SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 16

Demokratie oder Elitenaustausch?

Eine Antwort auf Mohssen Massarrat

von Harald Etzbach

Mohssen Massarrats Brief verbindet eine absolut berechtigte Kritik an einem — medial vergleichsweise präsenten — Teil der deutschen Linken mit einer falschen Erklärung des Verhaltens eben dieser Linken und einer merkwürdig unkritischen Einschätzung der sog. „reformorientierten” Teile der iranischen Eliten.
Schwer erträglich waren in den vergangenen Wochen in der Tat jene Stimmen, die in Ahmadinejad eine Art Vorkämpfer gegen den Imperialismus und in den Protestierenden auf den Straßen des Iran bestenfalls nützliche Idioten des US-Außenministeriums sehen wollten. Fairerweise muss man allerdings auch sagen, dass in der letzten Zeit etwa in der jungen Welt auch ganz anderen Positionen Platz eingeräumt wurde.
Warum Massarrat diesen recht platten und mechanistischen Antiimperialismus auf einen „eindimensionalen Antikapitalismus” zurückführt, wird nicht klar, zumal von den linken Ahmadinejad-Freunden bisher keinerlei Ausführungen über die Wirtschafts- oder Klassenstruktur des Iran oder die Stellung des Landes im kapitalistischen Weltsystem zu lesen waren. Antikapitalistisches Denken scheint in diesen Kreisen nicht der entscheidende Bezugspunkt zu sein. Stattdessen erleben wir hier eine Neuauflage der guten alten „Zwei- Lager-Theorie”, die die Welt in ein imperialistisches und ein „antiimperialistisch-demokratisches” Lager aufteilte. Allerdings sind den Vertretern dieser Theorie schon seit geraumer Zeit die „sozialistischen Vaterländer” abhanden gekommen, für die sie nun einen Ersatz suchen. Der Iran von Khamenei und Ahmadinejad scheint sich hierfür offensichtlich anzubieten.
Massarrats Hoffnungen richten sich auf eine bürgerlich-demokratische Reform der Islamischen Republik. Die Geschichte bürgerlich-demokratischer Bewegungen im Iran ist nun allerdings alles andere als eine Erfolgsstory — und dies hat gute Gründe. Bereits die erste dieser Bewegungen, die sog. Konstitutionelle Revolution von 1906—1911 scheiterte an der Verwirklichung ihrer beiden wichtigsten Ziele: nationale Unabhängigkeit und Einführung eines parlamentarischen Systems. Am Ende dieser Phase standen vielmehr eine von Großgrundbesitzern dominierte Notablenversammlung, die Besetzung des Landes durch Großbritannien und das zaristische Russland, und schließlich die von bürgerlichen Kräften unterstützte Einsetzung der Pahlavi-Dynastie.
Es sollte vierzig Jahre dauern, bis unter Mohammad Mosadegh 1951/53 erneut ein Versuch in Richtung Demokratie und nationaler Selbstbestimmung unternommen wurde. Mossadegh verstaatlichte die iranische Erdölindustrie und die Ländereien des Schahs, eine umfassende Landreform war geplant.
Das Ende ist bekannt: Der demokratische Aufbruch wurde im August 1953 in einem von der CIA geplanten und koordinierten Putsch brutal erstickt, das Trauma dieses Putsches bestimmt bis heute das politische Denken vieler Iraner. Weniger bekannt ist, dass dem imperialistischen Coup eine Spaltung des bürgerlich-liberalen Lagers voranging. Mit Misstrauen wurden hier vor allem Mosadeghs soziale Maßnahmen und die zunehmenden Massenmobilisierungen gesehen.
Dies führte dazu, dass ein Teil der bürgerlichen Kräfte aus lauter Angst vor einer angeblich bevorstehenden kommunistischen Machtübernahme schließlich gemeinsame Sache mit dem Schah und der CIA machte. Die bürgerlichen Kräfte hatten sich erneut als unfähig erwiesen, die Grundlagen für ein demokratisches System zu legen.
Die islamische Revolution von 1979 bedeutete in vieler Hinsicht einen tiefen Bruch mit den Verhältnissen unter dem Schah, in einem entscheidenden Punkt steht sie aber auch in einer Kontinuität mit diesen: Erdöl ist nach wie vor die zentrale Quelle des Reichtums, und es herrscht, wer über die Erdölrente verfügt. Dies ist bis heute die konservative Fraktion des Klerus, die zudem mittels eines Systems religiöser Stiftungen auch die Staatsbetriebe kontrolliert. Es ist nicht einmal eine allzu große Vereinfachung zu sagen, dass ein erheblicher Teil der Kämpfe zwischen den verschiedenen Gruppierungen der iranischen Theokratie seine Ursache in der Konkurrenz um diese Ressourcen hat. Die Hauptziele der sog. „Pragmatiker” und „Reformer” sind dabei im Wesentlichen Privatisierung und Öffnung des Landes für ausländisches Kapital, um ein Gegengewicht zu den von den Konservativen dominierten Staatsmonopolen zu schaffen.
Der heute als demokratischer Hoffnungsträger gehandelte Mirhosein Mousavi war dabei von einem sehr frühen Zeitpunkt an zutiefst in das Spiel um politische und wirtschaftliche Macht verstrickt, zuerst Anfang der 80er Jahre als Außenminister der Islamischen Republik, dann für beinahe den Rest des Jahrzehnts als Premierminister.
In dieser Position hatte er zumindest politisch die Verantwortung für die Verfolgung und Ermordung unzähliger säkularer und linker Gegner des islamischen Regimes, darunter auch für den Massenmord an (je nach Quelle) 2500 bis 12000 politischen Gefangenen 1988. Bis heute hat sich Mousavi nicht für diese Gräueltaten entschuldigt, eine Tatsache, die seine Wandlung zum Demokraten nicht gerade glaubwürdiger erscheinen lässt.
Die Mehrheit der Menschen im Iran hat bei den Verteilungskämpfen innerhalb der Staatseliten nichts zu gewinnen. Eine Demokratisierung setzt deshalb eine demokratische Kontrolle der großen Staatsbetriebe und insbesondere des Erdölsektors voraus — denn es ist gerade die Kontrolle über die Erdölrente, die es der Staatselite ermöglicht, fast völlig unabhängig von den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu agieren. Einen Austausch der Eliten oder Elitenfraktionen, die diese Kontrollfunktion ausüben, hat es im Lauf der iranischen Geschichte mehrfach gegeben. Die Demokratie hat es nicht vorangebracht.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang