SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2009, Seite 24

Birdwatchers. Das Land der roten Menschen

Brasilien/Italien 2008, Regie: Marco Bechis

von Angela Huemer

Ein Boot voller Touristen gleitet den Amazonas entlang, es wird langsamer, am Ufer stehen Eingeborene, Gesichter und Körper bemalt, Pfeil und Bogen in der Hand. Die Touristen und die Menschen am Ufer blicken einander an. So langsam, wie das Boot am ursprünglichen Urwaldleben vorbei gleitet, gleiten wir in den Film hinein.
Bald merken wir, dass das, was die Touristen sehen, nur inszeniertes Begleitprogramm ihres Ausflugs auf dem Fluss war, die Indios wurden angeheuert, sie leben im Reservat, an den Rand gedrängt, Statisten in einer Welt, die einst die ihre war. Zwei der jugendlichen Indios gehen jagen und finden zwei junge Mädchen erhängt an einem Baum. Nahe ihrem Fundort werden sie beerdigt, die Mutter eines der Mädchen wirft Handy und Kleider ins Grab ihrer Tochter, moderne Grabbeigaben. Eine Gruppe von Indios vom Stamm der Guaraní-Kaiowa verlässt das Reservat, durchquert eine moderne Stadt auf ihrem Pferdekarren, Autos fahren vorbei, mit ihnen Tonfetzen, Andeutungen des modernen Brasilien - der Film spielt im Bundesstaat Mato Grosso do Sul.
In Brasilien leben noch etwa 46000 Angehörige des Volkes der Guaraní, in Paraguay etwa 42000; dort ist ihre Sprache neben Spanisch auch Landessprache. Sie waren eines der ersten Völker, mit denen die europäischen Eroberer vor rund 500 Jahren in Kontakt kamen. In ihrer Religion steht die Beziehung zu ihrem Land im Mittelpunkt, Land ist der Ursprung allen Lebens und ein Geschenk des „Großen Vaters”
Im Film wird das klar, als die kleine Gruppe Guaraní Land besetzt, wo ihre Ahnen liegen, Tekoha, ein Brachland neben einem großen Ackerland. Nach und nach nehmen sie es in Besitz. Ihr Anführer ist Nadio. Auf dem Feld lässt sich in einem schäbig aussehenden Wohnwagen ein „Cowboy” nieder, angeheuert vom Besitzer des Feldes (auf dem, wie wir aus dem Presseheft erfahren, genmanipulierte Pflanzen wachsen), um den Besitz zu überwachen. Der Besitzer wohnt nicht weit entfernt in einem komfortablen, kolonialen Landhaus, gemeinsam mit den Touristen, die vor allem hierher kommen, um Vögel zu beobachten.
Ganz langsam entwickeln sich die Dinge; während der „Kolonialherr” auch legal nichts gegen die „Eindringlinge” unternehmen kann, ist seine Tochter einfach neugierig, sie verliebt sich in einen der jungen Indios.
Der Versuch des Neuanfangs außerhalb des Reservats ist schwierig, Nadio will nicht, dass jemand von der Gruppe für die Weißen arbeitet, der Wald soll sie ernähren. Doch die Frauen rebellieren, im Wald ist nichts mehr, nur Angues, der böse Geist.
Der Film bezieht klar Stellung, malt aber nicht schwarz-weiß. Nadio ist keineswegs nur der stolze, unbestrittene Anführer seiner Gruppe, seine Schwäche wird vor allem im Kontrast zu den bestimmenden Frauen der Gruppe deutlich. Das tut dem Film gut, auch die Tatsache, dass der Regisseur Marco Bechis sich auf Bilder verlässt und auf die Stärke seiner Darsteller.
Brasilien ist neues Terrain für den Regisseur Marco Bechis, er hat jedoch Erfahrung mit politisch engagierten Filmen. Seit Beginn der 1980er lebt er in Mailand, er wurde aber in Chile als Sohn einer Chilenin und eines Italieners geboren. Später zog die Familie nach Buenos Aires, wo Bechis als junger Grundschullehrer mit der Militärdiktatur in Konflikt geriet. Er wurde verhaftet und war sogar einige Tage in einem Folterlager — erst auf Druck seiner Eltern wurde er in ein normales Gefängnis verlegt. Wenig später emigrierte er nach Italien.
Seine eigenen Erfahrungen in Argentinien mündeten in seinen erfolgreichsten Film, Junta. Eine junge Studentin wird von der Militärpolizei verhaftet und findet im Gefängnis ihren schüchternen, in sie verliebten Mitbewohner wieder — als einen der Verhörspezialisten.
Während Junta sehr konkret und beklemmend ist, ist Birdwatchers. Das Land der roten Menschen eine Parabel. Marco Bechis nimmt hier die Perspektive der Guaraní ein, sie sind die Hauptfiguren. Bechis vermeidet konkrete Informationen während des Films, doch er führt uns sachte und klug in eine ganz fremde Welt hinein und erzeugt den Wunsch, viel mehr darüber zu erfahren.


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