SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Krise stellt die Gewerkschaften, die sich in den letzten
Jahrzehnten vorwiegend auf betriebliche Abwehrkonzepte konzentriert haben, vor neue Probleme:
Vielfach ist es nicht möglich, ein Werk anderes vor der Stilllegung zu bewahren als durch
die Veränderung seiner Produktpalette, was häufig auch erfordert, die
Machtverhältnisse in den Betrieben und in der Gesellschaft zu verändern.Für die
SoZ sprach Angela Klein darüber mit Hans-Jürgen Urban, der ein modernisiertes
Konzept der Wirtschaftsdemokratie vorstellt.
Hans-Jürgen Urban ist
Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall und dort zuständig
für Sozialpolitik, Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung.
In einem Beitrag für die Blätter für deutsche und internationale Politik
kritisiert du die gewerkschaftliche Interessenpolitik als „strukturkonservativ”
Richtest du diese Kritik auch an die IG Metall?
Ich habe gesagt: Wären die Gewerkschaften strukturkonservativ, dann würden sie
den Anforderungen nicht gerecht. Und strukturkonservativ wären sie, wenn sie sich
ausschließlich darauf beschränkten, die bestehenden Industriestrukturen zu
verteidigen. Mir ging und geht es dabei nicht um eine Kritik der IG Metall. Vielmehr war und
ist es meine Absicht, darauf aufmerksam zu machen, dass ein nachhaltiges Antikrisenprogramm
notwendigerweise als Doppelstrategie anzulegen ist: Dabei gilt es, die Verteidigung von
Arbeitsplätzen, Einkommen und Arbeitsstandards mit Strukturkonzepten zu verbinden, die
insbesondere dem ökologischen Umbau der Industrieproduktion Rechnung tragen.
In den derzeitigen Auseinandersetzungen um Conti, um Opel, um Karstadt, gewinnt man
aber den Eindruck, dass die bestehenden Strukturen im wesentlichen verteidigt werden und auch
die Standortpolitik fortgesetzt wird. Würdest du dem widersprechen?
Ich glaube, es ist noch ein bisschen zu früh, die Auseinandersetzungen bereits
abschließend zu bewerten, weil noch nicht geklärt ist, wie sie im Einzelfall
ausgehen. Aber man erkennt schon, wie schwierig es ist, unter den Bedingungen der
strukturellen Defensive gleichzeitig mit der Abwehr der Vernichtung von Arbeitsplätzen
auch progressive Strukturveränderungen durchzusetzen.
Mir ist aber noch ein zweiter
Aspekt wichtig: Wir haben in den Betrieben noch keine wirkliche Gegenbewegung gegen das
Shareholder-Value-Regime.Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass immer noch die kurzfristige
Orientierung an Maximalrenditen vorherrscht. Das ist eines der größten
Innovationshemmnisse in den Unternehmen. Zukunftsoptionen, die nicht sofort diese Renditen
nachweisen können, werden durch die Unterwerfung unter die Shareholder-Logik abgeblockt.
Deshalb: Parallel zu den betrieblichen Abwehrkämpfen muss sozusagen ein politischer
Aufstand gegen den Irrsinn des Sharholder-Value-Regimes organisiert werden.
Wie soll dieser politische Aufstand aussehen, und was tut die IG Metall, um ihn zu
organisieren?
Der erste Punkt ist die öffentliche Debatte. Der Vorstand der IG Metall hat einen so
genannten Frankfurter Appell beschlossen, in dem wir die Parteien im Bundestag zur Einrichtung
eines öffentlichen Untersuchungsausschusses auffordern, der Ursachen und Verantwortliche
der Finanzmarktkrise beim Namen nennt. Wir wollen damit ein öffentliches Bewusstsein
dafür schaffen, dass wir es bei der gegenwärtigen Krise mit mehr zu tun haben als
mit dem Scheitern von ein paar unverantwortlichen Zockern an den internationalen
Finanzmärkten. Mit anderen Worten: Es sind nicht nur ein paar Banker gescheitert, sondern
eine kapitalistische Entwicklungsvariante.
Man muss aber auch den
Widerstand vor Ort organisieren. Positive Beispiele gibt es genug: Ob der gegenwärtige
Arbeitskampf bei EDS, die Vakuumschmelze in Hanau oder Federal Mogul — Belegschaften,
die sich mit der Unterstützung der IG Metall für den Kampf entscheiden, gibt es
zweifellos. Aber: nicht gelungen ist bisher, die Widerstandsaktionen in den einzelnen
Betrieben zu einer gemeinsamen Strategie zu bündeln, um damit eine öffentliche
Debatte über grundlegendere Alternativen der Branchenentwicklung und der
Wirtschaftsentwicklung insgesamt anzustoßen. Das wird eine derAufgaben sein, die auf der
gewerkschaftlichen Agenda ganz oben stehen.
Es gibt Belegschaften, die stehen hier und jetzt vor der Situation, dass ihr
Unternehmen dicht gemacht werden soll — z.B. bei Autozulieferern. Was empfiehlst du
diesen Belegschaften zu tun? Die müssen ja hier und jetzt handeln?
Da gibt es keine Patentrezepte. Man wird immer die jeweilige konkrete betriebliche
Konstellation betrachten müssen. Es wird Situationen geben, in denen das Unternehmen mit
der bisherigen Produktpalette überleben kann. Es wird aber auch Fälle geben, wo dies
entweder nicht möglich oder nicht wünschenswert ist; da muss im Rahmen einer
ökologischen Umbaustrategie über andere Produkte und eine andere Art des
Produzierens nachgedacht werden. Das liefe dann auf eine forcierte Konversionsstrategie
hinaus.
