SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 22

Maoismus —

Eine Rückschau

Maoismus. Ideengeschichte und revolutionärer Geist (Hg. Felix Wemheuer), Wien: Promedia, 2008, 176 S., 12,90 Euro

Mit dem Sieg der bäuerlichen Armeen und der Ausrufung der Volksrepublik im Jahre 1949 endete eine historische Phase, die das Reich der Mitte zum Opfer kolonialer Ausbeutung gemacht hatte. China wurde zum selbständigen Akteur auf der Weltbühne, doch nicht als neuer Konkurrent auf dem kapitalistischen Weltmarkt.Spätestens durch die von der KP unter Mao Zedong initiierte Kulturrevolution erprobten die chinesischen Kommunisten eine eigene Variante antiimperialistischer Entwicklungspolitik und wurden zum Bezugspunkt für revolutionäre Bewegungen. Diese Periode endete 1978.
Vor dem Hintergrund des Scheiterns des Experiments der Volkskommune und einer für die Ernährung der Bevölkerung zu geringen Wachstumsrate vollzog die Parteimehrheit unter Führung des langjährigen Mao-Widersachers Deng Xiao Ping den Abschied vom maoistischen Entwicklungspfad und stellte Weichen zu marktorientierten Reformen, deren entfesselnde Dynamik China zu einer führenden kapitalistischen Weltmacht im 21. Jahrhunderts gemacht hat. Doch es ist die schamlose Ausbeutung der chinesischen Arbeiter und ihre Rückverwandlung in schutzlose Lohnarbeiter, die diesen Wandel ermöglicht hat. Nach dem Gini-Index, der weltweit die Ungleichverteilung des Einkommens misst, liegt China mittlerweile hinter den USA. Die Empörung über diese Entwicklung entlädt sich heute in Tausenden von zumeist vereinzelten Widerstandsaktionen, bei deren Bekämpfung Partei und Regierung nicht zufällig Konfuzius wiederentdeckt haben, der die stabile Ordnung und die Harmonie idealisierte und empfahl, Unruhen bereits im Keim zu ersticken. Bekanntlich hatten die Maoisten mit den Parolen „Konfuzius kritisieren” und „Rebellion ist berechtigt” versucht, eben diese zu organisieren. Das wirft die Frage auf, ob der Maoismus in den aktuellen Unruhen eine Chance auf eine Renaissance hat und wenn ja, worin seine emanzipatorische Erbschaft bestehen könnte, und wo seine Irrtümer und Grenzen liegen.
Das von Felix Wemheuer herausgegebene Buch Maoismus. Ideengeschichte und revolutionärer Geist versucht, dazu einen Beitrag zu leisten. Das Buch umfasst Artikel von Mao aus verschiedenen Perioden der chinesischen Revolution und macht nachvollziehbar, wie der chinesische Revolutionär auf der Basis einer Klassenanalyse der chinesischen Gesellschaft eine Theorie der sozialen Revolution in einer bäuerlichen Gesellschaft entwickelte, die zu anderen Ergebnissen kam als die KPdSU-Orthodoxie.
Einen zweiten Schwerpunkt des Buches bildet die Beurteilung der Kulturrevolution. Neben Artikeln des ZK von 1966 und von Yao Wenyuan 1975 (er war Mitglied der sog. Viererbande) kommen Theoretiker und Aktivisten der westeuropäischen Arbeiterbewegungslinken zu Wort. Dokumentiert wird u.a. ein Streitgespräch zwischen dem ehemaligen Aktivisten der Gauche Prolétarienne, Benny Lévy, und Michel Foucault, das sich um die heute etwas befremdend wirkende Frage dreht, ob die Massen frei über den Umgang mit ihren Peinigern bestimmen sollen oder ob es dafür eine „dritte Instanz”, ein Gericht, geben muss. Charles Bettelheim entwickelt auf der Basis eigener Erfahrungen und Gespräche im China der Kulturrevolution eine marxistische Theorie von Übergangsgesellschaften. Rossana Rossanda begründet, warum sie in der chinesischen Herausforderung eine Erneuerung des Marxismus sieht. Edorda Masi analysiert Theorie und Praxis der maoistischen KP als notwendigen, aber unvollständigen Bruch mit dem Leninismus.
Am Ende des Buches finden sich Empfehlungen deutscher und englischer Literatur zum Thema.

Jochen Gester


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang