SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 04

IGM-Kampagne zur Bundestagswahl

Sind wir jetzt Papst?

von Jochen Gester

Sie prangt auf Litfasssäulen, elektronischen Roll-Ups und Plakatwänden — die Kampagne der IG Metall „Deine Stimme für ein gutes Leben” Nach Angaben aus Frankfurt wird hier das Ergebnis der größten Befragung verkündet, die Gewerkschaften je durchgeführt hätten. 450000 Gewerkschafter im Organisationsbereich der IG Metall haben einen Fragebogen ausgefüllt, in dem danach gefragt wurde, was für sie gutes Leben ist. Den Befragen waren 27 Fragen vorgegeben, die auf einer Skala von „sehr wichtig” bis „unwichtig” zu bewerten waren. Ob es also wichtig sei, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, Arbeit und Leben miteinander verbinden zu können, vom Einkommen gut zu leben, für die Zukunft abgesichert zu sein, nicht durch Arbeit zu erkranken...
Wer hätte das gedacht? Die befragten IG-Metall-Mitglieder kreuzten an, dass ihnen all diese Fragen wichtig sind. War denn anzunehmen, dass sie es voll geil finden, wenn der Arbeitsplatz immer auf der Kippe steht, oder dass sie es schade finden, wenn sie noch im Hellen zu Partnern und Kindern nach Hause dürfen?
Solcherart Umfragen sind vertane Zeit. Die zu ermittelnden Ergebnisse sind bereits bekannt, bürgerliche Zeitungen haben sie veröffentlicht. Wir stehen voraussichtlich vor den größten Massenentlassungen in der Geschichte der Bundesrepublik und vor fundamentalen Angriffen auf den Sozialstaat. Und was macht der IG-Metall-Vorstand? Er lässt seine Mitglieder Selbstverständlichkeiten ankreuzen und organisiert zum Abschluss der Kampagne am 5.September ein großes Event in der Frankfurter Arena, bei dem die aus 164 Verwaltungsstellen angereisten Mitglieder Bertold Huber, Detlef Wetzel und Regina Görner wie Popgrößen erleben dürfen.
Die zentrale Botschaft der IGM-Kampagne an die Parteien lautet: „Hört auf die Menschen!” Nicht auf die Hauskatzen oder die Fledermäuse. Vor dem geistigen Auge erscheint einem der Papst, der seine segnende Hand ausstreckt und eine heiligende Wirkung verspricht. Bekommen wir in der Krise aber nicht aufs Eindrucksvollste vorgeführt, dass „die Menschen” im gegenwärtigen Kapitalismus sehr Entgegengesetztes als vernünftig ansehen? Wäre es da nicht hilfreich zu sagen, für welche und gegen welche Menschen eine Gewerkschaft Partei ergreifen will, statt noch das salbungsvolle Gedröhn der Kanzlerin zu überbieten?
Hoch bezahlte Gewerkschaftsangestellte empfehlen sich hier als harmoniebewusste Krisenmanager. So heißt es im offiziellen Begleittext der Kampagne: „Wir stellen die Forderungen nicht als politische Gegner, sondern als starke Gewerkschaft, die jeden Tag mit den realen Verhältnissen konfrontiert ist und die das Votum ihrer Mitglieder und Beschäftigten hat. Wir erwarten jetzt, dass die Meinungen und Anforderungen in praktische Politik zugunsten der Mehrheit der Menschen umgesetzt werden.” Erwartet man von der wohl bevorstehenden schwarz-gelben Koalition Reue und ein plötzliches Herz für gewerkschaftliche Anliegen?
Für mich ist nicht erkennbar, dass die Kampagne etwas bewegen kann. Denn nicht Wunschzettel an den Weihnachtsmann, sondern die reale Fähigkeit, die Lohnabhängigen gegen die realen sozialen und politischen Gegner zu mobilisieren, wird darüber entscheiden, ob das gute Leben ein Stück greifbarer wird oder eine Fata Morgana bleibt. Bewegt wurden bisher nur Millionen von Beitragsgeldern, die für sinnvollere Zwecke nicht mehr zur Verfügung stehen.


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