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„Geld ist genug da.” Über Jahre war dies die
linke Antwort auf die neoliberale Behauptung, der zufolge leere Staatskassen zu Sozialabbau
und unzureichende Unternehmensgewinne zu Lohnzurückhaltung zwingen.
Trotz unzulänglicher
Daten zur Einkommens- und Vermögensverteilung konnten linke Ökonomen plausibel
zeigen, dass öffentliche Armut mit der Explosion privaten Reichtums in den Händen
einer kleinen Schar von Superreichen einherging.
Ebenso eindeutig war der
Nachweis, dass die Unternehmensgewinne den unbegrenzt ins Kraut schießenden
Gewinnerwartungen von Vermögensbesitzern und Börsenhändlern zwar hinterher
hechelten, nach dem Rückgang in den 70er und frühen 80er Jahren aber wieder an Werte
aus der Wirtschaftswunderzeit anknüpfen konnten. Diese Gewinnzunahme war umso
bemerkenswerter, als die Wachstumsraten der 50er und 60er Jahre nicht wieder erreicht werden
konnten; einzelne Branchen hatten mit Überkapazitäten zu kämpfen, und auf dem
industriellen Profit lastete die Forderung nach steigenden Dividenden.
Als Ursache für diese
Entwicklung konnte die Umverteilung zulasten der Arbeitseinkommen ausgemacht werden. Anders
als in der Nachkriegszeit konnte Produktivitätswachstum nicht mehr in steigende
Reallöhne übersetzt werden und floss daher in die Kassen privater Unternehmen.
Obwohl ein steigender Anteil der Erlöse von dort in die Taschen der Besitzer von
Finanzvermögen floss, konnte sich auch der industrielle Profit von seinem zeitweiligen
Niedergang erholen.
Die Schlussfolgerung aus der
Analyse war eindeutig: Geld ist genug da.
Daraus ergaben sich
Forderungen: Statt den Ansprüchen der Aktionäre konnten Unternehmen ebenso gut
gewerkschaftliche Lohnforderungen erfüllen und trotzdem weiterhin eine
großzügige Profitrate erzielen. Private Finanzvermögen konnten zur Finanzierung
öffentlicher Ausgaben herangezogen werden, statt Börsenumsätze,
Spekulationsblasen und letztlich Finanzkrisen zu fördern. Anlage suchendes Kapital konnte
von der Börse und aus privaten Schuldverschreibungen abgezogen und in Kredite oder sogar
in Steuern an die öffentlichen Haushalte umgelenkt werden — damit wurde nicht nur
die Gefahr von Finanzkrisen vermindert, es konnten im öffentlichen Sektor auch
Arbeitsplätze geschaffen werden, die zur Schaffung zusätzlichen Reichtums beitragen
würden.
Aus steigenden Reallöhnen
ergab sich eine steigende Massenkaufkraft, die ihrerseits für steigende Wachstumsraten
gesorgt hätte.
So schlüssig diese Argumentation auch war, ihre Resonanz blieb begrenzt. Industrie-
und Finanzkapital ließen sich durchaus nicht, wie im linkskeynesianischen
Expansionsprogramm vorgesehen, gegeneinander ausspielen, weil Produktionsmittelbesitzer in
aller Regel auch groß im Finanzgeschäft aktiv sind und an der Durchsetzung
neoliberaler Akkumulationsstrategien tätigen Anteil haben.
Gewerkschaften bedienten sich
zwar gern der linkskeynesianischen Rhetorik, wollten aber im entscheidenden Augenblick bei
Tarifverhandlungen nicht die Reste ihrer sozialpartnerschaftlichen Verbindungen ins
Unternehmerlager auf dem Altar steigender Löhne und Massenkaufkraft opfern.
Umweltschützer kritisierten, dass linkskeynesianische Wachstumsprogramme nicht mit dem
notwendigen Übergang zu einer ökologischen Produktionsweise vereinbar seien, und
radikale Linke mochten der Klassenkollaboration keine zweite Chance geben.
Solche Einwände hinderten
allerdings weder die Aktivisten neuer sozialer Bewegungen noch die kleine Schar radikaler
Linker an dem gelegentlichen Versuch, ihren jeweiligen Forderungen mit dem
linkskeynesianischen Ceterum Censeo Nachdruck zu verschaffen: Geld ist genug da.
Bevor sich aus dieser
Gemengelage eine politisch wirkungsvolle Einheitsfront gegen den Neoliberalismus durchsetzen
konnte, war die Wirtschaftskrise da. In deren Folge wurden riesige Finanzvermögen
vernichtet und erhebliche öffentliche Gelder zur Eindämmung der finanziellen
Kernschmelze ausgegeben.
Selbst Prognostiker, die
für das nächste oder übernächste Jahr einen Wirtschaftsaufschwung
versprechen, gehen davon aus, dass die Unternehmensgewinne mangels Umsatz auf absehbare Zeit
sehr niedrig ausfallen werden.
Zudem ist ein
sozialpsychologischer Effekt zu beachten: Vor der Krise überführte der demonstrative
Luxuskonsum von Vermögensbesitzern, Industriellen und ihren Führungskadern deren
gegenüber Gewerkschaften, Sozialverbänden und Finanzministern ständig
behauptete Geldknappheit der Lüge — und trug damit erheblich zum
Legitimationsverlust des Neoliberalismus bei.
