SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 14

Iran:

„Allahu akbar!” kann nicht der Nenner der Opposition sein

Eine Kritik der „grünen” Koalition

von Yassamine Mather

Während gewöhnliche Iraner ihr Vertrauen in die Reformer der Regierung verlieren und sich möglicherweise den Ideen der Opposition im Exil öffnen, kommt man nicht umhin, den traurigen Zustand der letzteren zu beklagen — was sich an den oberflächlichen Losungen, Flugblättern und Erklärungen zeigt, die anlässlich der gemeinsamen Aktionen am 25.Juli herausgegeben wurden. Sie schlugen eine klassenübergreifende, liberale, „grüne” Koalition vor, die alle Iraner unter dem Banner des „demokratischen Islam” vereinen soll.
Die Iraner zahlen immer noch den Preis für die Antidiktaturfront von 1979; doch wenige derer, die die „Einheit” der Opposition befürworten, scheinen die Ironie ihres Aufrufs zu bemerken. Natürlich war es im Iran sowohl nützlich als auch gelegentlich wünschenswert, dass sich Regimegegner Mousavi anschließen und die Konflikte innerhalb der Führungsriege des Regimes ausnutzen, um das Risiko der Repression seitens der Sicherheitskräfte zu verringern. „Allahu akbar!” (Gott ist groß) zu rufen, ist ein Ausdruck dieser Taktik. Doch es gibt keinen Grund, sich um eine solche Losung vor der iranischen Botschaft in Brüssel oder London zusammenzuschließen. Im Gegenteil, eine solche Losung ist in Europa ein Schritt rückwärts.
Wer ist nun Teil dieser islamisch- grünen Regenbogenkoalition im Exil?
Einige der ursprünglichen Ideologen der Islamischen Republik Iran befinden sich derzeit im Exil; sie haben sich mit der aktuellen Führung überworfen und stellen, zusammen mit den Royalisten, den rückschrittlichsten Teil der Opposition dar. Doch sind sie in den internationalen Medien und auch in Teilen der persischsprachigen Medien allgegenwärtig.
Da ist Akbar Ganji, Organisator eines Hungerstreiks in New York, der in den US-Medien als „Menschenrechtsaktivist” dargestellt wird — eine ironische Umschreibung für einen Mitbegründer und früheren Kommandeur der gefürchteten Pasdaran (Revolutionsgarden), der eine aktive Rolle bei einer der schlimmsten Massenhinrichtungen von Linken unter dem islamischen Regime gespielt hat.
Der ehemalige Revolutionsgardist ist jetzt ein ausgewachsener Verfechter des westlichen Kapitalismus. Auf einer Veranstaltung in Berkeley 2006 sagte er: „Eine Marktwirtschaft ermöglicht die Schaffung von regierungsunabhängigen Institutionen. Ein totalitäres Regime erfordert, dass alle ökonomischen Aspekte des Lebens von der Regierung kontrolliert werden müssen. Unter der freien Marktwirtschaft können Totalitarismus und Faschismus nicht gedeihen."
Doch dieser Liebling von Voice of America bedauert seine eigene Vergangenheit nicht und verteidigt alles, was in den ersten Jahren nach dem Aufstand vom Februar 1979 geschehen ist!
Dann ist da der „Philosoph” Abdolkarim Souroush, Gastprofessor an der Georgetown University in Washington. Als das Regime Anfang der 80er Jahre während der sog. „islamischen Kulturrevolution” die Schließung aller akademischen Institutionen anordnete, wurde eine neue Institution gegründet, das Kulturrevolutionäre Institut, bestehend aus sieben Mitgliedern, die alle unmittelbar vom obersten Führer ernannt wurden. Dazu gehörte auch Souroush. Zwar hat er sich mit seinen früheren Verbündeten überworfen, doch seine antikommunistischen Ansichten sind so entschieden wie bisher: „Ich war hauptsächlich daran interessiert, den Einfluss der marxistischen Philosophie zu brechen.” Diese Liste ließe sich fortsetzen.
Eifrige Verfechter eines „demokratischen islamischen Staates” sind die zu Sozialdemokraten mutierten iranischen Exstalinisten. Die Fedayin-Mehrheit und Rahe Tudeh (eine der Abspaltungen der „offiziellen” „kommunistischen” Tudeh-Partei) stehen bei grünen Versammlungen außerhalb des Iran an vorderster Front. Sie versuchen, reformistische Losungen durchzusetzen, und verbannen alle radikalen Forderungen aus ihrer Regenbogenkoalition. In einer Zeit, in der „Nieder mit der Islamischen Republik” zur ständigen Parole in Teheran und anderen iranischen Städten wird, denunzieren sie dies vor den Botschaften des Iran in London, Paris und Amsterdam als „zu radikal” und „nicht im Interesse der Bewegung”
Wir erinnern uns noch gut an die Zeit, als die Fedayin-Mehrheit und die Tudeh-Partei die Repression der frühen 80er Jahre bejubelten; wir wissen noch, wie sie 1981 die Iraner dazu aufriefen, den jetzigen obersten Führer, Ayatollah Khamenei, zum Präsidenten zu wählen. In den letzten zehn Jahren verteidigten sie die aufeinander an die Macht folgenden islamischen Reformer. Jetzt sind sie eine entscheidende Kraft hinter Mousavi und seinen ziemlich diskreditierten Verbündeten außerhalb des Iran.
Teile der „radikalen” Linken im Exil sind nicht viel besser. Die einen predigen die Rückkehr zum bewaffneten Kampf, um die „Arbeiterklasse zu stärken” Andere glauben, verzweifelt das Ende des Regimes herbeisehnend, dass der Zweck alle Mittel rechtfertige — auch wenn diese Mittel von rechten Organisationen, zionistischen Friedensgruppen oder proimperialistischen Gewerkschaften bereit gestellt werden.
Doch die von Linken im Iran herausgegebenen Flugblätter sind vielversprechend. Sie rufen zu einem vollständigen demokratischen und kompromisslosen Säkularismus auf. Nicht nur die vollständige Trennung von Staat und Religion — eine Forderung, die nur erreicht werden kann durch den Sturz des Regimes der Islamischen Republik —, sondern auch die Enteignung des gesamten vaghf (das der Geistlichkeit als Almosen übereignete Vermögen), des gesamten Eigentums religiöser Stiftungen, die Auflösung der Basij und Pasdaran, das Recht aller Bürger, Waffen zu tragen, die Freilassung aller politischen Gefangenen.
Die aktiven Vertreter der iranische Arbeiterklasse fordern ein Ende der derzeitigen neoliberalen Wirtschaftspolitik, der befristeten Arbeitsverträge, das Recht auf unabhängige Arbeiterorganisationen und das Recht zu streiken.
Statt Holocaust-Leugner wie Ahmadinejad zu unterstützen oder islamistischen Reformern hinterherzurennen, muss die radikale Linke in Europa und den USA alles in ihrer Macht stehende tun, um diese Forderungen voranzubringen — und dies nicht nur um der iranischen Arbeiterklasse willen, sondern auch, weil das, was im Iran geschieht, für die Zukunft der gesamten Region entscheidend ist.

Aus: Weekly Worker, Nr.780, 30.7.2009)
(Übersetzung: Hans-Günter Mull). Yassamine Mather ist Iranerin und lebt im Exil in
Schottland. Sie ist Sprecherin der Kampagne Hands Off the People of Iran (HOPI).

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