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Am 13.12.2007 wies das LSG Stuttgart die Klage eines Zimmermanns auf
Anerkennung als Berufskranker ab und entband damit die zuständige Berufsgenossenschaft von
ihren gesetzlich festgeschriebenen Rentenverpflichtungen. Der Kläger litt an einer starken
Polyneuropathie, die durch Lösemittel verursacht wird, wie sie in Holzschutzmitteln Verwendung
finden.
Wann die Berufsgenossenschaft zu
zahlen hat, bestimmt gemäß SGB VII der Sachverständigenbeirat beim Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit. Er gibt Verordnungen heraus (die „Merkblätter zu
Berufskrankheiten"), in denen festgelegt wird, welche Krankheit als Berufskrankheit anzuerkennen
ist. Das Merkblatt BK1317 erfasst Polyneuropathien infolge von Lösemittelvergiftungen als
Berufskrankheit; auch Ursachen und Verlauf passen exakt auf die Beschwerden des Zimmermanns.
Eigentlich ein klarer Fall, doch das
Gericht griff in seinem Urteil lieber auf Gutachten der Berufsgenossenschaft „Holz”
zurück. Dass diese eine Streitpartei ist und über keinerlei gesetzliche Ermächtigung
verfügt, störte die Richter wenig.
Schlimmer noch, die Gutachten waren
von vorn bis hinten gefälscht. Immer wieder bezogen sie sich auf internationale Studien, die
angeblich belegen, dass eine Polyneuropathie verschwinde sobald der Betroffene den Giften nicht mehr
ausgesetzt ist. In den angeführten Studien werden derartige Aussagen allerdings gar nicht
getroffen, zum Teil wurde gerade das Gegenteil festgestellt.
Das ist Klassenjustiz im wahrsten
Sinne des Wortes, denn Berufsgenossenschaften sind Vereinigungen von Unternehmen eines
Industriezweigs. Sie finanzieren sich im Umlageverfahren, die Beiträge bestimmen sich nach
ihren Ausgaben. Natürlich versuchen die Unternehmen, die Kosten der Berufsgenossenschaften
durch Fälschungen und Lobbyarbeit zu drosseln: Nur rund 5% aller an Polyneuropathie leidenden
Berufskranken werden als solche anerkannt — der Zimmermann ist beileibe kein Einzelfall. Bei
anderen Erkrankungen sieht es oft nicht besser aus. Den Betroffenen bleibt da nur der Gang zum
Sozialamt oder eine kleine Altersrente. Letztlich werden die Kosten — rund 3 Mrd. Euro pro
Jahr — damit auf die staatlichen Versicherungsträger verlagert.
"Vielleicht war früher das
Elend sichtbarer”, erklärt Peter Röder von der Initiative kritischer
Umweltgeschädigter das geringe Interesse für dieses einst so wichtige Kampffeld der
Arbeiterbewegung. Die IKU, die Vereinigung der Berufskranken, engagiert sich seit Jahren gegen das
Treiben der Berufsgenossenschaften. Neben Gerechtigkeit möchte sie vor allem, dass sich auch
Unternehmen an die Gesetze halten. „Wir haben Anklage gegen Lehnert und Co. wegen
Gutachtenfälschung erhoben”, erklärt Röder das weitere Vorgehen. Es wäre
ein Präzedenzfall, mit dem den Berufsgenossenschaften ihr wichtigstes Mittel entzogen werden
könnte — und ein Sieg für alle Berufskranken. Um das Verfahren zu führen, ist
die IKU jedoch auf Spenden angewiesen.
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