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Zwei Monate nach dem offiziellen Beginn der gemeinsamen
italienisch-libyschen Flüchtlingsabwehr treten ihre unmenschlichen und
völkerrechtswidrigen Folgen offen zutage.
"Ungeeignet,
enttäuschend und politisch blind.” Mit diesen harten Worten quittierte
Parlamentspräsident Gianfranco Fini Libyens Ablehnung seines Vorschlags, dass eine
italienische Parlamentarierdelegation libysche Flüchtlingslager aufsuchen sollte, um zu
sehen, ob die Menschenrechte und das Recht auf Asyl respektiert würden. Eine Delegation
könne gerne kommen, so die Antwort Libyens, aber aus anderen Gründen, denn in diesen
Zentren gäbe es keine politischen Flüchtlinge, es sei alles in Ordnung.
Dass dem nicht so ist, zeigt
ein schlimmer Vorfall Anfang August in der libyschen Hafenstadt Benghazi: Bei einem
Fluchtversuch aus dem Lager Ganfuda tötete die libysche Polizei mindestens 20 somalische
Flüchtlinge. Die Somalier waren festgehalten worden, weil sie keine Papiere hatten.
Fünf starben direkt im Kugelhagel der Polizei, die anderen erlagen den Misshandlungen
durch Schlagstöcke und Messer.
Bekannt wurde der Vorfall
zunächst durch eine somalische Internetseite in der Diaspora, die libyschen Behörden
dementierten die Meldung. Ähnliche Vorfälle gab es bereits in der Vergangenheit: Im
Juni 1996 starben Hunderte Gefangene im Gefängnis von Abu Salim in Tripolis.
Offiziell gibt es 18
Flüchtlingslager in Libyen. Wieviele Insassen aus welchen Ländern wie lange dort
ausharren müssen, ist unklar. Es gibt Meldungen, wonach über 600 Eritreer schon seit
drei Jahren in solchen Lagern ausharren, ebenso sind laut Berichten afrikanischer Medien rund
2000 Nigerianer aus dem Bundesstaat Edo in Libyen in Haft, jüngst gab es sogar das
Gerücht, dass mehr als 200 Nigerianer wegen Immigrationsvergehen zum Tod verurteilt
worden seien.
Mit einiger Verzögerung
reagierte nun die EU: Deren Kommissar für Justiz, Jacques Barrot, hat klar gestellt, dass
Abschiebungen auf hoher See nach Libyen illegal sind. Der italienische Innenminister Roberto
Maroni von der Lega Nord wurde um Klärung gebeten, wie genau einzelne Boote, auf denen
sich womöglich Asylwerber befunden haben, abgewiesen wurden. Doch die EU-Besorgnis
hält sich in Grenzen. Denn sie sieht die Lösung der
„Flüchtlingsfrage” in der Einrichtung von Asylbüros in Libyen —
wenn möglich unter Einbeziehung des UN-Flüchtlingshochkommissariats.
Als sich um das Jahr 2002 die neue Flüchtlingsroute Libyen—Lampedusa/
Sizilien konsolidierte, bot
Rom Tripolis an, sich für die Abschaffung des Embargos gegen Libyen zu verwenden, im
Gegenzug sollte Libyen beim „Kampf gegen die illegale Einwanderung” helfen.
Bisweilen funktionierte das: So kamen im Juli 2003 zeitweise fast keine Menschen mehr
über das Meer nach Lampedusa. In dieser Zeit stellte Italien Material für die
Küstenwacht zur Verfügung: Jeeps, Schlauchboote, Ferngläser — und
Leichensäcke; es finanzierte ein Festhaltelager für Immigranten nahe Tripolis, und
zahlte Abschiebeflüge von Libyen aus — bis es dann im Herbst 2004 und Frühling
2005 sogar direkte Abschiebeflüge von Lampedusa nach Tripolis gab.