Die Frage der Konversion wird in zunehmendem Maße diskutiert und eröffnet
viele neue Möglichkeiten. Selbst in Attac zerbricht man sich jetzt den Kopf, wie Betriebe
durch Genossenschaften weiter geführt werden können. Die Debatte wird konkreter.
Ich bin auch der Auffassung, dass man im Verlauf der jetzt anstehenden Konflikte alte
Tabus knacken und, wo notwendig, auch über Enteignung und Vergesellschaftung reden muss
— z.B. darüber, ob man Unternehmen teilweise oder ganz ins Eigentum der
Beschäftigten übergehen lassen, oder den Genossenschaftsgedanken wiederbeleben kann.
Die Gewerkschaften müssen sich auch diesen Debatten wieder öffnen.
Das wird uns aber nicht die
Frage ersparen: Was machst du dann mit diesen Unternehmen, deren Eigentumsform sich
geändert hat? Dann bist du wieder bei der Diskussion über die Produkte und die
Konversion.
Ich habe mit Interesse gelesen, dass die IG Metall einen Zukunftsfonds fordert. Zu
welchem Zweck soll er eingerichtet werden?
Die Idee ist kurz gefasst die: Die Unternehmen, die krisenbedingt in ökonomische
Schwierigkeiten geraten sind und nicht mehr genügend Substanz haben, um die Krise zu
überstehen und die Arbeitsplätze zu erhalten, bekommen, unter strengen Auflagen, aus
einem Beteiligungsfonds — Public Equity Fonds — öffentliche
Unterstützung. Dieser Fonds soll aus einer Zwangsanleihe auf Einkommen über 750000
Euro gespeist werden; nach unseren überschlägigen Berechnungen könnte er auf
ein Volumen von 100 Milliarden Euro kommen.
Es muss jedoch Auflagen geben,
damit das Geld nicht dazu verwendet wird, weiterzumachen wie bisher. Was sind die Konditionen?
Erstens Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen; zweitens verbindliche Einhaltung aller
Arbeitnehmerrechte, beginnend beim Tarifvertrag und endend bei den Mitbestimmungsrechten der
Beschäftigten; drittens ein Zukunftskonzept für die Unternehmen, das insbesondere
den Aspekten des Strukturwandels und der Konversion Rechnung trägt.
Und viertens: Wo
öffentliches Geld fließt, muss daraus öffentliches Eigentum entstehen. Das
öffentliche Eigentum muss genutzt werden, um öffentlichen Einfluss auf die
Unternehmen auszuüben. Wenn diese öffentliche Einflussnahme über
öffentliches Eigentum nicht organisiert wird, wird es keinen Strukturwandel geben.
Wer soll den Fonds kontrollieren? Wer sitzt im Ausschuss?
Es soll ein Steuerungsgremium geben mit Vertretern der Arbeitgeber, der öffentlichen
Hand und der Gewerkschaften. Er hätte einerseits konkrete betriebliche Fragen zu
lösen, müsste sich aber auch mit Fragen der regionalen Strukturentwicklung
beschäftigen. Wenn man öffentlich Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen will,
muss man eine Vorstellung davon haben, in welche Richtung sich die Region entwickeln soll.
Vertreter der Öffentlichkeit aus der Region müssen also daran beteiligt werden.
Die Gewährung
öffentlicher Mittel an einzelne Unternehmen könnte auf der Grundlage regionaler
Entwicklungsvorstellungen getroffen werden. Ein Beteiligungsfonds könnte mithin zu einem
umfassenden Steuerungsgremium für die regionale Wirtschaftsentwicklung werden. Er
könnte in Ansätzen die Aufgaben übernehmen, die wir früher mit den
Wirtschafts- und Sozialräten verbunden haben — allerdings in einer neuen und viel
intensiveren Form der öffentlichen Einflussnahme und öffentlichen Steuerung
wirtschaftlicher Prozesse.
Wie kommen da die Belegschaften zum Zug?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Alles, was ich jetzt dargelegt habe, sind Elemente eines
neuen Modells von Wirtschaftsdemokratie, das sich von den klassischen Konzepten unterscheidet.
Demokratisierung der Wirtschaft muss, wie man heute sagt, auf mehreren Ebenen stattfinden. Die
staatliche Ebene ist ganz wichtig; doch mehr Bedeutung als in den klassischen Konzepten muss
die regionale und die betriebliche Ebene erhalten. Es müssen Formen gefunden werden, wie
außerbetrieblich getroffene Entscheidungen über die Entwicklung der Region mit
innerbetrieblich getroffenen Entscheidungen und Selbstbestimmungsprozessen der Belegschaften
koordiniert werden. Das muss Hand in Hand gehen und auch die europäische Ebene
einbeziehen.
Ende Juni findet eine Aktionskonferenz statt, auf der weitere Schritte gegen die Krise
besprochen werden. Wird sich die IG Metall daran beteiligen? Was schlägt sie den sozialen
Bewegungen vor, gemeinsam gegen die Krise zu tun?
Die IG Metall wird auf jeden Fall weiter Interesse an diesen Bündnissen haben. Ich
gehe davon aus, dass es in den nächsten Monaten auch für die
globalisierungskritische Bewegung Möglichkeiten gibt, sich mit betrieblichen Kämpfen
zu solidarisieren, von denen ich glaube, dass sie zunehmen werden. Das könnte ein
Bündnis stärker zusammenschweißen. Dabei wird die Offenheit der Gewerkschaften
für Anforderungen aus den sozialen Bewegungen genauso wichtig sein wie die Bereitschaft
von Teilen der Sozialforumsbewegung und anderen, sich stärker für die Gewerkschaften
und die betrieblichen Kämpfe zu öffnen, die auf sie warten.
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