SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 05

Ein neues Modell der Wirtschaftsdemokratie

Hans-Jürgen Urban über die Politik der Gewerkschaften in der Krise

Die Krise stellt die Gewerkschaften, die sich in den letzten Jahrzehnten vorwiegend auf betriebliche Abwehrkonzepte konzentriert haben, vor neue Probleme: Vielfach ist es nicht möglich, ein Werk anderes vor der Stilllegung zu bewahren als durch die Veränderung seiner Produktpalette, was häufig auch erfordert, die Machtverhältnisse in den Betrieben und in der Gesellschaft zu verändern.Für die SoZ sprach Angela Klein darüber mit Hans-Jürgen Urban, der ein modernisiertes Konzept der Wirtschaftsdemokratie vorstellt.
Hans-Jürgen Urban ist Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall und dort zuständig für Sozialpolitik, Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung.

In einem Beitrag für die Blätter für deutsche und internationale Politik kritisiert du die gewerkschaftliche Interessenpolitik als „strukturkonservativ” Richtest du diese Kritik auch an die IG Metall?

Ich habe gesagt: Wären die Gewerkschaften strukturkonservativ, dann würden sie den Anforderungen nicht gerecht. Und strukturkonservativ wären sie, wenn sie sich ausschließlich darauf beschränkten, die bestehenden Industriestrukturen zu verteidigen. Mir ging und geht es dabei nicht um eine Kritik der IG Metall. Vielmehr war und ist es meine Absicht, darauf aufmerksam zu machen, dass ein nachhaltiges Antikrisenprogramm notwendigerweise als Doppelstrategie anzulegen ist: Dabei gilt es, die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Einkommen und Arbeitsstandards mit Strukturkonzepten zu verbinden, die insbesondere dem ökologischen Umbau der Industrieproduktion Rechnung tragen.

In den derzeitigen Auseinandersetzungen um Conti, um Opel, um Karstadt, gewinnt man aber den Eindruck, dass die bestehenden Strukturen im wesentlichen verteidigt werden und auch die Standortpolitik fortgesetzt wird. Würdest du dem widersprechen?

Ich glaube, es ist noch ein bisschen zu früh, die Auseinandersetzungen bereits abschließend zu bewerten, weil noch nicht geklärt ist, wie sie im Einzelfall ausgehen. Aber man erkennt schon, wie schwierig es ist, unter den Bedingungen der strukturellen Defensive gleichzeitig mit der Abwehr der Vernichtung von Arbeitsplätzen auch progressive Strukturveränderungen durchzusetzen.
Mir ist aber noch ein zweiter Aspekt wichtig: Wir haben in den Betrieben noch keine wirkliche Gegenbewegung gegen das Shareholder-Value-Regime.Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass immer noch die kurzfristige Orientierung an Maximalrenditen vorherrscht. Das ist eines der größten Innovationshemmnisse in den Unternehmen. Zukunftsoptionen, die nicht sofort diese Renditen nachweisen können, werden durch die Unterwerfung unter die Shareholder-Logik abgeblockt. Deshalb: Parallel zu den betrieblichen Abwehrkämpfen muss sozusagen ein politischer Aufstand gegen den Irrsinn des Sharholder-Value-Regimes organisiert werden.

Wie soll dieser politische Aufstand aussehen, und was tut die IG Metall, um ihn zu organisieren?

Der erste Punkt ist die öffentliche Debatte. Der Vorstand der IG Metall hat einen so genannten Frankfurter Appell beschlossen, in dem wir die Parteien im Bundestag zur Einrichtung eines öffentlichen Untersuchungsausschusses auffordern, der Ursachen und Verantwortliche der Finanzmarktkrise beim Namen nennt. Wir wollen damit ein öffentliches Bewusstsein dafür schaffen, dass wir es bei der gegenwärtigen Krise mit mehr zu tun haben als mit dem Scheitern von ein paar unverantwortlichen Zockern an den internationalen Finanzmärkten. Mit anderen Worten: Es sind nicht nur ein paar Banker gescheitert, sondern eine kapitalistische Entwicklungsvariante.
Man muss aber auch den Widerstand vor Ort organisieren. Positive Beispiele gibt es genug: Ob der gegenwärtige Arbeitskampf bei EDS, die Vakuumschmelze in Hanau oder Federal Mogul — Belegschaften, die sich mit der Unterstützung der IG Metall für den Kampf entscheiden, gibt es zweifellos. Aber: nicht gelungen ist bisher, die Widerstandsaktionen in den einzelnen Betrieben zu einer gemeinsamen Strategie zu bündeln, um damit eine öffentliche Debatte über grundlegendere Alternativen der Branchenentwicklung und der Wirtschaftsentwicklung insgesamt anzustoßen. Das wird eine derAufgaben sein, die auf der gewerkschaftlichen Agenda ganz oben stehen.

Es gibt Belegschaften, die stehen hier und jetzt vor der Situation, dass ihr Unternehmen dicht gemacht werden soll — z.B. bei Autozulieferern. Was empfiehlst du diesen Belegschaften zu tun? Die müssen ja hier und jetzt handeln?

Da gibt es keine Patentrezepte. Man wird immer die jeweilige konkrete betriebliche Konstellation betrachten müssen. Es wird Situationen geben, in denen das Unternehmen mit der bisherigen Produktpalette überleben kann. Es wird aber auch Fälle geben, wo dies entweder nicht möglich oder nicht wünschenswert ist; da muss im Rahmen einer ökologischen Umbaustrategie über andere Produkte und eine andere Art des Produzierens nachgedacht werden. Das liefe dann auf eine forcierte Konversionsstrategie hinaus.

