SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 06

Atom- und Giftmüllkippe Asse: Die Ahnungslosen

Keiner will für die illegalen Einlagerungen im Bergwerk Asse verantwortlich sein

von Thadeus Pato

Es war einmal ein alter Salzstock. Vor ca. 250 Millionen Jahren, in der sog. Zechsteinzeit, wurden Salze aus dem Meer ausgeschieden. Erst lagen sie flach da, vor 110 Millionen Jahren falteten sie sich zum heutigen, östlich von Wolfenbüttel gelegenen Assesattel auf. Und dann kamen fleißige Menschen und begannen zu graben und zu bohren...

Da stelle mer uns janz dumm...

...an dieses Zitat aus Heinrich Spoerls Feuerzangenbowle müssen kollektiv eine ganze Reihe von Politikern gedacht haben, als das ganze Ausmaß des Skandals um das „Erkundungsbergwerk” (vulgo: die illegale Giftmüllkippe) öffentlich wurde. Jedem, der es wissen wollte, war er seit langem bekannt.
Am lautesten empörte sich der Bundesumweltminister: Weder der Betreiber, die Helmholtz-Gesellschaft München (HMGU), noch das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie als bergrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde hätten das Verfahren nach atomrechtlichen Maßstäben geführt, sagte Gabriel laut Tagesschau. Und er schob eine Reihe von Vorwürfen nach: Der Betreiber habe keine Sachkunde, es sei illegal Kernbrennstoff (sprich: Plutonium) eingelagert worden, usw. usf. — zählte also all das auf, was nun zum großen Bedauern der Atommafia sowieso nicht mehr zu leugnen war.
Janz dumm stellte sich auch sein Vorgänger Trittin, der laut ddp eine strafrechtliche Klärung der Vorgänge in der Asse verlangte: „Es gebe den Verdacht, dass in der Asse entgegen der Genehmigung auch hochaktiver Müll in Form von Brennstäben eingelagert worden sei."
Als er dann allerdings die Schuld dem Forschungsministerium zuschieben wollte, geriet er an die Falsche. Frau Schavan, die mit der Übernahme der Verantwortung nach dem Desaster mit der HMGU meinte, sie sei gestraft genug, sagte ausnahmsweise einmal etwas Richtiges: Trittin sei schließlich sieben Jahre Umweltminister gewesen, aber er habe mit der Asse nichts zu tun haben wollen. Da hatte sie Recht, aber das ging nicht nur Trittin so.
Mit der Asse wollte schon seit Jahren niemand mehr etwas zu tun haben. Dass Gabriel von 1999 bis 2003 Ministerpräsident von Niedersachsen war, dem Bundesland, dessen Bergamt für die Asse zuständig war, und in dem es nebenbei gesagt eine breite Bewegung gegen die Atommülldeponie gab, als er Mitglied der Jusos war, hindert ihn nicht daran, jetzt so zu tun, als hätte er von nichts gewusst. Und alle anderen, quer durch alle damals wie jetzt zuständigen Parteien, machen es genauso.

Es tropfte...

...schon lange bevor seit 1988 täglich 12 Kubikmeter Lauge in die Asse II liefen. Denn unser alter Salzstock war ja bereits durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Angefangen hatte alles im Jahre 1899 mit dem Schacht Asse 1.1905 musste er aufgegeben werden: es brach Lauge ein. Und so zog man knapp anderthalb Kilometer weiter und teufte einen neuen Schacht ab. In den wurde nach dem Ende des Abbaus zwischen 1967 und 1978 der schwach und mittel aktive atomare Müll gekippt und, wie man heute weiß, noch einiges mehr — über das sämtliche Verantwortlichen, auch die seinerzeitigen Ministerpräsidenten Niedersachsens Albrecht, Schröder und Gabriel, den Mantel des Schweigens breiteten.
Und wenn jetzt alle so tun, als hätten sie nichts gewusst, so sei nur daran erinnert, dass 1978 der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht aufgrund des Fehlens eines atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens das Ende der Einlagerungen verfügte, und dass es seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig Aktionen, Demonstrationen und auch gerichtliche Klagen von Gegnern der Asse gab.
Eine der ersten Klagen stützte sich auf genau das, was inzwischen eingetreten ist, nämlich das unkontrollierbare Eindringen von Flüssigkeit. Dabei handelt es sich um Salzlauge, die in der Lage ist, mittelfristig den Zement, in dem die Abfälle eingeschlossen sind, zu zerstören.
Herausholen kann man den Dreck nicht mehr. Nicht nur, dass einige Fässer beim Abkippen kaputtgegangen sind und deshalb auf mindestens einer Sohle die Lauge kontaminiert ist, es war auch nie beabsichtigt. Die Deklarierung als sog. Erkundungsbergwerk war reiner Etikettenschwindel. Umweltminister Gabriel hat dies auch zugegeben — wahrscheinlich ohne es zu merken. In seiner scheinheiligen Philippika gegen die Asse prägte er gegenüber der Tagesschau den denkwürdigen Satz: „Es gab nie ein sicheres Endlager Asse.” Genau genommen gab es nie ein Endlager Asse — es gab immer nur ein Erkundungsbergwerk...

Den schwarzen Peter...

...hat man zunächst einmal der Einfachheit halber der HGMU zugewiesen. Weil keiner der Politiker, einschließlich des alten Antiatomaktivisten Trittin, etwas mit der Asse zu tun haben wollte, hatte man die elegante Lösung geschätzt, den groß angelegten Menschen- und Grundwasserversuch sozusagen aus der Politik auszulagern. Somit kann die HGMU sich nicht beschweren. Sie hat genau die Rolle gespielt, für die sie bestimmt war: den Prügelknaben.
Immerhin hat sie, bzw. ihre Rechtsvorgängerin, es geschafft, zwischen 1967 und 1978 rund 126000 Fässer mit schwach- und mittelaktiven Atomabfällen aus dem Verkehr zu ziehen — von den illegalen Einlagerungen ganz zu schweigen.
Der Sprecher des seit neuestem für die Asse zuständigen Bundesamts für Strahlenschutz, Florian Emrich, gab im März nämlich bekannt, dass sich unter den 126000 Fässern mit nuklearem Abfall auch gut ein Dutzend Fässer mit entsorgten hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln befänden.
Aber Undank ist der Welt Lohn: Da hat man sich um die Müllbeseitigung so verdient gemacht, ganz selbstlos die Atomindustrie auch noch bei Zahlungen höchst großzügig behandelt, und dann bezeichnet Minister Gabriel, mit dem man damals als Ministerpräsident doch prima klar kam, die schöne Müllgrube als „die problematischste kerntechnische Anlage, die wir in Europa finden”
Wenn es Herrn Gabriel tröstet: Ganz Recht hat er nicht. Tschernobyl ist noch schlimmer.


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