SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 08

Berufskranke werden ihrer Rechte beraubt

Wie Berufsgenossenschaften sich vor dem Zahlen drücken

von Peter Röder

Am 13.12.2007 wies das LSG Stuttgart die Klage eines Zimmermanns auf Anerkennung als Berufskranker ab und entband damit die zuständige Berufsgenossenschaft von ihren gesetzlich festgeschriebenen Rentenverpflichtungen. Der Kläger litt an einer starken Polyneuropathie, die durch Lösemittel verursacht wird, wie sie in Holzschutzmitteln Verwendung finden.
Wann die Berufsgenossenschaft zu zahlen hat, bestimmt gemäß SGB VII der Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Er gibt Verordnungen heraus (die „Merkblätter zu Berufskrankheiten"), in denen festgelegt wird, welche Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen ist. Das Merkblatt BK1317 erfasst Polyneuropathien infolge von Lösemittelvergiftungen als Berufskrankheit; auch Ursachen und Verlauf passen exakt auf die Beschwerden des Zimmermanns.
Eigentlich ein klarer Fall, doch das Gericht griff in seinem Urteil lieber auf Gutachten der Berufsgenossenschaft „Holz” zurück. Dass diese eine Streitpartei ist und über keinerlei gesetzliche Ermächtigung verfügt, störte die Richter wenig.
Schlimmer noch, die Gutachten waren von vorn bis hinten gefälscht. Immer wieder bezogen sie sich auf internationale Studien, die angeblich belegen, dass eine Polyneuropathie verschwinde sobald der Betroffene den Giften nicht mehr ausgesetzt ist. In den angeführten Studien werden derartige Aussagen allerdings gar nicht getroffen, zum Teil wurde gerade das Gegenteil festgestellt.
Das ist Klassenjustiz im wahrsten Sinne des Wortes, denn Berufsgenossenschaften sind Vereinigungen von Unternehmen eines Industriezweigs. Sie finanzieren sich im Umlageverfahren, die Beiträge bestimmen sich nach ihren Ausgaben. Natürlich versuchen die Unternehmen, die Kosten der Berufsgenossenschaften durch Fälschungen und Lobbyarbeit zu drosseln: Nur rund 5% aller an Polyneuropathie leidenden Berufskranken werden als solche anerkannt — der Zimmermann ist beileibe kein Einzelfall. Bei anderen Erkrankungen sieht es oft nicht besser aus. Den Betroffenen bleibt da nur der Gang zum Sozialamt oder eine kleine Altersrente. Letztlich werden die Kosten — rund 3 Mrd. Euro pro Jahr — damit auf die staatlichen Versicherungsträger verlagert.
"Vielleicht war früher das Elend sichtbarer”, erklärt Peter Röder von der Initiative kritischer Umweltgeschädigter das geringe Interesse für dieses einst so wichtige Kampffeld der Arbeiterbewegung. Die IKU, die Vereinigung der Berufskranken, engagiert sich seit Jahren gegen das Treiben der Berufsgenossenschaften. Neben Gerechtigkeit möchte sie vor allem, dass sich auch Unternehmen an die Gesetze halten. „Wir haben Anklage gegen Lehnert und Co. wegen Gutachtenfälschung erhoben”, erklärt Röder das weitere Vorgehen. Es wäre ein Präzedenzfall, mit dem den Berufsgenossenschaften ihr wichtigstes Mittel entzogen werden könnte — und ein Sieg für alle Berufskranken. Um das Verfahren zu führen, ist die IKU jedoch auf Spenden angewiesen.


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