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Ende Juli endete der Streik der Beschäftigten in den
Sozial- und Erziehungsdiensten für höhere Gehälter und bessere
Arbeitsbedingungen. Er dauerte fast sechs Wochen und war die herausragende gewerkschaftliche
Aktion in diesen Monaten.
Die bei Ver.di und zum
kleineren Teil bei der GEW organisierten Beschäftigten haben sich in den letzten Jahren
vor allem in den Großstädten gut organisieren können und verfügen
mittlerweile über zunehmende Kampferfahrungen. In kleineren und mittleren Städten
und Gemeinden wurde erstmalig ein Arbeitskampf in diesem Bereich geführt. Die
Streikbeteiligung lag insbesondere in den Großstädten hoch, und im Verlauf des
Streiks gab es viele Neueintritte — die GEW konnte ihre Mitgliederbasis nach eigenen
Angaben um ein Viertel erhöhen. Schon nach einer Woche Streik haben sich allein im Bezirk
NRW 2000 Erzieherinnen neu organisiert. Aktionshöhepunkt war die zentrale Demonstration
von 30000 Streikenden am 15.Juni in Köln.
Der Konflikt hatte von Anfang
an auch eine politische Dimension, weil allgemein bekannt ist, dass die Beschäftigen der
Sozial- und Erziehungsberufe zwar für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft eine
zentrale Rolle spielen, für ihre Anstrengungen jedoch nur kläglich honoriert werden.
Dies erklärt auch, warum die im Bundestag vertretenen Parteien, die ohne Ausnahme die
Verbesserung der Kinderbetreuung und Bildung als Wahlziel formulieren, die Streikenden nicht
direkt angreifen konnten. Nichtsdestotrotz versuchten verschiedene Bürgermeister dieser
Parteien, mit massiven Einschüchterungen einen Abbruch des Streiks zu erreichen.
Versuche, die vom Streik betroffenen Eltern gegen die Beschäftigten zu mobilisieren,
waren selten erfolgreich. Die Eltern stellten sich nahezu ausnahmslos hinter die Forderungen
der Streikenden und richteten ihren Unmut mehr gegen die politischen Entscheidungsträger
als gegen die Gewerkschaften. Die direkte Einbeziehung der Eltern in die Aktionen war jedoch
nicht die Regel, und auch eine Verbindung des „Kita-Streiks” mit den Aktionen der
Schüler und Studierenden zum Bildungsstreiktag am 17.Juni gelang nur in Hochburgen wie
Stuttgart.
Das Ergebnis bringt den
Erzieherinnen vor allem eine deutliche Gehaltserhöhung für die nach Einführung
des TVöD eingestellten Beschäftigten, während sich die finanzielle Situation
vieler langjähriger Mitarbeiterinnen nur gering oder gar nicht verbessert. In Bezug auf
den Gesundheitsschutz wurde ein Recht auf eine Gefährdungsanalayse des Arbeitsplatzes
vereinbart. Der Wert dieses Rechts relativiert sich jedoch dadurch, dass die Behebung
erkannter Missstände an die Zustimmung der Mehrheit der Arbeitgebervertreter gebunden
ist.
Bemerkenswert am
Zustandekommen des Tarifergebnisses ist vor allem, dass es nicht nur von der Großen
Tarifkommission abgesegnet wurde: Ver.di musste außerdem eine Streikdelegiertenkonferenz
einberufen, die neben der Bundestarifkommission 300 Streikleiterinnen und andere Aktivistinnen
umfasste; sie führten eine vierstündige Debatte um Annahme oder Ablehnung des
Ergebnisses. Am Schluss wurde das Tarifergebnis mit den Gegenstimmen von zehn Bezirken aus NRW
und dem Bezirk Stuttgart angenommen. Die Minderheit war der Überzeugung, dass es
möglich gewesen wäre, Druck für einen unbefristeten Streik aufzubauen und
dafür auch die Bundestagswahlen zu nutzen. Auch die Mehrheit hielt das Ergebnis nicht
wirklich für einen Durchbruch, doch es überwog die Skepsis, ob eine solche
Mobilisierung gestemmt werden könnte.
Ob diese neue Praxis
erweiterter Mitgliederbeteiligung die Legitimation gewerkschaftlicher Verhandlungsführung
erhöht, wird sich am Ergebnis der Urabstimmung zeigen, das am 21.August bekanntgegeben
werden soll.
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