SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 15

Europawahlen: Eine Ohrfeige für die EU

Eine Wahlanalyse

Anspruch und Wirklichkeit klafften noch nie soweit auseinander: Konservative, Liberale und Grüne jubeln über ihr Ergebnis bei der Europawahl 2009 und feiern den Absturz der Sozialdemokratie. Die Wahrheit ist, dass bei einer Wahlbeteiligung von europaweit nur noch 42,9% das Europaparlament allmählich jeden Anspruch verwirkt, ein Wahlvolk zu repräsentieren: Misst man die Stimmanteile der Parteien nämlich an der Zahl der Wahlberechtigten (nicht an der Zahl der abgegebenen Stimmen), kommt in Deutschland allein die Union mit 16% auf ein zweistelliges Ergebnis. Die Wahrheit ist weiter, dass mit Ausnahme der Grünen und der Sonstigen alle Fraktionen im EP verloren haben (die Verluste fallen in Sitzen drastischer aus als in Prozentpunkten, weil das neue EP um 50 Sitze kleiner ist).
Die Wahrheit ist drittens, dass die Reaktion auf das deutsche Wahlergebnis, die fast nur den Katzenjammer bei der SPD hervorhob, ebenfalls wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat: Die Hauptverliererin der Europawahl 2009 ist nämlich die Union (mit 7,5 Prozentpunkten und 7 Sitzen weniger), während die Verluste der SPD mit 0,7 Prozentpunkten und einer gleichbleibenden Sitzzahl gering geblieben sind — ihren großen Einbruch erlebte die SPD bei den Wahlen 2004 und 2005.
Der krasse Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit spricht Bände darüber, wieweit die politische Kaste sich von der Realität im Land entfernt hat. Abweichend vom europäischen Gesamtergebnis haben in der BRD (bei leicht verbesserter Wahlbeteiligung) die Liberalen zugelegt — und zwar viel stärker als die Grünen; die Sonstigen haben sich nur schwach verbessert.
Die nachstehenden Auszüge aus einer Wahlanalyse kommentieren das Ergebnis aus der Sicht der Strömung Antikapitalistische Linke (AKL) in der Partei DIE LINKE. (Angela Klein)



AKL: Zum Ausgang der Europawahlen

Die LINKE in Deutschland gehört nicht zu den Verliererinnen der Wahl zum Europäischen Parlament vom 7. Juni 2009. Sie hat ihr Stimmenergebnis gegenüber dem Ergebnis der PDS bei der Europawahl 2004 um 400000 Stimmen auf 1,97 Millionen verbessert. Sie hat mit 8 Mandaten ein zusätzliches Mandat im EU-Parlament gewonnen. Dennoch werden der Wahlkampf und das Ergebnis in der Mitgliedschaft, der Anhängerschaft und in der veröffentlichten Meinung als unbefriedigend und hinter den Erwartungen zurückgeblieben bewertet...
Das überragende politische Ergebnis der Europawahl ist die Bestätigung der großen Legitimationsdefizite dieses zentralen Projekts der herrschenden kapitalistischen Klasse in Europa bei ihrem Versuch, sich im weltweiten Konkurrenzkampf zu behaupten. Fast 60% der Wahlberechtigten boykottierten die Wahl. Ein Viertel der verbliebenen 40% stimmte zudem für Gegner der EU-Verträge. Es bleibt also die für immer mehr kapitalistische Projekte typische Eindrittelunterstützung bei der Bevölkerung. Würde sich dies in einem der von der bürgerlichen Klasse verteufelten Staaten ereignen, wäre in den Medien von Wahlfarce und Schlag ins Gesicht der Herrschenden die Rede, was in der Bild-Schlagzeile des Nachwahltags immerhin auch angedeutet wurde. Das Europa des Kapitals und des Lissabonner Vertrags wird fast nur noch von einem Teil „der Alten und der Gebildeten” angenommen, wie es der ARD-Moderator am Wahlabend zusammenfasste. Die EU- Propaganda greift offensichtlich nur bei den Besserverdienenden, die zweifellos auch nur zu den Gewinnern in der EU zählen.
Die konservativen und bürgerlichen Parteien haben ihre politische Dominanz in Europa ausbauen können. Allerdings mit einer Stärkung des nationalistischen und extrem rechten Flügels in ihren Reihen oder an ihrem Rand. Das reflektiert die schon beim Krisenmanagement der EU-Regierungen in den letzten Monaten aufbrechenden Meinungsverschiedenheiten der nationalen Einzelregierungen innerhalb der EU. Wenn etwas bei dieser Wahl mobilisierend war, und zwar auf der rechten wie auf der linken Seite, dann der mehr oder weniger konkretisierte „Euro-Skeptizismus”
Die europäische Sozialdemokratie stürzt weiter ab. Zehn Jahre nach der in der Geschichte der Sozialdemokratie größten politischen Zustimmung bei Wahlen und Regierungsführung in fast allen EU- Staaten befinden sich die Parteien der Sozialistischen Internationale, insbesondere in ihren Stammländern, im Sturzflug. Sie haben offensichtlich für lange Zeit ihre Hauptfunktion erfüllt und die Staaten erfolgreich in das prokapitalistische und militaristische EU-Projekt und in die aktuelle Austeritätspolitik geführt. Aber selbst in der größten Krise vergisst Franz Müntefering, Vorsitzender der SPD, nicht auch noch die zweite große Aufgabe der Sozialdemokratie: Sein zweiter Satz in jedem Kommentar am Wahlabend nach dem Jammern über das eigene Abschneiden lautete: „Wir haben erfolgreich verhindert, dass die LINKE weiteren Zulauf erhält.” Dieses schräge Selbstbewusstsein mag belächelt werden, aber niemand sollte sich Illusionen machen: Die antikapitalistische Linke und namentlich die Partei DIE LINKE zu bekämpfen, bleibt erklärte historische Aufgabe der SPD.

Die Linke

Die antikapitalistische Linke konnte ihren politischen Einfluss über die EU-Wahlen nicht vergrößern. Die Fraktion GUE-NGL wird von 41 auf 33 Mitglieder aus 11 Staaten schrumpfen. Die stärkste Gruppierung darin ist DIE LINKE mit ihren 8 Abgeordneten...
Gewonnen haben die Linken neben nationalen Themen vor allem aus einer deutlichen Ablehnung des Lissabonner Vertrags.
Die LINKE verpasste Mobilisierungserfolge aus dem Lager der Nichtwähler und mobilisierte nur die Hälfte der Stimmen, die sie bei der Bundestagswahl 2005 erzielte — erreichte also gut 2 Millionen Wähler nicht mehr. In den Westbundesländern steigerte sie ihre Stimmen gegenüber der EU-Wahl 2004 um mehr als das Doppelte, in den Ostbundesländern verlor sie 100000 Stimmen. Wie bei allen Wahlen wurde die LINKE auch diesmal überdurchschnittlich von Erwerbslosen und von Männern im Alter zwischen 50 und 65 Jahren gewählt. Der Anteil derjenigen, die schon bei den letzten Wahlen die LINKE gewählt haben ist hoch, höher als bei den anderen Parteien. Die LINKE hat somit schon fast eine lokalisierbare Stammwählerschaft. Darin fehlen allerdings, wie auch in der Mitgliedschaft, die Frauen. Die Charakterisierung als „Protestwählerpartei” ist demnach falsch, im Gegenteil, es ist DER LINKEN nicht gelungen, bei der EU-Wahl ein solches Image aufzubauen und damit Stimmen zu mobilisieren.

Auszug aus der Erklärung der Antikapitalistischen Linken, 14.6.2009;. In voller Länge.


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