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In einigen entlegenen Ecken der Republik geschehen in diesen
Wochen ganz außerordentliche Dinge. Versammlungssäle kleiner Städte platzen aus
allen Nähten, langjährige CDU-Mitglieder geben empört ihre Parteibücher
zurück, fast täglich finden auf den Dörfern Protestversammlungen statt, zu
denen Hunderte kommen, und an den Kirchen wehen große Banner mit unfreundlichen
Botschaften an Energiekonzerne. Einer dieser aufsässigen Winkel ist der Südosten
Brandenburgs, zwei andere liegen in Schleswig-Holstein, und zwar in Ostholstein sowie auf der
Geest an der dänischen Grenze.
Wohl selten haben sich
Konzerne und Regierungsparteien so verrechnet. Da wollten sie noch vor der Bundestagswahl in
aller Eile und möglichst unbemerkt ein Gesetz durchbringen, das den rechtlichen Rahmen
für die Abscheidung und Einlagerung des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) regeln sollte.
CCS heißt diese noch weitgehend unerprobte Technik im Fachjargon, was eine Abkürzung
für die englische Beschreibung des Vorgangs ist: Carbon Capture and Storage (Kohle
einfangen und lagern).
Doch aus der Sache wurde
nichts. In den für die CO2-Deponien vorgesehenen Regionen verbreitete sich die Nachricht
in Windeseile. Der Unmut wuchs innerhalb weniger Wochen so sehr an, dass erst die
örtlichen Bundestagsabgeordneten und schließlich auch die Parteizentrale der Union
kalte Füße bekam. Selbst die CSU wurde über den Bauernverband unter Druck
gesetzt, sodass der Gesetzentwurf von der Tagesordnung genommen werden musste. Die SPD
behauptet seitdem, die Union habe damit den Klimaschutz verhindert.
Verlogener geht es kaum, denn
CCS ist nichts als ein faules Ei, das den Umwelt- und Klimaschützern ins Nest gelegt
werden soll. Obwohl noch weit von der kommerziellen Einsatzfähigkeit entfernt — elf
Jahre wird es nach den Worten der Stromkonzerne noch dauern, also vielleicht eher 20 —
wird sie schon jetzt als Argument für neue Kohlekraftwerke ins Feld geführt. Mit CCS
würden diese künftig klimafreundlich. Doch die Logik ist äußerst
zweifelhaft. Vor eineinhalb Jahren wurde Vattenfall gerichtlich verboten, seine kleine CCS-
Versuchsanlage am Standort „Schwarze Pumpe” CO2-frei zu nennen. Die Abtrennung ist
nämlich keinesfalls vollständig, außerdem muss Energie für Transport und
Speicherung aufgewendet werden, die ebenfalls aus fossilen Quellen stammt und daher mit
Emissionen verbunden ist. Schließlich ist auch mit Leckagen zu rechnen. Unterm Strich
würden vermutlich nur 70—80% der CO2-Emissionen aus dem Verkehr gezogen.
Dafür würde aber
erstens der Kohleverbrauch pro gewonnener elektrischer Energie deutlich erhöht. Es
würde zweitens der Ausbau der erneuerbaren Energieträger massiv behindert, denn
Kohlekraftwerke sind für die neuen Anforderungen viel zu unflexibel und zu träge.
Und drittens müssten die Anwohner von Pipelines und Deponien in der ständigen Angst
vor Unfällen leben, denn CO2 wirkt in höheren Konzentrationen tödlich.
Der Widerstand der
örtlichen Bevölkerungen ist also allemal berechtigt und verdient bundesweite
Unterstützung, zumal der Gesetzentwurf nach der Bundestagswahl mit Sicherheit wieder aus
der Schublade geholt wird.
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