SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 17

Israel

droht erneut mit Krieg

von Mohssen Massarrat

Israel droht wieder mit einem Waffengang gegen die Nuklearanlagen des Iran. Meldungen über entsprechende Manöver des israelischen Militärs häufen sich. Laut Times vom 16.Juli handelt es sich um „ernsthafte Vorbereitungen": die Verlegung von Israels raketenbestückten, aus Deutschland gelieferten U-Booten in das Rote Meer, und Angriffsübungen auf den US-Stützpunkten in Nevada und Washington.
Israels Regierung überrascht die Weltöffentlichkeit fast wöchentlich mit Horrormeldungen. Mal steht der Iran kurz vor dem Test einer Atombombe, mal wird seiner Armee unterstellt, den Irak nach dem Abzug der US-Truppen besetzen zu wollen. Verbreitet wird auch immer noch die Falschmeldung, US-Vizepräsident Joe Biden habe Israel grünes Licht für einen Angriff gegen die Nuklearanlagen des Iran erteilt.
Inzwischen hat sich Präsident Obama deutlich gegen „grünes Licht” ausgesprochen. Ehud Barak, Israels Verteidigungsminister, bestand im Gespräch mit US-Verteidigungsminister Robert Gates am 26.Juli dennoch beharrlich darauf, die militärische Option gegen den Iran offen zu halten.
Steht die jetzige Kriegsdrohung in irgendeinem Zusammenhang mit der Demokratiebewegung im Iran? Könnte Israel ganz allein einen Krieg gegen die Atomanlagen des Iran führen? Und was könnten die Motive von Israels rechter Regierung für dieses Säbelrasseln sein?
Manche aus einem bestimmten linken Lager — vornehmlich in der jungen Welt — glauben allen Ernstes, die angeblich von außen gesteuerte Demokratiebewegung würde das Regime schwächen und Israel wie auch den USA eine Steilvorlage dafür liefern, endlich den erwünschten Regime Change herbeizuführen. Israel hat jedoch definitiv kein sonderliches Interesse an einer iranischen Demokratiebewegung, sehr wohl aber — so paradox es auch erscheinen mag — am Feindbild Ahmadinejad. Ein fundamentalistisch regierter Iran und ein zionistisch- expansionistisches Israel brauchen einander ungemein. Seit über zwei Jahrzehnten ist einerseits die Angst vor der „iranischen Bedrohung” das wichtigste Instrument zur Herstellung des innerisraelischen Konsenses und zur Ablenkung von der eigenen Besatzungspolitik in Palästina. Andererseits spielt auch die antiisraelische Propaganda im Iran eine ähnlich legitimierende Funktion für die Theokratie.
Die Demokratiebewegung des Iran ist somit nicht nur eine Gefahr für die Theokratie im Iran, sondern auch eine große Gefahr für die Hardliner in Israel. Sie macht es vor allem den Kriegstreibern schwer, den Iran weiterhin zu dämonisieren. In Israels Tageszeitung Haaretz stand vor einigen Wochen über einem Foto der grünen Massenproteste im Iran sinngemäß die Schlagzeile: „Wen wollen wir im Iran bombardieren?"
Im Unterschied zu Israel besteht zwischen dem neuen US-Präsidenten und der Demokratiebewegung im Iran durchaus ein positiver politischer Zusammenhang. Dank Obamas versöhnlicher Rede in Kairo, die für Sympathie und Vertrauen in der gesamten islamischen Welt warb, gewann die aus dem politischen System ausgeschlossene iranische Zivilgesellschaft zusätzlichen Auftrieb für die Teilnahme an den Wahlen und die Unterstützung für den mutigen Reformer Mousavi.
Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass Obama zusammen mit Israel einen Regime Change im Iran anstrebt.
Wäre aber Israel ohne die USA militärisch überhaupt in der Lage, die iranischen Atomanlagen erfolgreich zu zerstören? Die Fakten sprechen dagegen; Israel verfügt weder über Langstreckenbomber noch über eine hinreichende Anzahl von Tankflugzeugen, um die israelische Luftwaffe beim Hin-und Rückflug mit Brennstoff zu versorgen. Laut Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit, fehlt auch den Delphin-U-Booten — Deutschlands Beitrag zur Wiedergutmachung — die notwendige Reichweite, um so nahe wie möglich an den Iran heranzukommen und mit den eigenen Raketen mittlerer Reichweite seine Atomanlagen zu erreichen. (Durch die Bestellung zwei weiterer Delphin-U-Boote aus Deutschland mit größerer Reichweite soll dieser Mangel behoben werden.) Unklar sei allerdings, ob Israel über hinreichende eigene Raketen größerer Reichweite verfügt, um den Iran vom eigenen Territorium aus anzugreifen.
Was also soll dann das unüberhörbare Säbelrasseln Israels, als wolle es demnächst tatsächlich losschlagen? Tatsächlich geben oft politische Motive den Ausschlag. Israels rechtsgerichtete Regierung Netanyahu/Lieberman steht unter dem Druck der neuen US- Nahostpolitik, man könnte auch sagen: mit dem Rücken zur Wand. Denn sie weigert sich, Obamas Forderung nachzukommen und den Siedlungsbau zu stoppen, erst recht, sich auf eine Zweistaatenlösung einzulassen. Dies würde ja das Ende des zionistischen Projekts bedeuten, das die rechten Zionisten unter keinen Umständen zur Disposition stellen.
Unter diesen Bedingungen mag alles, was Außenstehenden militärisch irrational erscheint, aus der Perspektive einer abgewirtschafteten Ideologie rational, ja sogar im Sinne eines „Befreiungsschlags” als überlebensnotwendig aussehen. Insofern wäre die Annahme nicht abwegig, hinter dem Säbelrasseln die Absicht zu einem ernsthaften militärischen Angriff gegen die Atomanlagen des Iran zu vermuten. Theoretisch hätte Israel die Möglichkeit, in einem mit den Neokonservativen und Israel-Lobbyisten in den USA abgestimmten Szenario zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Vernichtung der Atomanlagen des Iran und Obama selbst. Denkbar wäre beispielsweise, dass Israels Regierung im Alleingang losschlägt, im perfiden Kalkül, Obama hätte — unter dem massiven öffentlichen Druck, den die ganze Maschinerie der Neocons und der Israel-Lobby sofort erzeugen würde, sobald die erste iranische Rakete in Israel einschlüge — keine andere Wahl, als durch nachträgliche Beteiligung der US- Armee am Krieg Israel vor einem neuen Holocaust zu schützen. Obamas Change-Projekt wäre dann zum Scheitern verurteilt.
An dieser düsteren Perspektive rückwärts in den Kalten Krieg kann niemand, auch nicht Deutschland, ein Interesse haben. Der Bundesregierung stünde es gut an, Israels Regierung vor einem folgenschweren Angriffskrieg rechtzeitig zu warnen und weitere Waffenlieferungen nach Israel und in das gesamte Spannungsgebiet sofort zu stoppen.


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