SoZ - Sozialistische Zeitung |
Mitte August hat ein Bündnis aus Politik, Wissenschaft und
Erwerbsloseninitiativen einen Aufruf zur Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen vorgestellt, der
von über hundert namhaften Personen und Organisationen aus unterschiedlichsten
gesellschaftlichen Gruppen unterzeichnet wurde.
Die Initiatoren umreißen
die gesellschaftliche Situation von Erwerbslosen, die zu diesem Aufruf geführt hat:
„Jeden Monat wird in diesem Land zigtausenden Erwerbslosen mit Sanktionen das
Existenzminimum gekürzt oder sogar gestrichen, weil sie Forderungen der JobCenter nicht
erfüllt haben oder weil ihnen dies unterstellt wird. Im Jahr 2008 wurden über 780000
derartige Sanktionen verhängt. Ist schon der rigide Hartz-IV-Sanktionsparagraf mehr als
problematisch, so führt die katastrophale Personalsituation in den JobCentern zu einer
Praxis, die für die Betroffenen unzumutbar ist. Von den 2008 eingelegten
Widersprüchen gegen Sanktionen waren 41% ganz oder teilweise erfolgreich, von den
eingereichten Klagen 65%. Die Auswirkungen von Sanktionen werden dadurch verschärft, dass
Widersprüche keine aufschiebende Wirkung haben, d.h. die Menschen müssen, auch wenn
sie letztlich nach gerichtlicher Kontrolle Recht bekommen, unter den Sanktionen leiden."
Um diese Praxis im Sinne der
Betroffenen zu verändern, fordern die Unterzeichner des Aufrufs ein Ende der Praxis der
Arbeitsagenturen, durch Sanktionen das Existenzminimum zu beschneiden und „Arbeit um
jeden Preis und zu jedem Preis” zuzuweisen. Auch wenden sie sich gegen das
„ehrgeizige Ziel”, im Krisenjahr 2009 die existenzsichernden Leistungen um 3% zu
senken und gleichzeitig die Vermittlungsquote zu erhöhen. Das werde nur funktionieren,
wenn die Annahme ausbeuterischer Beschäftigungsverhältnisse gesteigert wird.
Dagegen stellt der Aufruf die
Forderung nach einem Sanktionsmoratorium, über dessen Reichweite und Begründung die
Meinungen jedoch auseinandergehen: „In der Frage, ob die Hartz-IV-Sanktionen
grundsätzlich gegen Grundrechte verstoßen, haben wir, die Erstunterzeichner,
unterschiedliche Auffassungen. Wir sind uns aber darin einig, dass angesichts der
gegenwärtigen Zustände in den JobCentern der Vollzug von Sanktionen sofort gestoppt
werden muss. Es ist dringend notwendig, die Missstände in den JobCentern, die bislang in
ihrem Ausmaß zu wenig bekannt sind, offen zu legen, für deren Beseitigung zu sorgen
und den gegenwärtigen Sanktionsparagrafen grundlegend zu überdenken. Während
dessen dürfen Erwerbslose nicht den derzeit verbreiteten Sanktionspraktiken ausgesetzt
werden. Ein sofortiges Moratorium, ein Aussetzen des Sanktionsparagrafen, ist deshalb
notwendig."
Zweifellos ein Verdienst der
Initiative ist es, hier ein gesellschaftliches Bündnis hergestellt zu haben, das
über die organisierte politische Linke hinausgeht und Bündnispartner bis hinein in
die Mitte der Gesellschaft ins Boot holt. Dies ist eine wirkliche Leistung, die politische und
soziale Fähigkeiten dokumentiert und Anerkennung verdient. Offen bleibt die Frage, welche
Dynamik die verschiedenen Unterzeichner in ihren gesellschaftlichen Milieus darüber
hinaus entfalten können, um die herrschende große Koalition neoliberaler
Arbeitsmarktpolitik tatsächlich ins Wanken zu bringen. Dafür kann jeder und jede
durch Unterzeichnung und Verbreitung des Aufrufs beitragen. Auch lässt sich der Aufruf
nutzen, um die Agenda-2010-Parteien im Wahlkampf damit zu konfrontieren.
Der Aufruf wurde verfasst von
der Erwerbslosenorganisation Tacheles e.V. (Wuppertal), Klaus Dörre (Friedrich-Schiller-
Universität Jena), Franziska Drohsel (Juso-Bundesvorsitzende), Jürgen Habich
(Bundesarbeitsgemeinschaft Prekäre Lebenslagen — Gegen Einkommensarmut und
Ausgrenzung e.V.), Katja Kipping (MdB LINKE), Markus Kurth (MdB Grüne), Stephan Lessenich
(Friedrich-Schiller-Universität Jena), Claus Offe (Hertie School of Governance), Franz
Segbers (Universität Marburg), Helga Spindler (Universität Duisburg-Essen) und der
AG Sanktionen der Berliner Kampagne gegen Hartz IV.
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