Die Frage der Konversion wird in zunehmendem Maße diskutiert und eröffnet viele neue Möglichkeiten. Selbst in Attac zerbricht man sich jetzt den Kopf, wie Betriebe durch Genossenschaften weiter geführt werden können. Die Debatte wird konkreter.

Ich bin auch der Auffassung, dass man im Verlauf der jetzt anstehenden Konflikte alte Tabus knacken und, wo notwendig, auch über Enteignung und Vergesellschaftung reden muss — z.B. darüber, ob man Unternehmen teilweise oder ganz ins Eigentum der Beschäftigten übergehen lassen, oder den Genossenschaftsgedanken wiederbeleben kann. Die Gewerkschaften müssen sich auch diesen Debatten wieder öffnen.
Das wird uns aber nicht die Frage ersparen: Was machst du dann mit diesen Unternehmen, deren Eigentumsform sich geändert hat? Dann bist du wieder bei der Diskussion über die Produkte und die Konversion.

Ich habe mit Interesse gelesen, dass die IG Metall einen Zukunftsfonds fordert. Zu welchem Zweck soll er eingerichtet werden?

Die Idee ist kurz gefasst die: Die Unternehmen, die krisenbedingt in ökonomische Schwierigkeiten geraten sind und nicht mehr genügend Substanz haben, um die Krise zu überstehen und die Arbeitsplätze zu erhalten, bekommen, unter strengen Auflagen, aus einem Beteiligungsfonds — Public Equity Fonds — öffentliche Unterstützung. Dieser Fonds soll aus einer Zwangsanleihe auf Einkommen über 750000 Euro gespeist werden; nach unseren überschlägigen Berechnungen könnte er auf ein Volumen von 100 Milliarden Euro kommen.
Es muss jedoch Auflagen geben, damit das Geld nicht dazu verwendet wird, weiterzumachen wie bisher. Was sind die Konditionen? Erstens Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen; zweitens verbindliche Einhaltung aller Arbeitnehmerrechte, beginnend beim Tarifvertrag und endend bei den Mitbestimmungsrechten der Beschäftigten; drittens ein Zukunftskonzept für die Unternehmen, das insbesondere den Aspekten des Strukturwandels und der Konversion Rechnung trägt.
Und viertens: Wo öffentliches Geld fließt, muss daraus öffentliches Eigentum entstehen. Das öffentliche Eigentum muss genutzt werden, um öffentlichen Einfluss auf die Unternehmen auszuüben. Wenn diese öffentliche Einflussnahme über öffentliches Eigentum nicht organisiert wird, wird es keinen Strukturwandel geben.

Wer soll den Fonds kontrollieren? Wer sitzt im Ausschuss?

Es soll ein Steuerungsgremium geben mit Vertretern der Arbeitgeber, der öffentlichen Hand und der Gewerkschaften. Er hätte einerseits konkrete betriebliche Fragen zu lösen, müsste sich aber auch mit Fragen der regionalen Strukturentwicklung beschäftigen. Wenn man öffentlich Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen will, muss man eine Vorstellung davon haben, in welche Richtung sich die Region entwickeln soll. Vertreter der Öffentlichkeit aus der Region müssen also daran beteiligt werden.
Die Gewährung öffentlicher Mittel an einzelne Unternehmen könnte auf der Grundlage regionaler Entwicklungsvorstellungen getroffen werden. Ein Beteiligungsfonds könnte mithin zu einem umfassenden Steuerungsgremium für die regionale Wirtschaftsentwicklung werden. Er könnte in Ansätzen die Aufgaben übernehmen, die wir früher mit den Wirtschafts- und Sozialräten verbunden haben — allerdings in einer neuen und viel intensiveren Form der öffentlichen Einflussnahme und öffentlichen Steuerung wirtschaftlicher Prozesse.

Wie kommen da die Belegschaften zum Zug?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Alles, was ich jetzt dargelegt habe, sind Elemente eines neuen Modells von Wirtschaftsdemokratie, das sich von den klassischen Konzepten unterscheidet. Demokratisierung der Wirtschaft muss, wie man heute sagt, auf mehreren Ebenen stattfinden. Die staatliche Ebene ist ganz wichtig; doch mehr Bedeutung als in den klassischen Konzepten muss die regionale und die betriebliche Ebene erhalten. Es müssen Formen gefunden werden, wie außerbetrieblich getroffene Entscheidungen über die Entwicklung der Region mit innerbetrieblich getroffenen Entscheidungen und Selbstbestimmungsprozessen der Belegschaften koordiniert werden. Das muss Hand in Hand gehen und auch die europäische Ebene einbeziehen.

Ende Juni findet eine Aktionskonferenz statt, auf der weitere Schritte gegen die Krise besprochen werden. Wird sich die IG Metall daran beteiligen? Was schlägt sie den sozialen Bewegungen vor, gemeinsam gegen die Krise zu tun?

Die IG Metall wird auf jeden Fall weiter Interesse an diesen Bündnissen haben. Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Monaten auch für die globalisierungskritische Bewegung Möglichkeiten gibt, sich mit betrieblichen Kämpfen zu solidarisieren, von denen ich glaube, dass sie zunehmen werden. Das könnte ein Bündnis stärker zusammenschweißen. Dabei wird die Offenheit der Gewerkschaften für Anforderungen aus den sozialen Bewegungen genauso wichtig sein wie die Bereitschaft von Teilen der Sozialforumsbewegung und anderen, sich stärker für die Gewerkschaften und die betrieblichen Kämpfe zu öffnen, die auf sie warten.


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