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70 Jahre nach dem Überfall auf Polen, mit dem
der Zweite Weltkrieg begann, ist Deutschland wieder auf der Suche nach einer Rolle als militärische Großmacht. Das — nicht die
„Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch” — ist das Motiv, warum deutsche Soldaten in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel setzen
müssen und jedes Jahr 500 Mio. Euro Steuergelder für diesen Krieg verbrannt werden.
Am Hindukusch gibt es nichts, was für die deutsche Bevölkerung von
Bedeutung wäre: weder Rohstoffe, noch Handelspartner noch Urlaubsgebiete. (Das wäre freilich noch kein Grund, dort Krieg zu führen.)
Am Hindukusch ist die Bundeswehr nur, weil Deutschland meint, militärische Bedeutung erlangen und dafür den Abenteuern der USA
nachlaufen zu müssen.
Die behaupten immer noch, dort einen Krieg gegen den Terror zu führen. Dabei
sind die Ausbildungslager von Al Qaeda, die die Taliban zugelassen hatten, längst zerstört und verlassen; Al Qaeda operiert heute vor allem
von Pakistan aus. Dort wird die Gruppe von den Amerikanern kaum behelligt; deren Krieg in Afghanistan aber verfolgt längst andere Ziele, die nichts
mehr mit Terrorbekämpfung, sondern mit Weltmachtspielen zu tun haben.
Was haben die Taliban an sich, dass um ihretwillen in den letzten acht Jahren 1300
Soldaten der Interventionstruppen ihr Leben lassen mussten, ganz zu schweigen von den Opfern der afghanischen Zivilbevölkerung, die in die
Tausende gehen? Sie hängen einer äußerst reaktionären, patriarchalischen und frauenfeindlichen Auslegung ihrer Religion und
Vorstellung von Gesellschaft an — aber das tun die Saudis nicht minder, und die erfreuen sich bester Beziehungen zum „großen
Bruder” Der Fehler, den jedoch die Taliban in den Augen der USA haben, ist, dass sie nicht ihr Vasallenstaat sein wollen. Die USA, die die Taliban
anfangs hochgerüstet haben, haben erst dann angefangen, in ihnen einen Erzfeind zu sehen, als diese sich weigerten, dem Bau der Ölpipeline
zuzustimmen, die von den zentralasiatischen Republiken zum Arabischen Meer führen sollte; die Maßnahme richtete sich gegen Russland.
Berater des interessierten Ölkonzerns Unocal war damals Hamid Karsai; für seine Willfährigkeit wurde er dann Staatspräsident,
nachdem die USA einen „Regime change” herbeigeführt hatten.
Die Pipeline wurde trotzdem nicht gebaut. Dennoch sprechen britische Generäle
davon, die NATO müsse noch 30—40 Jahre im Land bleiben, der deutsche Kriegsminister spricht von 5—10 Jahren. Was ist denn jetzt
das Kriegsziel?
Der britische Oberkommandierende sagt: „Aus Afghanistan soll ein stabiler,
demokratischer Staat werden” (SZ, 13.8.09). Wenn das ein Kriegsgrund ist, könnte die NATO der halben Welt den Krieg erklären. Sie
ist auch grandios damit gescheitert, denn die Präsenz der NATO hat die Verhältnisse im Land weder stabilisiert noch demokratischer
gestaltet. Selbst Bevölkerungsschichten, die dem westlichen Einmarsch gegenüber anfangs aufgeschlossen waren, wenden sich heute den
Taliban zu; die Regierung Karsai ist wegen ihrer Korruptheit, ihrer Vetternwirtschaft und der Brutalität der Warlords, auf die sie sich stützt, so
verhasst wie nie zuvor.
Dennoch wird sie vom Westen gestützt. Im Namen der Demokratie duldet er in
Afghanistan, was er sonst aufs Heftigste geißelt: Wahlbetrug. Schon bei den Wahlen 2004 berichteten Beobachter von
Unregelmäßigkeiten — die wurden übergangen. Damals waren noch 7 Millionen Wahlbürger eingeschrieben; diesmal sind
es 17 Millionen; in vielen Wahlbüros wurden weit mehr Frauen als Männer registriert (NZZ, 9.8.09). Am Wahlbetrug kann man fühlen,
trotzdem berichten westliche Medien fast ausschließlich über Versuche der Taliban, die Wahlen zu torpedieren. „Wir alle
müssen uns diese Wahlen schönreden”, zitiert die NZZ einen westlichen Beobachter aus Afghanistan. Müssen wir das?
Unvoreingenommene Beobachter wie Thomas Ruttig, der bis 2006 selber die
Bundesregierung in Kabul beraten hat, warnen davor, die Taliban ausschließlich als Terrororganisation wahrzunehmen. „Taliban” sei
inzwischen zum Sammelbegriff für viele verschiedene, autonom operierende, aber zusammenhängende Gruppen geworden, die vor allem ein
Ziel eint: die Besatzer aus dem Land zu treiben. Ruttig spricht nicht von Terroristen, sondern von Aufständischen, und schreibt: „Der Aufstand
hat das Potenzial, über die ethnischen Grenzen und religiösen Differenzen hinweg zu einer breiten afghanischen nationalen Bewegung zu
werden” (www.aan-afghanistan.org).
Die NATO-Truppen sind längst nicht mehr Teil der Lösung, sie sind Teil des
Problems. Die Aufständischen sind heute stärker und aktiver als je zuvor seit 2001; die Zahl der Opfer auf seiten der NATO steigt: der Juli war
für die USA der blutigste Monat seit Beginn des Krieges.
Ein konkretes Kriegsziel gibt es nicht mehr, der NATO geht es nur noch darum, in
dieser Region militärisch „präsent” zu sein, um Russland und China etwas entgegensetzen zu können. Das ist in der Tat
eine „Ewigkeitsaufgabe” Sollen aber dafür Soldaten sterben?
Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland lehnen den Krieg in Afghanistan ab.
Bisher störte sich die Bundesregierung nicht daran. Wenn es aber gelänge, den öffentlichen Druck so zu steigern, dass junge
Männer nicht mehr bereit sind, in den Krieg zu ziehen, könnte sich das ändern.
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