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Mohssen Massarrats Brief verbindet eine absolut berechtigte
Kritik an einem — medial vergleichsweise präsenten — Teil der deutschen
Linken mit einer falschen Erklärung des Verhaltens eben dieser Linken und einer
merkwürdig unkritischen Einschätzung der sog. „reformorientierten” Teile
der iranischen Eliten.
Schwer erträglich waren
in den vergangenen Wochen in der Tat jene Stimmen, die in Ahmadinejad eine Art Vorkämpfer
gegen den Imperialismus und in den Protestierenden auf den Straßen des Iran bestenfalls
nützliche Idioten des US-Außenministeriums sehen wollten. Fairerweise muss man
allerdings auch sagen, dass in der letzten Zeit etwa in der jungen Welt auch ganz anderen
Positionen Platz eingeräumt wurde.
Warum Massarrat diesen recht
platten und mechanistischen Antiimperialismus auf einen „eindimensionalen
Antikapitalismus” zurückführt, wird nicht klar, zumal von den linken
Ahmadinejad-Freunden bisher keinerlei Ausführungen über die Wirtschafts- oder
Klassenstruktur des Iran oder die Stellung des Landes im kapitalistischen Weltsystem zu lesen
waren. Antikapitalistisches Denken scheint in diesen Kreisen nicht der entscheidende
Bezugspunkt zu sein. Stattdessen erleben wir hier eine Neuauflage der guten alten „Zwei-
Lager-Theorie”, die die Welt in ein imperialistisches und ein
„antiimperialistisch-demokratisches” Lager aufteilte. Allerdings sind den
Vertretern dieser Theorie schon seit geraumer Zeit die „sozialistischen
Vaterländer” abhanden gekommen, für die sie nun einen Ersatz suchen. Der Iran
von Khamenei und Ahmadinejad scheint sich hierfür offensichtlich anzubieten.
Massarrats Hoffnungen richten
sich auf eine bürgerlich-demokratische Reform der Islamischen Republik. Die Geschichte
bürgerlich-demokratischer Bewegungen im Iran ist nun allerdings alles andere als eine
Erfolgsstory — und dies hat gute Gründe. Bereits die erste dieser Bewegungen, die
sog. Konstitutionelle Revolution von 1906—1911 scheiterte an der Verwirklichung ihrer
beiden wichtigsten Ziele: nationale Unabhängigkeit und Einführung eines
parlamentarischen Systems. Am Ende dieser Phase standen vielmehr eine von
Großgrundbesitzern dominierte Notablenversammlung, die Besetzung des Landes durch
Großbritannien und das zaristische Russland, und schließlich die von
bürgerlichen Kräften unterstützte Einsetzung der Pahlavi-Dynastie.
Es sollte vierzig Jahre
dauern, bis unter Mohammad Mosadegh 1951/53 erneut ein Versuch in Richtung Demokratie und
nationaler Selbstbestimmung unternommen wurde. Mossadegh verstaatlichte die iranische
Erdölindustrie und die Ländereien des Schahs, eine umfassende Landreform war
geplant.
Das Ende ist bekannt: Der
demokratische Aufbruch wurde im August 1953 in einem von der CIA geplanten und koordinierten
Putsch brutal erstickt, das Trauma dieses Putsches bestimmt bis heute das politische Denken
vieler Iraner. Weniger bekannt ist, dass dem imperialistischen Coup eine Spaltung des
bürgerlich-liberalen Lagers voranging. Mit Misstrauen wurden hier vor allem Mosadeghs
soziale Maßnahmen und die zunehmenden Massenmobilisierungen gesehen.
Dies führte dazu, dass
ein Teil der bürgerlichen Kräfte aus lauter Angst vor einer angeblich bevorstehenden
kommunistischen Machtübernahme schließlich gemeinsame Sache mit dem Schah und der
CIA machte. Die bürgerlichen Kräfte hatten sich erneut als unfähig erwiesen,
die Grundlagen für ein demokratisches System zu legen.
Die islamische Revolution von
1979 bedeutete in vieler Hinsicht einen tiefen Bruch mit den Verhältnissen unter dem
Schah, in einem entscheidenden Punkt steht sie aber auch in einer Kontinuität mit diesen:
Erdöl ist nach wie vor die zentrale Quelle des Reichtums, und es herrscht, wer über
die Erdölrente verfügt. Dies ist bis heute die konservative Fraktion des Klerus, die
zudem mittels eines Systems religiöser Stiftungen auch die Staatsbetriebe kontrolliert.
Es ist nicht einmal eine allzu große Vereinfachung zu sagen, dass ein erheblicher Teil
der Kämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen der iranischen Theokratie seine
Ursache in der Konkurrenz um diese Ressourcen hat. Die Hauptziele der sog.
„Pragmatiker” und „Reformer” sind dabei im Wesentlichen Privatisierung
und Öffnung des Landes für ausländisches Kapital, um ein Gegengewicht zu den
von den Konservativen dominierten Staatsmonopolen zu schaffen.
Der heute als demokratischer
Hoffnungsträger gehandelte Mirhosein Mousavi war dabei von einem sehr frühen
Zeitpunkt an zutiefst in das Spiel um politische und wirtschaftliche Macht verstrickt, zuerst
Anfang der 80er Jahre als Außenminister der Islamischen Republik, dann für beinahe
den Rest des Jahrzehnts als Premierminister.
In dieser Position hatte er
zumindest politisch die Verantwortung für die Verfolgung und Ermordung unzähliger
säkularer und linker Gegner des islamischen Regimes, darunter auch für den
Massenmord an (je nach Quelle) 2500 bis 12000 politischen Gefangenen 1988. Bis heute hat sich
Mousavi nicht für diese Gräueltaten entschuldigt, eine Tatsache, die seine Wandlung
zum Demokraten nicht gerade glaubwürdiger erscheinen lässt.
Die Mehrheit der Menschen im
Iran hat bei den Verteilungskämpfen innerhalb der Staatseliten nichts zu gewinnen. Eine
Demokratisierung setzt deshalb eine demokratische Kontrolle der großen Staatsbetriebe und
insbesondere des Erdölsektors voraus — denn es ist gerade die Kontrolle über
die Erdölrente, die es der Staatselite ermöglicht, fast völlig unabhängig
von den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu agieren. Einen Austausch der Eliten
oder Elitenfraktionen, die diese Kontrollfunktion ausüben, hat es im Lauf der iranischen
Geschichte mehrfach gegeben. Die Demokratie hat es nicht vorangebracht.
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