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Arbeiter ohne Papiere haben am 24.Juni das Gewerkschaftshaus der
CGT in Paris besetzt.
Vermummt, mit Stöcken und
Tränengas bewaffnet, passte der Ordnertrupp der CGT den Moment ab, in dem die Mehrheit
der Besetzer des Gewerkschaftshauses, allesamt ohne Papiere, auf einer Demonstration war. Dann
stürmte er den Innenhof des Gewerkschaftshauses, um die dort verbliebenen Frauen und
Männer zu vertreiben. Er wurden jedoch von der schnellen Reaktion der zumeist aus Mali
kommenden Besetzer überrascht: Die verbarrikadierten sich im großen Versammlungssaal
und bewarfen die Vermummten mit Stühle und anderem Mobiliar.
Schließlich mussten die
Sans-Papiers das Gebäude doch räumen, auf der
Straße erwarteten sie Polizeitrupps und hinderten sie an der Rückkehr ins
Gebäude. Einige verletzte Sans-Papiers mussten ins Krankenhaus gebracht werden. Nach
ihrer Vertreibung wurde die Straße vor dem Gewerkschaftshaus besetzt. Die Nachricht der
Räumung machte die Runde, schnell formierte sich eine breite Unterstützungsaktion
für die Sans-Papiers.
In den 90er Jahren begannen
sich in Frankreich die Sans-Papiers, Einwanderer ohne Aufenthaltspapiere, zu organisieren.
Breitere Öffentlichkeit erhielten sie, als sie die Kirche St.Bernard in Paris besetzten
und der damalige Staatspräsident Jacques Chirac im Ferienmonat August die Kirche
gewaltsam räumen ließ. Die bisher verdeckt arbeitenden „Papierlosen”
erhielten jetzt ein Gesicht. Ganz offen erklärten sie auf der Straße und in den
Medien: „Ja, ich bin eine Papierlose und ich arbeite seit Jahren daran, den Reichtum
hier im Lande zu steigern, bezahle Steuern und Versicherungen, zumeist mit dem Ausweis einer
Bekannten oder Freundin oder eines Wohnheimnachbarn."
Nach der Räumung durch
die Staatspolizei fanden viele Sans-Papiers Schutz in Gewerkschaftsbüros, besonders bei
der Eisenbahnergewerkschaft Sud-Rail, aber auch bei der CGT. Ihre damalige Sprecherin,
Madjiguène Cissé, wurde auf dem CGT-Kongress 1996 begeistert empfangen. Das war der
Beginn der ersten Phase der Bewegung der Sans-Papiers.
Die zweite Phase begann 2007,
als Gewerkschaftsgruppen der CGT, von Sud-Solidaires und der anarcho-syndikalistischen CNT
anfingen, mit Sans-Papiers, die in Betrieben beschäftigt waren, zusammenzuarbeiten.
Eine Gruppe von CGT-
Mitgliedern um Raymond Chauveau in Massy, südlich von Paris, bereitete 2007 die ersten
Streiks von Sans-Papiers vor; sie führten dazu, dass die Streikenden schnell ihre Papiere
bekamen. Damit setzte eine Organisierungsbewegung ein. Viele Sans-Papiers traten der CGT bei.
Es gab Besetzungen und Streiks am Arbeitsplatz, besonders auf Baustellen, in Luxushotels und
vor Zeitarbeitsfirmen.
Am 1.Mai 2008 demonstrierten
Hunderte zumeist afrikanische Sans-Papiers-Beschäftigte in den verschiedenen
Gewerkschaftsblöcken und machten ihre Bewegung sichtbar.
Die Bezirksleitung der CGT
beschloss jedoch sofort, die Anzahl der Anträge auf Legalisierung, die der Präfektur
vorgelegt wurden, zu begrenzen. Gleichzeitig lösten die ersten Streiks und Aktionen eine
Dynamik unter den Migranten in der Arbeiterklasse aus. Tausende wollten der Gewerkschaft
beitreten. Die CGT versuchte, den Ansturm und die Erwartungen der Migranten zu bremsen. In
einem ersten Schritt sollte es nur um eine begrenzte Anzahl von streikenden Sans-Papiers
gehen, zählbare Resultate sollten erzielt werden.
Neben diesen Aktionen, die von
den Gewerkschaften unterstützt und teilweise mit vorbereitet wurden, gab es aber auch
Gruppen von Sans-Papiers, in denen sich einzelne Beschäftigte organisierten, die zwar
Gewerkschaftsmitglieder waren, aber keiner Gewerkschaftsgruppe am Arbeitsplatz angehörte.
Eines davon war das Kollektiv
csp75 in der Pariser Region. Die darin versammelten Sans-Papiers waren überwiegend
Zeitarbeiter, Beschäftigte bei Wachdiensten oder in Haushalten. Auch sie wollten
kämpfen. Aus Unzufriedenheit über die Untätigkeit der CGT ihnen gegenüber
besetzten sie am 17.April 2009 die Bourse de travail, das Gewerkschaftshaus im 14.Bezirk,
richteten sich ein, organisierten regelmäßig Demonstrationen und forderten die CGT
auf, den Kampf für alle Sans-Papiers mit ihnen gemeinsam zu organisieren.
Damit wollten sie Druck machen
und in die Verhandlungen über die Legalisierung der Sans-Papiers einbezogen werden.
Monatelang herrschte eine regelrechte Blockadesituation, in der die Besetzern die CGT
beschuldigte, ihre Sache verraten zu haben.
Daraufhin beschloss die CGT
— ohne die anderen Gewerkschaften zu konsultieren oder zu informieren —, das Haus
durch ihren Ordnerdienst räumen zu lassen.
Der Sturm auf das besetzte
Haus stieß auf viel Kritik und Empörung. Die CGT hat dadurch viel Ansehen verloren.
Der Verantwortliche für die Aktion wurde abgesetzt. Für die Sans-Papiers gab es
dennoch einen Fortschritt. Sie konnten ein leerstehendes Gebäude der Krankenkasse
besetzen, das sie umbenannt haben in Ministerium für Legalisierung. Sie erhielten die
Zusage der Präfektur, dass die Dossiers der 300 Besetzer schnellstens geprüft
würden. Es ist also wieder Dynamik in die festgefahrenen Verhandlungen gekommen.
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