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Die Wünsche von Frauen und Männern hinsichtlich der
Arbeitszeit fallen gar nicht so weit auseinander.
"Wer sich nicht wehrt,
kommt an den Herd” — das war eine der Parolen der Gewerkschaftsfrauen bei der
großen DGB-Demonstration gegen den Sozialabbau im September 1983 in Bonn gewesen. Frauen
wehrten sich damals vor allem gegen die Neuauflage der konservativen
Mütterlichkeitsideologie. Selbst bei manchen CDU-Frauen stieß es auf
Unverständnis, dass es die „Mutterarbeit” sein sollte, die zur
Selbstverwirklichung führt. Die Frauen in Bonn forderten statt dessen
Arbeitszeitverkürzung im Interesse der Frauen.
Was die Gewerkschaftsfrauen
damals schon wussten, wird heute immer deutlicher: Für Frauen ist
Arbeitszeitverkürzung nichts Neues. Sie haben sie bereits, allerdings ohne Lohnausgleich.
Sie erhalten sie durch Teilzeitarbeit, Minijobs und andere ungeschützte
Beschäftigungsverhältnisse und vielfältige flexible Arbeitsformen, von denen
sie nicht leben können.
Ein Drittel aller
erwerbstätigen Frauen arbeitet Teilzeit — nur ein Zwanzigstel der
erwerbstätigen Männer. 84% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 42% aller
erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit. Die Hälfte aller Teilzeitbeschäftigten
erhält ein Bruttoeinkommen unter 800 Euro. Frauen stellen 71% der geringfügigen
Beschäftigten, 94% der in privaten Haushalten Beschäftigten, 75% der in Minijobs
Beschäftigten und 68% der Niedriglöhner.
Zwar sind heute mehr Frauen
erwerbstätig als in den 70er Jahren. Ihr Arbeitsvolumen ist seit Jahrzehnten jedoch
gleich geblieben und liegt bei etwa 41%; viele können nicht von ihrem Erwerbseinkommen
leben. Sie sind arm und abhängig von zusätzlichen Sozialleistungen oder vom (Ehe-
)Mann. Teilzeitarbeit und insbesondere Minijobs programmieren auch die Altersarmut von Frauen
vor. Die von manchen Wissenschaftlern prognostiziere „Geschlechterrevolution”, die
eine Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung diesseits und jenseits des
Arbeitsmarktes zur Folge haben soll, hat bis jetzt nicht stattgefunden. Geschaffen wurde die
Teilzeithausfrau. Flexibel und billig ist sie durch die Arbeitgeber einzukaufen. Ein weiterer
Ausbau der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist abzusehen.
Um Haus- und Sorgearbeiten und
Berufsarbeit zu vereinbaren, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung
stehen oder weil ihnen in ihrem Beruf kein „ganzer Arbeitsplatz” angeboten wird,
nehmen vor allem Frauen die Arbeitsverhältnisse mit kürzeren Arbeitszeiten.
Prekäre Arbeitsverhältnisse bekommen aber auch Frauen angeboten, die keine
Familienpflichten haben (wollen).
95% der abhängig
beschäftigten Männer sind Vollzeit beschäftigt, auch wenn sie Väter sind.
Auch viele Frauen möchten mehr Stunden arbeiten und mehr Geld verdienen. Das geht aus
einer Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und
Arbeitsbedingungen hervor. Personen mit langen Arbeitszeiten wollen eher kürzer, Personen
mit sehr kurzen Arbeitszeiten eher länger arbeiten. Die Arbeitszeitwünsche von
Männern und Frauen unterscheiden sich in geringerem Maße als ihre tatsächlichen
Arbeitszeiten. In allen 15 untersuchten EU-Mitgliedsstaaten werden durchschnittlich
kürzere Arbeitszeiten gewünscht, aber Frauen wollen weg von der marginalen Teilzeit
zu längeren Arbeitszeiten mit besserer Entlohnung. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen
Untersuchungen der Universität Flensburg und der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bei
Realisierung der Arbeitszeitwünsche würden in Deutschland die
geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung um mehr als vier
Stunden schrumpfen. Damit würde auch die Möglichkeit zur egalitären Verteilung
der unbezahlten Arbeiten wachsen.
Wir brauchen existenzsichernde, sinnvolle Erwerbsarbeit für alle, die das wollen. Eine
radikale Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Bereich der Vollerwerbsarbeit ist dafür
unbedingt notwendig. Ebenso allerdings eine Begrenzung der wöchentlichen
Höchstarbeitszeit, inklusive einer Begrenzung der Mehrarbeit und einer Zurücknahme
der Rente mit 67.
Ebenso brauchen wir ein
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und mehr Mitbestimmungsrechte im Betrieb,
denn ohne Einflussnahme der Beschäftigten wird auch die Arbeitszeitverkürzung zu
weiterer Rationalisierung und Intensivierung der Arbeit führen. In allen Bereichen
menschlicher Arbeit (auch in den jetzt unbezahlt geleisteten), sind Veränderungen hin zu
humanen, demokratischen, persönlichkeitsförderlichen Arbeitsbedingungen notwendig.
Um Arbeit wirklich
existenzsichernd zu gestalten, brauchen wir die Einführung eines Mindestlohnes, von dem
man leben kann, die Abschaffung von 1-Euro-Jobs und von geringfügigen
Beschäftigungsverhältnissen, einen Rechtsanspruch auf qualifizierte und kostenlose
Ganztagsbetreuung für Kinder aller Altersgruppen, die Abschaffung aller Gesetze, die eine
Lebensform — z.B. die Ehe — begünstigen, und die Einführung einer
eigenständigen sozialen Sicherung für Frauen.
Schließlich geht es um
eine Umverteilung der begrenzt vorhandenen, (jetzt) bezahlt geleisteten, sinnvollen und
gesellschaftlich nützlichen Arbeit und der (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeit, an die
die gleichen Kriterien zu stellen sind. Notwendig werden auch Überlegungen, wie die
gesellschaftlich notwendige Arbeiten, die derzeit noch unbezahlt geleistet werden,
künftig in den regulär bezahlten Bereich übergehen können.
Das sind alles alte Rezepte,
es wird höchste Zeit endlich einen neuen Kuchen danach zu backen!
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