SoZ - Sozialistische Zeitung |
Nach 14 Monaten Kampf haben die Arbeiter der Mailänder
Fabrik INNSE ihr Ziel erreicht: die Schließung ihres Betriebs ist abgewendet.
Mitte August letzten Jahres
zeigten die Filmfestspiele von Locarno Giù le mani (Hände weg), das Dokument
über den großen Triumph der Arbeiter der SBB-Werkstatt in Bellinzona (siehe SoZ 5/08
und 4/09). Fast genau ein Jahr später führte dasselbe Motto die 49 Arbeiter des
Metallbetriebs INNSE in Mailand zum Erfolg. Was war geschehen?
Am 31.Mai 2008 erhielt die
Belegschaft ein Telegramm des Fabrikbesitzers Silvano Genta, das ihnen mitteilte, binnen
kurzem würden alle Aktivitäten der alteingesessenen Metallfabrik eingestellt. Die
Arbeiter reagierten sofort: Sie eroberten das von privaten Sicherheitsleuten bewachte Werk und
führten den Betrieb in Selbstverwaltung dreieinhalb Monate weiter. Am 17.September 2008
vertrieb die Polizei sie und versiegelte die Fabrik. Daraufhin richteten sich die Arbeiter in
einem bewachten Werkseingang ein und trafen sich täglich um zu verhindern, dass der
Besitzer die Maschinen verkaufte und damit jede Möglichkeit einer Weiterführung des
Betriebs verhinderte.
Die Arbeiter von INNSE blieben
ebenso hartnäckig wie ihre Kollegen aus Bellinzona. „Der Streik dauert so lang, bis
der ganze Plan zurückgenommen wird”, hatten die Schweizer geschworen. Sie
erreichten das in 33 Tagen, die Italiener brauchten dafür 14 Monate.
Am 2.August dieses Jahres wurden die Besetzer auf brutale Weise von der Polizei vertrieben.
Dabei gelang es vier Arbeitern und einem Gewerkschaftsvertreter, unbemerkt in das Gelände
einzudringen und einen hohen Laufkran zu besetzen. Während halb Italien auf Urlaub war,
hielten sie acht Tage in der Augusthitze aus.
Die plötzliche und
brutale Räumungsaktion vom 2.August wirkte auf einen Teil der Linken dieser Stadt, die
durch ihren sozialen Egoismus so gefühllos geworden ist, wie ein Erdbeben. Dies ist umso
wichtiger, als die Stadt und die Provinz Mailand derzeit von einer Welle der Arbeitslosigkeit
geradezu verwüstet wird. Ganz viele Firmen schließen ihre Pforten, entlassen ihre
Beschäftigten und sind mit den Arbeiterprotesten konfrontiert.
Im Fall von INNSE zog der
Protest zunächst Dutzende, später Hunderte Jugendliche an, auch kämpferische
Gewerkschafter, Delegierte der FIOM und der Basisgewerkschaften, Vertreter der Centri sociali
und Studenten.
Es bildete sich eine offene,
ständige Versammlung, bei der über den aktuellen Kampf und viele andere Dinge
diskutiert wurde. Die Versammlung war absolut geschlossen, man trank, man aß, man
diskutierte, man stritt. Aber als es darum ging, der Polizei und den Carabinieri
gegenüber zu treten, war es eine geschlossene Front.
Die Entscheidungen trafen die
Arbeiter von INNSE gemeinsam mit der Delegation der FIOM, anschließend wurden sie den
Unterstützern mitgeteilt.
Auf die Initiative, in der
Nacht des 2.August in die Fabrik einzudringen, den Laufkran zu besetzen und das Geschehen
somit zu dramatisieren, folgte ein zweistündiger Solidaritätsstreik, den die FIOM
auf Provinzebene ausgerufen hatte. Dies ermutigte wiederum die Beschäftigten der INNSE
und gab ihrem Kampf eine landesweite Sichtbarkeit.
Nun beteiligten sich Hunderte
Menschen Tag und Nacht an der Besetzung. Vom Ort der Besetzung aus machten sich einige auf den
Weg, um den Verkehr zu blockieren, vor der Provinzverwaltung zu protestieren oder vor dem
Bahnhof Milano-Lambrate. Die Solidarität mit diesen sturen Arbeitern, die sich nicht
damit abfinden wollten zu verschwinden, war sichtbar in diesem Stadtviertel an der Peripherie,
aber auch im Zentrum, wo man den Kampf mit einer gewissen Aufmerksamkeit betrachtete.
Als die Arbeiter am Abend des 11.August staubig und erschöpft den Laufkran
verließen, gab es ein Volksfest. Endlich hatte es eine Einigung gegeben. Nun gibt es
einen seriösen Käufer, die Stahlgruppe Camozzi. Deren Gründer, Attilio Camozzi,
würdigte den Kampf der fünf Kran-Stürmer: „Geld kann man öfter
verlieren, das Gesicht nur einmal. Die Arbeiter der INNSE haben viele Verdienste und mein
vollstes Verständnis. Mit ihrem Kampf haben sie das Gewissen vieler Menschen geweckt,
auch meines. Sie hatten gute Gründe, nicht zuzulassen, dass ein Unternehmen einfach so
demontiert wird; das wäre ein echtes Verbrechen gewesen.” Mit sofortiger Wirkung
kauft die Stahlgruppe Camozzi die Maschinen von Silvano Genta und die Anlage sowie weitere
Grundstücke von der Immobilienfirma Aedes. Der neue Eigentümer garantiert eine
Weiterführung der Fabrik bis 2025, alle 49 Arbeiter werden am 1.Oktober wieder
eingestellt.
Wie sehr diese Art des
Protestes in Italien Wirkung zeigt, sieht man am Fall der Firma CIM in Marcellina bei Rom, die
Verputz herstellt. Die Region Lazium hatte ihr nach Unkorrektheiten die Lizenz entzogen, die
Schließung des Betriebs wäre die Folge gewesen. Aus Protest bestiegen einige
Arbeiter einen fast 50 Meter hohen Turm — zu einem Zeitpunkt, an dem auch ihre
Mailänder Kollegen noch auf dem Kran ausharrten — und erreichten damit ebenfalls
ihr Ziel.
Der Kampf der INNSE zeigt, wie
der kommende Herbst angegangen werden kann: mit der Koordinierung der Belegschaften der
Firmen, die von der Krise betroffen sind, um eine gemeinsame Plattform für gemeinsame
Ziele und Vorgehensweisen zu schaffen. Der Kampf lehrt uns, dass es in der Krise eine
Verbindung gibt zwischen der Verteidigung des Arbeitsplatzes und der Notwendigkeit, auf die
Eigentumsstrukturen Einfluss zu nehmen: durch Vorschläge, wie man die Produktion neu
organisieren kann und auf der Basis dessen, was die Arbeiter brauchen, nicht was dem
Firmenprofit dient.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |