SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 07

Posttraumatische Störungen

Der Krieg zerstört auch Soldaten

von Anja Köhler

"Soldaten sind Mörder”, schrieb Tucholsky. Soldaten werden durch den Krieg aber auch selber zerstört — diese alte Erkenntnis belegen einmal mehr neuere Untersuchungen über „posttraumatische Belastungsstörungen”
Im Jahr 1918 kehrten die Soldaten aus den Schützengräben zurück. Äußerlich unversehrt, konnten viele das Grauen der Schlachtfelder nicht vergessen — sie bekamen das „Kriegszittern” und wurden als „Rentenschleicher” diskreditiert. Heute weiß man, dass sie unter PTBS (Posttraumatische Belastungsstörungen) litten, wie sie gerade Kriegseinsätze herbeiführen.
Ursächlich für die Entstehung einer PTBS ist ein anormales Ereignis, das die betroffene Person in ihrem Überleben bedroht und aus dem es für sie keinerlei Fluchtmöglichkeit gibt. Eventuell werden andere Menschen verletzt oder getötet. Der Betroffene empfindet übermächtige Hilflosigkeit, manchmal auch Angst, Panik, Schuldgefühle. Die Macht des Erlebten verhindert, dass es sofort verarbeitet werden kann, es wird verdrängt und bahnt sich später den Weg zurück ins Bewusstsein — z.B. indem das Geschehene ständig wieder erlebt wird, es macht sich aber auch als Stress und als dissoziative Symptome bemerkbar, was bedeutet, dass die eigenen Gefühle taub und fremd sind, die Wahrnehmung verzerrt ist. Andere Reaktionen sind Rückzug, Vermeidungsstrategien, Aggressivität und Depression. Kriegsheimkehrer finden oft nicht mehr ins zivile Leben zurück und flüchten sich in Alkohol und Drogen.
Knapp 1—2% der Soldaten, die aus Afghanistan heimkehren, werden derzeit wegen PTBS behandelt. Experten schätzen die Zahl der Betroffenen als weitaus höher ein. Manche gehen von 4—5%, andere gar von bis zu 60% aus. Die hohe Dunkelziffer erklärt sich daraus, dass die Betroffenen sich schämen und deshalb nicht zum Arzt gehen. Denn immer noch werden psychisch erkrankte Soldaten von ihren Kameraden als „Weicheier” abgestempelt, Krankheit passt nicht zum Bild des harten Soldaten.
Der Bundeswehr fehlen aber auch die notwendigen Ressourcen, um alle Betroffenen zu behandeln. 2008 wurde 245 Rückkehrern aus Afghanistan eine PTBS diagnostiziert, 200 Soldaten brachen den Einsatz wegen psychischer Probleme vorzeitig ab. Die Bundeswehr verfügt aber gerade mal über 100 Therapieplätze, kann also nicht einmal den „offiziellen” Bedarf decken.
Hilfe für alle Erkrankten wäre aber nötig, auch im Interesse der Gesellschaft. Man kann sich ausmalen, was es bedeutet, wenn Tausende Kriegsheimkehrer an PTBS leiden und sich entsprechend verhalten. US- Studien konstatieren hohe Neigungen zu Kriminalität und häuslicher Gewalt. Besonders hart trifft es die Kinder. Eltern mit PTBS tendieren dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen oder zu misshandeln, der Nachwuchs läuft zudem Gefahr, dass sich die PTBS auf ihn überträgt. Hinzu kommen die alltäglichen seelischen Belastungen infolge eines Kriegseinsatzes der Eltern. Soldatenkinder erkranken wesentlich öfter an psychischen Störungen als ihre Altersgenossen.
Bundestag und Bundeswehr werden sich zunehmend des Problems bewusst. Das Militär hat eine anonyme Telefonhotline eingerichtet, ein Forschungs- und Kompetenzzentrum befindet sich in Planung. Letzten Endes zeigen aber die vielen Erfahrungen, die man in Deutschland mit „Kriegsheimkehrern” machen musste, dass die seelischen Schäden, die sie davon tragen, bleibende sind. PTBS ist nichts anderes als eine moderne Form der Erkenntnis, dass Krieg Menschen zerstört — nicht nur die, die erschossen und vergewaltigt werden, sondern auch die, die erschießen und vergewaltigen. Und wenn es viele Menschen sind, die ihn erleiden, zerstört er auch eine Gesellschaft.
In den USA gehen Mütter gegen den Krieg auf die Straße, damit ihre Söhne nicht zu Krüppeln werden. In Deutschland gelingt es der Bundeswehr noch, die Angehörigen vor der Öffentlichkeit abzuschirmen. Wenn die Friedensbewegung aber Erfolg haben will, muss sie die Angehörigen erreichen.


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