SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 09

Kita-Streik erfolgreich

Eine vorläufige Bilanz

von Jochen Gester

Ende Juli endete der Streik der Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsdiensten für höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen. Er dauerte fast sechs Wochen und war die herausragende gewerkschaftliche Aktion in diesen Monaten.
Die bei Ver.di und zum kleineren Teil bei der GEW organisierten Beschäftigten haben sich in den letzten Jahren vor allem in den Großstädten gut organisieren können und verfügen mittlerweile über zunehmende Kampferfahrungen. In kleineren und mittleren Städten und Gemeinden wurde erstmalig ein Arbeitskampf in diesem Bereich geführt. Die Streikbeteiligung lag insbesondere in den Großstädten hoch, und im Verlauf des Streiks gab es viele Neueintritte — die GEW konnte ihre Mitgliederbasis nach eigenen Angaben um ein Viertel erhöhen. Schon nach einer Woche Streik haben sich allein im Bezirk NRW 2000 Erzieherinnen neu organisiert. Aktionshöhepunkt war die zentrale Demonstration von 30000 Streikenden am 15.Juni in Köln.
Der Konflikt hatte von Anfang an auch eine politische Dimension, weil allgemein bekannt ist, dass die Beschäftigen der Sozial- und Erziehungsberufe zwar für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft eine zentrale Rolle spielen, für ihre Anstrengungen jedoch nur kläglich honoriert werden. Dies erklärt auch, warum die im Bundestag vertretenen Parteien, die ohne Ausnahme die Verbesserung der Kinderbetreuung und Bildung als Wahlziel formulieren, die Streikenden nicht direkt angreifen konnten. Nichtsdestotrotz versuchten verschiedene Bürgermeister dieser Parteien, mit massiven Einschüchterungen einen Abbruch des Streiks zu erreichen. Versuche, die vom Streik betroffenen Eltern gegen die Beschäftigten zu mobilisieren, waren selten erfolgreich. Die Eltern stellten sich nahezu ausnahmslos hinter die Forderungen der Streikenden und richteten ihren Unmut mehr gegen die politischen Entscheidungsträger als gegen die Gewerkschaften. Die direkte Einbeziehung der Eltern in die Aktionen war jedoch nicht die Regel, und auch eine Verbindung des „Kita-Streiks” mit den Aktionen der Schüler und Studierenden zum Bildungsstreiktag am 17.Juni gelang nur in Hochburgen wie Stuttgart.
Das Ergebnis bringt den Erzieherinnen vor allem eine deutliche Gehaltserhöhung für die nach Einführung des TVöD eingestellten Beschäftigten, während sich die finanzielle Situation vieler langjähriger Mitarbeiterinnen nur gering oder gar nicht verbessert. In Bezug auf den Gesundheitsschutz wurde ein Recht auf eine Gefährdungsanalayse des Arbeitsplatzes vereinbart. Der Wert dieses Rechts relativiert sich jedoch dadurch, dass die Behebung erkannter Missstände an die Zustimmung der Mehrheit der Arbeitgebervertreter gebunden ist.
Bemerkenswert am Zustandekommen des Tarifergebnisses ist vor allem, dass es nicht nur von der Großen Tarifkommission abgesegnet wurde: Ver.di musste außerdem eine Streikdelegiertenkonferenz einberufen, die neben der Bundestarifkommission 300 Streikleiterinnen und andere Aktivistinnen umfasste; sie führten eine vierstündige Debatte um Annahme oder Ablehnung des Ergebnisses. Am Schluss wurde das Tarifergebnis mit den Gegenstimmen von zehn Bezirken aus NRW und dem Bezirk Stuttgart angenommen. Die Minderheit war der Überzeugung, dass es möglich gewesen wäre, Druck für einen unbefristeten Streik aufzubauen und dafür auch die Bundestagswahlen zu nutzen. Auch die Mehrheit hielt das Ergebnis nicht wirklich für einen Durchbruch, doch es überwog die Skepsis, ob eine solche Mobilisierung gestemmt werden könnte.
Ob diese neue Praxis erweiterter Mitgliederbeteiligung die Legitimation gewerkschaftlicher Verhandlungsführung erhöht, wird sich am Ergebnis der Urabstimmung zeigen, das am 21.August bekanntgegeben werden soll.


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