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"Soldaten sind Mörder”, schrieb Tucholsky.
Soldaten werden durch den Krieg aber auch selber zerstört — diese alte Erkenntnis
belegen einmal mehr neuere Untersuchungen über „posttraumatische
Belastungsstörungen”
Im Jahr 1918 kehrten die
Soldaten aus den Schützengräben zurück. Äußerlich unversehrt, konnten
viele das Grauen der Schlachtfelder nicht vergessen — sie bekamen das
„Kriegszittern” und wurden als „Rentenschleicher” diskreditiert. Heute
weiß man, dass sie unter PTBS (Posttraumatische Belastungsstörungen) litten, wie sie
gerade Kriegseinsätze herbeiführen.
Ursächlich für die
Entstehung einer PTBS ist ein anormales Ereignis, das die betroffene Person in ihrem
Überleben bedroht und aus dem es für sie keinerlei Fluchtmöglichkeit gibt.
Eventuell werden andere Menschen verletzt oder getötet. Der Betroffene empfindet
übermächtige Hilflosigkeit, manchmal auch Angst, Panik, Schuldgefühle. Die
Macht des Erlebten verhindert, dass es sofort verarbeitet werden kann, es wird verdrängt
und bahnt sich später den Weg zurück ins Bewusstsein — z.B. indem das
Geschehene ständig wieder erlebt wird, es macht sich aber auch als Stress und als
dissoziative Symptome bemerkbar, was bedeutet, dass die eigenen Gefühle taub und fremd
sind, die Wahrnehmung verzerrt ist. Andere Reaktionen sind Rückzug,
Vermeidungsstrategien, Aggressivität und Depression. Kriegsheimkehrer finden oft nicht
mehr ins zivile Leben zurück und flüchten sich in Alkohol und Drogen.
Knapp 1—2% der Soldaten,
die aus Afghanistan heimkehren, werden derzeit wegen PTBS behandelt. Experten schätzen
die Zahl der Betroffenen als weitaus höher ein. Manche gehen von 4—5%, andere gar
von bis zu 60% aus. Die hohe Dunkelziffer erklärt sich daraus, dass die Betroffenen sich
schämen und deshalb nicht zum Arzt gehen. Denn immer noch werden psychisch erkrankte
Soldaten von ihren Kameraden als „Weicheier” abgestempelt, Krankheit passt nicht
zum Bild des harten Soldaten.
Der Bundeswehr fehlen aber
auch die notwendigen Ressourcen, um alle Betroffenen zu behandeln. 2008 wurde 245
Rückkehrern aus Afghanistan eine PTBS diagnostiziert, 200 Soldaten brachen den Einsatz
wegen psychischer Probleme vorzeitig ab. Die Bundeswehr verfügt aber gerade mal über
100 Therapieplätze, kann also nicht einmal den „offiziellen” Bedarf decken.
Hilfe für alle Erkrankten
wäre aber nötig, auch im Interesse der Gesellschaft. Man kann sich ausmalen, was es
bedeutet, wenn Tausende Kriegsheimkehrer an PTBS leiden und sich entsprechend verhalten. US-
Studien konstatieren hohe Neigungen zu Kriminalität und häuslicher Gewalt. Besonders
hart trifft es die Kinder. Eltern mit PTBS tendieren dazu, ihre Kinder zu vernachlässigen
oder zu misshandeln, der Nachwuchs läuft zudem Gefahr, dass sich die PTBS auf ihn
überträgt. Hinzu kommen die alltäglichen seelischen Belastungen infolge eines
Kriegseinsatzes der Eltern. Soldatenkinder erkranken wesentlich öfter an psychischen
Störungen als ihre Altersgenossen.
Bundestag und Bundeswehr
werden sich zunehmend des Problems bewusst. Das Militär hat eine anonyme Telefonhotline
eingerichtet, ein Forschungs- und Kompetenzzentrum befindet sich in Planung. Letzten Endes
zeigen aber die vielen Erfahrungen, die man in Deutschland mit „Kriegsheimkehrern”
machen musste, dass die seelischen Schäden, die sie davon tragen, bleibende sind. PTBS
ist nichts anderes als eine moderne Form der Erkenntnis, dass Krieg Menschen zerstört
— nicht nur die, die erschossen und vergewaltigt werden, sondern auch die, die
erschießen und vergewaltigen. Und wenn es viele Menschen sind, die ihn erleiden,
zerstört er auch eine Gesellschaft.
In den USA gehen Mütter
gegen den Krieg auf die Straße, damit ihre Söhne nicht zu Krüppeln werden. In
Deutschland gelingt es der Bundeswehr noch, die Angehörigen vor der Öffentlichkeit
abzuschirmen. Wenn die Friedensbewegung aber Erfolg haben will, muss sie die Angehörigen
erreichen.
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