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Bei der Debatte über das Existenzgeld darf die aktuelle
Mainstream-Debatte nicht ignoriert werden.
Ein Modebegriff hat in diesen Wochen
in allen politischen Lagern Konjunktur: das bedingungslose Grundeinkommen oder auch Existenzgeld.
Auf einmal scheinen sich alle einig. Der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus,
hat das solidarische Bürgergeld für alle als eine der Antworten auf die sog. Krise der
Arbeitsgesellschaft in die Diskussion gebracht.
Der Drogerist Götz Werner, der
von betrieblicher Interessenvertretung in seiner Firma wenig hält, wird plötzlich vom
Außenseiter, den man gerne mal in eine Talkshow einlud, um ihr einen Hauch von Exotik zu geben,
zum vielgefragten Gesprächspartner. Intellektuelle Kritiker der Arbeitsgesellschaft, wie der
Buchautor Wolfgang Engler, sehen sich ebenso bestätigt, wie grüne Arbeitsmarktpolitiker,
die natürlich darauf hinweisen, dass sie Pioniere dieser Idee waren. Da verschmerzen sie es
schon, dass sie in der aktuellen Diskussion höchstens in Fußnoten erwähnt werden.
Merkwürdigerweise wird dieser
Mainstream-Diskurs von Jan Ole Arps in seinem Lob auf das Existenzgeld gar nicht erwähnt.
Natürlich hat seine Vorstellung von einem Existenzgeld mit all diesen Modellen zur Rettung des
Standorts Deutschlands nichts zu tun. Betont er doch, dass er auch für eine radikale
Arbeitszeitverkürzung und einen Mindestlohn eintrete, um zu verhindern, dass durch das
Existenzgeld das Anwachsen eines Niedriglohnsenkens vorangetrieben werden könnte. Doch die
Ignoranz der Mainstream-Debatte kann sich gerade für Anhänger eines emanzipatorischen
Existenzgelds rächen. Es wäre schließlich nicht das erste Mal, dass Forderungen aus
der Linken vom herrschenden Block aufgegriffen und in ihrem Sinne umgestaltet wurde.
Ein Beispiel ist die Forderung nach
Arbeitszeitverkürzung, die noch in den 80er Jahren in Westdeutschland die Forderung eines
breiten politischen Bündnisses war, das weit über die Gewerkschaften hinausreichte. Seit
die Arbeitszeitverkürzung ein Synonym für die Verdichtung der Arbeitszeit geworden ist,
wurde die Mobilisierung dafür äußerst schwierig. Droht nicht beim gegenwärtigen
gesellschaftlichen Kräfteverhältnis das Existenzgeld zum Synonym für einen staatlich
subventionierten Niedriglohnsektor und das Schleifen der Sozialsysteme zu werden, wenn die Linke
diese Debatte einfach ignoriert?
In der Argumentation von Jan Ole befindet sich auch ein Widerspruch. Einerseits betont er, dass
das Existenzgeld in seinen Augen keine Durchsetzungschancen hat. Andererseits erklärt er, dass
es ihm seine gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsbedingungen als „Teil des
„akademischen Prekariats” hier und heute erleichtern würde, weil er beispielsweise
nicht gezwungen wäre, jeden Job anzunehmen. Nur muss ich mich dann fragen, warum er die
Durchsetzung eines für ihn akzeptablen Existenzgelds beim gegenwärtigen
Kräfteverhältnis für aussichtsreicher hält, als den genau so mühsamen Kampf
um bessere Arbeitsbedingungen?
Sicherlich sind gewerkschaftliche
Alltagskämpfe gerade unter Freiberuflern, wozu ich mich als Journalist auch zähle, sehr
zäh. Eigene Organisierungsversuche haben mir gezeigt, dass es selbst unter linken Kollegen
schwierig bis unmöglich war, ein gemeinsames Vorgehen zu vereinbaren, mit dem konkrete
Verbesserungen, bspw. tarifliche Honorare, Bezahlung des vereinbarten und nicht des abgedruckten
Textes usw. hätten durchgesetzt werden können.
Trotzdem sehe ich für mich
keine einzige Lösung im Existenzgeld. Das würde konkret bedeuten, den Kampf um eine
gemeinsame Organisierung aufzugeben. Es bestünde die Gefahr, dass noch viel mehr Kolleginnen
und Kollegen für wenig oder gar kein Honorar arbeiten würden, weil sie ja das Existenzgeld
zur Absicherung haben und der Kampf für gemeinsame Interessen noch schwieriger würde.
Dabei rede ich keinesfalls einem
Arbeitsethos das Wort, der die gesicherte Existenz an eine Leistung koppelt. Ich bin mit Jan Ole
einig darin, dass alle Zwangsmechanismen abgeschafft werden müssen, die Menschen heute zur
Lohnarbeit verpflichtet, ohne dass ich dabei den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen aufgeben
würde. Dafür ist noch immer die Organisierung von Lohnabhängigen und Erwerbslosen die
Grundlage. Dabei könnte eine schon in Erwerbslosenbewegung verwendete Parole die gemeinsame
Grundlage sein: „Von der Arbeit muss man leben können — ohne Arbeit auch."
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