In der Krise aber klingt das
Argument, angesichts der Vermögens- und Unternehmensverluste, der Berge von alten und
neuen Schulden sei für Löhne oder soziale und ökologische
Wohlfühlprogramme kein Geld da, viel überzeugender, als vor dem Ausbruch Krise. Wenn
im Herzen des Kapitalismus Finanzgiganten wie Lehman Brothers und Industriekonzerne wie
General Motors den Gang zum Konkursrichter antreten, muss es um die internationale Bourgeoisie
schlecht bestellt sein. Fast hat man den Eindruck, die Eigentümer von Finanzvermögen
und Produktionsmitteln seien von der Krise viel stärker betroffen als die Arbeiter, die
ihren Arbeitsplatz oder Teile ihrer Löhne und Sozialversicherungen verlieren. Der
Eindruck wird noch dadurch unterstrichen, dass der Luxuskonsum gegenwärtig weniger einer
gaffenden Öffentlichkeit demonstriert, als hinter verschlossenen Türen genossen
wird.
Folgt daraus, dass nach Ausbruch der Krise nicht mehr genug Geld da ist, um steigende
Löhne, Sozialleistungen, öffentliche Infrastruktur und vielleicht sogar den
Übergang zu einer ökologischen Produktionsweise zu finanzieren?
Ein Blick auf die
Börsenkurse lässt vermuten, dass zumindest zum Spekulieren immer noch genug Geld da
ist. Beherzte Interventionen von Finanzministern und Zentralbanken konnten die
vollständige Entwertung von Finanzvermögen verhindern.
Wie die dabei aufgelaufenen
Staatsschulden zurückgezahlt werden, bereitet Vermögensbesitzern keine Sorge.
Sozialpartnerschaftlich begründete Forderungen: „Wenn Geld zur Rettung von
Finanzvermögen da ist, muss auch etwas für den Sozialstaat abfallen”, werden
schon jetzt durch eine „Schuldenbremse” ausgebremst.
Aus der Reservierung der
Staatskasse für die Sanierung von Finanzvermögen und Profiten folgt freilich noch
lange nicht, dass die Kredite irgendwann einmal zurückgezahlt werden können. Sollte
es statt zu einem Aufschwung zu anhaltender Stagnation kommen, werden die dafür
aufgenommenen Staatsschulden ebenso zu „Abschreibungsfällen” wie die Kredite,
die in der Vergangenheit spekulative Börsengeschäfte finanziert und die
gegenwärtige Krise schließlich herbeigeführt haben.
Doch soweit mögen
Vermögensbesitzer und Industrielle nicht in die Zukunft sehen. Augenblicklich sind sie
froh, den Börsenkrach mit einem blauen Auge überstanden zu haben. Fürs erste
fühlen sie sich als Krisengewinnler, die ihr gerade noch vor dem Untergang gerettetes
Geld fleißig an der Börse investieren.
Ob dahinter der Glaube an
einen künftigen Aufschwung oder bloß der Mut der Verzweiflung steckt, mag
dahingestellt bleiben. Aus der gegenwärtigen Börseneuphorie bereits Anzeichen
für einen dauerhaften Aufschwung herauslesen zu wollen, scheint kühn —
bestenfalls handelt es sich um ein kurzes Zwischenhoch durch Auffüllung von
Lagerbeständen, und die beginnende Stagnation hat schon wieder eine neue Blase
herbeigeführt.
Wichtiger für die Linke
ist, dass die Krisengewinne gegenwärtig zulasten der Arbeiterklasse und der Natur
eingefahren werden, ist die Frage nach dem Geld für soziale und ökologische Zwecke.
Wie heutige und frühere
Finanzkrisen zeigen, kann sich Geld als flüchtige Illusion erweisen. An einem Tag reicht
die Hoffnung auf neue Börsenrekorde, um der Bank einen Kredit aus dem Rücken zu
leiern, am andern Tag fordert die Bank Rückzahlung in bar. In einer modernen
Geldwirtschaft ist natürlich nicht viel Bares in der Kasse und lässt sich auch nicht
auftreiben, wenn über Nacht alle Kreditnehmer um Barzahlung gebeten werden —
außer der Staat hilft kurzfristig aus.
In diesem Geschäft wird
die Arbeiterklasse die letzte sein, die kurzfristig Geld auftreiben kann, weil sie von
vornherein die eigentumslose Klasse sind.
Aus diesem Grund sollte die
Linke weniger nach dem Geld sehen als nach den sozialen Verhältnissen, die das Geld im
Kapitalismus repräsentiert. Nach Marx ist Geld allgemeiner Wertausdruck. Dieser Wert wird
von den besitzlosen Klassen geschaffen, der darin enthaltene Mehrwert von den Vermögens-
und Produktionsmittel besitzenden Klassen angeeignet.
Wenn das stimmt, geht es nicht
darum, Geld in die Hand zu bekommen, sondern die Produktions- und Lebensbedingungen in die
eigenen Hände zu nehmen.
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