichtum gegenüber, denn mehr als die Hälfte der weltweiten Vermögen befinden sich in der Hand von nur 2% der Weltbevölkerung; das reichste Prozent verfügt allein über 40% des Weltvermögens.
"Betrachtet man die heutige wirtschaftliche Entwicklung, scheinen Sie mit Ihrer Auffassung recht gehabt zu haben, dass das Kapital stetig nach seiner Vermehrung strebt, dass es in diesem Streben im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos ist und dass die Tendenz zur ökonomischen Globalisierung insofern dem Kapitalismus tatsächlich immanent ist."
Der Bischof fragt: „Ist der Traum vom Wohlstand für alle in einer marktwirtschaftlichen Ordnung ausgeträumt?” Wird der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen? Die Antwort: „Ich hoffe es nicht.” Und warum? Weil das Modell der Zentralverwaltungswirtschaft vollständig gescheitert ist und „ein trauriges Erbe” hinterlassen hat. Nun weiß er natürlich, dass Karl Marx kaum für den „Sowjetkommunismus” verantwortlich gemacht werden kann. Er behauptet aber ohne ernsthafte Auseinandersetzung weder mit Marx‘ Theorie noch der Geschichte der Oktoberrevolution, Marx‘ Programm der „Vergesellschaftung der Produktionsmittel” laufe letztlich immer auf eine Verstaatlichung hinaus. Und die „ungeheure Konzentration wirtschaftlicher Macht in den Händen einer kleinen herrschenden Clique führte regelmäßig in die politische Diktatur, auch in die totalitäre Diktatur."
Aber bisher haben Revolutionen zur Abschaffung des Kapitalismus nur in unterentwickelten Ländern ohne demokratische Traditionen stattgefunden. Und sie begannen in der Regel auch mit einem massiven Demokratisierungsschub, man denke nur an das Entstehen von Räten oder Selbstverwaltungsstrukturen etwa in Russland 1917 oder in Spanien 1936. Die Mächte der alten Ordnung (darunter auch und gerade die christlichen Kirchen) boten alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf, die revolutionären Bestrebungen einer demokratischen Selbstorganisation zu bekämpfen oder gar im Blut zu ersticken.
Tatsächlich ist die zentrale Frage eines „Sozialismus des 21.Jahrhunderts” die Demokratiefrage, verstanden als demokratische Beteilung der großen Mehrheit der Bevölkerung an der Gestaltung der Wirtschaft. Sicher, es grenzte an ein Wunder, wenn gerade ein katholischer Bischof zum Bannerträger einer solchen Bewegung würde.
Wie sehen nun die Vorschläge des Bischofs aus, zu einer gerechteren und sozialeren Weltwirtschaftsordnung zu kommen? Er zitiert Johannes Paul II.: „Das Gemeinwohl der ganzen Menschheit bedeutet eine Kultur der Solidarität mit dem Ziel, der Globalisierung des Profits und des Elends eine Globalisierung der Solidarität entgegenzuhalten.” Wie soll das konkret aussehen? Es soll eine Global Governance geschaffen werden, ein „System von Institutionen und Regeln, die auf die globalen Herausforderungen zugeschnitten sind”
Reinhard Marx kritisiert diejenigen „Globalisierungsgegner”, die die internationalen Organisationen wie IWF oder WTO bekämpfen, denn eine Global Governance sei ohne multilaterale Institutionen nicht möglich. Wir stimmen zu, dass es dringend international durchgesetzter Standards in sozialen und ökologischen Fragen bedarf, aber die urkapitalistischen Organisationen IWF und WTO damit beauftragen zu wollen, hieße nun wirklich, den Bock zum Gärtner zu machen.


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