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Es war einmal ein alter Salzstock. Vor ca. 250 Millionen Jahren,
in der sog. Zechsteinzeit, wurden Salze aus dem Meer ausgeschieden. Erst lagen sie flach da,
vor 110 Millionen Jahren falteten sie sich zum heutigen, östlich von Wolfenbüttel
gelegenen Assesattel auf. Und dann kamen fleißige Menschen und begannen zu graben und zu
bohren...
...an dieses Zitat aus Heinrich Spoerls Feuerzangenbowle müssen kollektiv eine ganze
Reihe von Politikern gedacht haben, als das ganze Ausmaß des Skandals um das
„Erkundungsbergwerk” (vulgo: die illegale Giftmüllkippe) öffentlich
wurde. Jedem, der es wissen wollte, war er seit langem bekannt.
Am lautesten empörte sich
der Bundesumweltminister: Weder der Betreiber, die Helmholtz-Gesellschaft München (HMGU),
noch das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie als
bergrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde hätten das Verfahren nach
atomrechtlichen Maßstäben geführt, sagte Gabriel laut Tagesschau. Und er schob
eine Reihe von Vorwürfen nach: Der Betreiber habe keine Sachkunde, es sei illegal
Kernbrennstoff (sprich: Plutonium) eingelagert worden, usw. usf. — zählte also all
das auf, was nun zum großen Bedauern der Atommafia sowieso nicht mehr zu leugnen war.
Janz dumm stellte sich auch
sein Vorgänger Trittin, der laut ddp eine strafrechtliche Klärung der Vorgänge
in der Asse verlangte: „Es gebe den Verdacht, dass in der Asse entgegen der Genehmigung
auch hochaktiver Müll in Form von Brennstäben eingelagert worden sei."
Als er dann allerdings die
Schuld dem Forschungsministerium zuschieben wollte, geriet er an die Falsche. Frau Schavan,
die mit der Übernahme der Verantwortung nach dem Desaster mit der HMGU meinte, sie sei
gestraft genug, sagte ausnahmsweise einmal etwas Richtiges: Trittin sei schließlich
sieben Jahre Umweltminister gewesen, aber er habe mit der Asse nichts zu tun haben wollen. Da
hatte sie Recht, aber das ging nicht nur Trittin so.
Mit der Asse wollte schon seit
Jahren niemand mehr etwas zu tun haben. Dass Gabriel von 1999 bis 2003 Ministerpräsident
von Niedersachsen war, dem Bundesland, dessen Bergamt für die Asse zuständig war,
und in dem es nebenbei gesagt eine breite Bewegung gegen die Atommülldeponie gab, als er
Mitglied der Jusos war, hindert ihn nicht daran, jetzt so zu tun, als hätte er von nichts
gewusst. Und alle anderen, quer durch alle damals wie jetzt zuständigen Parteien, machen
es genauso.
...schon lange bevor seit 1988 täglich 12 Kubikmeter Lauge in die Asse II liefen. Denn
unser alter Salzstock war ja bereits durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Angefangen hatte alles im
Jahre 1899 mit dem Schacht Asse 1.1905 musste er aufgegeben werden: es brach Lauge ein. Und so
zog man knapp anderthalb Kilometer weiter und teufte einen neuen Schacht ab. In den wurde nach
dem Ende des Abbaus zwischen 1967 und 1978 der schwach und mittel aktive atomare Müll
gekippt und, wie man heute weiß, noch einiges mehr — über das sämtliche
Verantwortlichen, auch die seinerzeitigen Ministerpräsidenten Niedersachsens Albrecht,
Schröder und Gabriel, den Mantel des Schweigens breiteten.
Und wenn jetzt alle so tun,
als hätten sie nichts gewusst, so sei nur daran erinnert, dass 1978 der damalige
Ministerpräsident Ernst Albrecht aufgrund des Fehlens eines atomrechtlichen
Planfeststellungsverfahrens das Ende der Einlagerungen verfügte, und dass es seit Mitte
der 70er Jahre regelmäßig Aktionen, Demonstrationen und auch gerichtliche Klagen von
Gegnern der Asse gab.
Eine der ersten Klagen
stützte sich auf genau das, was inzwischen eingetreten ist, nämlich das
unkontrollierbare Eindringen von Flüssigkeit. Dabei handelt es sich um Salzlauge, die in
der Lage ist, mittelfristig den Zement, in dem die Abfälle eingeschlossen sind, zu
zerstören.
Herausholen kann man den Dreck
nicht mehr. Nicht nur, dass einige Fässer beim Abkippen kaputtgegangen sind und deshalb
auf mindestens einer Sohle die Lauge kontaminiert ist, es war auch nie beabsichtigt. Die
Deklarierung als sog. Erkundungsbergwerk war reiner Etikettenschwindel. Umweltminister Gabriel
hat dies auch zugegeben — wahrscheinlich ohne es zu merken. In seiner scheinheiligen
Philippika gegen die Asse prägte er gegenüber der Tagesschau den denkwürdigen
Satz: „Es gab nie ein sicheres Endlager Asse.” Genau genommen gab es nie ein
Endlager Asse — es gab immer nur ein Erkundungsbergwerk...
...hat man zunächst einmal der Einfachheit halber der HGMU zugewiesen. Weil keiner der
Politiker, einschließlich des alten Antiatomaktivisten Trittin, etwas mit der Asse zu tun
haben wollte, hatte man die elegante Lösung geschätzt, den groß angelegten
Menschen- und Grundwasserversuch sozusagen aus der Politik auszulagern. Somit kann die HGMU
sich nicht beschweren. Sie hat genau die Rolle gespielt, für die sie bestimmt war: den
Prügelknaben.
Immerhin hat sie, bzw. ihre
Rechtsvorgängerin, es geschafft, zwischen 1967 und 1978 rund 126000 Fässer mit
schwach- und mittelaktiven Atomabfällen aus dem Verkehr zu ziehen — von den
illegalen Einlagerungen ganz zu schweigen.
Der Sprecher des seit neuestem
für die Asse zuständigen Bundesamts für Strahlenschutz, Florian Emrich, gab im
März nämlich bekannt, dass sich unter den 126000 Fässern mit nuklearem Abfall
auch gut ein Dutzend Fässer mit entsorgten hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln
befänden.
Aber Undank ist der Welt Lohn:
Da hat man sich um die Müllbeseitigung so verdient gemacht, ganz selbstlos die
Atomindustrie auch noch bei Zahlungen höchst großzügig behandelt, und dann
bezeichnet Minister Gabriel, mit dem man damals als Ministerpräsident doch prima klar
kam, die schöne Müllgrube als „die problematischste kerntechnische Anlage, die
wir in Europa finden”
Wenn es Herrn Gabriel
tröstet: Ganz Recht hat er nicht. Tschernobyl ist noch schlimmer.
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