Ende 2007 unterzeichnete
Giuliano Amato, Innenminister der Mitte-Links-Regierung Romano Prodis, ein Abkommen mit
Libyen, um der „heimlichen Einwanderung entgegen zu treten” Darin wurde
vereinbart, den Libyern sechs Schiffe zu übergeben, gemeinsame Patrouillen unter
libyscher Leitung durchzuführen und mithilfe der EU ein Grenzüberwachungssystem
einzurichten. Niemand kümmerte sich damals um den Hinweis von NGOs, dass allein 2006 rund
60000 Personen in Libyen verhaftet und in Flüchtlingsgefängnisse gepfercht, dort
misshandelt oder abgeschoben wurden — teilweise einfach in der Wüste ausgesetzt.
All diese Abkommen konnten den
Flüchtlingsstrom nicht eindämmen. 2008 kamen 75% mehr Flüchtlinge nach
Lampedusa und Süditalien, 75% davon waren Asylbewerber; die Hälfte erhielt
humanitären Status oder Asyl.
Im Januar 2009 ratifizierte
das italienische Parlament ein historisches Abkommen mit Libyen, wonach Italien 5 Mrd. Euro an
Libyen zahlt, um einen Schlussstrich unter die koloniale Vergangenheit zu ziehen — ein
großer Teil davon wird in Form von Aufträgen zur Verbesserung der Infrastruktur
wieder zurück nach Italien fließen. Unter anderem soll ein elektronisches
Kontrollsystem an der Wüstengrenze zwischen Libyen und Niger errichtet werden — die
Hälfte davon soll die EU zahlen. Diese bot Anfang Februar 2009 in der Person ihre
Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner dem libyschen Staat ein Hilfspaket von 20 Mio.
Euro für die „Bekämpfung illegaler Einwanderung” an.
Am 14.Mai 2009 begann
offiziell die gemeinsame italienisch-libysche Flüchtlingsabwehr. In den Monaten davor
erreichten besonders viele Flüchtlinge Lampedusa und Sizilien, es gab sehr viele Tote.
Libyen erhielt zunächst drei Schiffe, drei weitere sollen folgen. Auf italienischer Seite
arbeiten die Marine und die Finanzpolizei mit Libyen zusammen, offiziell geschieht das
„mit vollem Respekt für die Gesetze (Italiens) sowie der EU und die internationalen
Abkommen” Genau das ist jedoch fraglich, denn eigentlich müssten die
Flüchtlinge identifiziert werden und die Möglichkeit haben, beim jeweiligen
Bootskommandanten um Asyl zu bitten.
Jetzt gibt es nur noch wenige Berichte darüber, was tatsächlich auf dem Meer
passiert. Am 16.Juli erreichte ein Boot mit bis zu 150 Eritreern und Somalis unbemerkt einen
Naturpark nahe der sizilianischen Stadt Syrakus, am 27.Juli kamen 25 Kurden nach Africo Nuovo
in Kalabrien, Anfang August kamen 20 Flüchtlinge nach Lampedusa. Mitte August rettet die
maltesische Marine 115 Menschen vor dem sicheren Ertrinken, die Agenturen sprechen vom ersten
Fall von Bootsflüchtlingen seit Wochen, erwähnen jedoch im selben Atemzug, dass nur
wenige Tage zuvor die italienische Marine ein Boot mit 84 Menschen an Bord nach Libyen
„zurückschickte” Seit Mai hat man nun schon mindestens 1216 Flüchtlinge
nach Libyen zurückgeschickt.
In Libyen ist die Wahrnehmung
eine gänzlich andere; das zeigte sich beim Staatsbesuch Ghaddafis im Juni in Rom. Dort
erklärte er: „Die Rede von Asylwerbern ist eine verbreitete Lüge ... Die
Afrikaner haben keine politischen Probleme, sie haben keine Identität, sie kommen aus den
Wäldern und sagen sich, im Norden gibt es Reichtum, lasst uns dort hingehen.”
Berlusconi ergänzte: „Seit dem Beginn der Zusammenarbeit gibt es keine neuen
Ankünfte von Clandestini. In Libyen gibt es eine Agentur der Vereinten Nationen; wer
Fakten vorweisen kann, die zeigen, dass er ein Recht auf Asyl hat, wird identifiziert. Und
Italien akzeptiert absolut, dass diese benachteiligten Bürger eine Zuflucht in unserem
Land finden."
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