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Unsere Genossin Helene „Leni” Jungclas ist am
28.Juni in Köln gestorben. Sie wurde am 22.August 1917 als Helene Perz in eine
sozialdemokratische Kölner Arbeiterfamilie geboren. 1929 begann sie politisch aktiv zu
werden, indem sie in der Freidenkerjugend mitarbeitete; bis zur Zerstörung der
Arbeiterbewegung 1933 war der Freidenkerverband für Sozialisten ein Gegenstück zu
den christlichen Kirchen und ein bedeutender Teil der Arbeiterkulturbewegung in Deutschland
und in Österreich.
Kurz vor dem Ende der Weimarer
Republik (1932) trat Lenis Vater, Wilhelm Perz, von der SPD zur Sozialistischen Arbeiterpartei
(SAP) über. Diese war im Oktober 1931 gegründet worden, nach einem heftigen und
vergeblichen Kampf des linken Flügels in der SPD gegen die Politik der
„Verteidigung der Republik” und die Tolerierung der Regierung Brüning und
ihrer arbeiterfeindlichen Notverordnungen. Zur selben Zeit trat Leni mit 14 Jahren dem der SAP
verbundenen Sozialistischen Jugendverband (SJV) bei. Im Kölner SJV waren damals auch
Jakob Moneta; der spätere Literaturwissenschaftler Hans Mayer war Referent in der SJV-
Gruppe.
In der NS-Zeit war Leni an der
illegalen Arbeit der SAP beteiligt. Sie hat diese Arbeit so beschrieben: Nach der
Machtübernahme der Faschisten haben wir „mit einigen Genossen der SAP, des
Deutschen Freidenkerverbands (DFV) und der SPD gegen den Faschismus gekämpft. Wir haben
Flugblätter verfasst und verteilt, Zettel gegen die Nazis an die Wände geklebt mit
der Aufschrift Nieder mit Hitler und ähnliches ... Mein Vater, der wegen der
Bewilligung des Panzerkreuzer I aus der SPD ausgetreten war, war der Kurier zwischen Köln
und Brüssel, wohin Max Sievers, der Sekretär des DFV, mit 600000 RM geflüchtet
war. Von dort holte er Flugblätter aus Seidenpapier, die in Quadraten von ca. 5 cm
gefaltet waren, die wir an Genossen in ganz Deutschland verschickten.” Wilhelm Perz
wurde 1934 verhaftet und in einem Prozess „in 8 Minuten zu 8 Jahren Zuchthaus
verurteilt” Die Gruppe, in der Leni mitarbeitete, flog auf, viele aus diesem Kreis
wurden verhaftet und später in den Zuchthäusern und Konzentrationslagern ermordet.
Sie wurde glücklicherweise verschont, weil ihre Genossinnen und Genossen ihren Namen
nicht preisgaben.
Nach dem Krieg gab es die SAP
nicht mehr. Leni half jetzt im rechtsrheinischen Köln beim Aufbau der Sozialistischen
Jugend Die Falken. Ab 1947 gehörte sie einer marxistischen Gruppe in der Kölner SPD
an, die sich aus ehemaligen SAP-Mitgliedern, linken Sozialdemokraten und aus der KPD
ausgeschlossenen Kommunisten zusammensetzte; aus ihr ging später der Marxistische
Arbeitskreis (MAK) hervor, von dem zahlreiche Initiativen wie das „Manifest der
Kölner Jungsozialisten” von 1954 ausgingen, das sich gegen die antimarxistischen
„Ballastabwerfer” und die Umwandlung der SPD von einer Arbeiterpartei in eine
„Volkspartei” richtete. 1950 kam Georg „Schorsch” Jungclas, damals
politischer Sekretär der deutschen Sektion der IV.Internationale, nach Köln und
lernte dort Leni Perz kennen, die er 1962 heiratete. Durch ihn kam Leni zum organisierten
„Trotzkismus”
Zusammen trugen sie die
„entristische” Arbeit der revolutionären Marxistinnen und Marxisten in der
SPD, die Aktionen gegen die Wiederbewaffnung und die Atombombe, die Solidarität mit der
algerischen Revolution uvm.
Als 1958 die kleine Zeitung
Freies Algerien zu erscheinen begann, stand zunächst Hans-Jürgen Wischnewski als
Verantwortlicher im Impressum der ersten vier Ausgaben; er zog sich von dieser Arbeit
zurück, als er als Kandidat der Kölner Jungsozialisten in den Bundestag gewählt
wurde. Danach übernahm Will Perz, der Vater von Leni, diese Aufgabe: „Wenn es der
Revolution nützt, mache ich alles”, soll der alte Sozialdemokrat dieses längst
ausgestorbenen Schlages gesagt haben... Bis 1962 erschienen immerhin 22 Ausgaben.
In der NS-Zeit lernte Leni
Hutmacherin und übte diesen Beruf bis über das Kriegsende hinaus aus. Im Jahr 1954
machte sie ihren Meisterbrief im Putzmacherhandwerk, wie die Berufsbezeichnung offiziell
hieß. Anfangs gehörten Leni drei Hutgeschäfte in Köln. Zwei musste sie aus
wirtschaftlichen Gründen, aber auch weil die politischen Aktivitäten überhand
nahmen, nach einigen Jahren wieder aufgeben, nur das Geschäft am Wilhelmplatz in
Köln-Nippes behielt sie noch bis Anfang der 60er Jahre. Zeitweise sicherte sie damit
ihren und Schorschs Lebensunterhalt. Das Geschäft in Nippes war außerdem ein
wichtiger Anlaufpunkt für die Algerienarbeit: Konnten dort doch ohne großes Aufsehen
viele Personen ein- und ausgehen, vor allem auch algerische Aktivisten, von denen sich einige
illegal in der BRD aufhielten.
In seiner Rede zu Lenis
80.Geburtstag beschrieb Jakob Moneta die Verhältnisse so: „Schorsch [trug]
sozusagen die kleine deutsche trotzkistische Bewegung auf seinen Schultern. Vergessen wird
jedoch hinzuzufügen, dass es Leni war, die Schorsch auf ihren Schultern getragen
hat."
Nach dem Tod von Schorsch im
September 1975 hat Leni die Aktivitäten unserer Strömung als Mitglied der Gruppe
Internationale Marxisten (GIM), der Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) und der
internationalen sozialistischen linken (isl) begleitet. Sie hat ihre Wohnung in Sindorf
verkauft und ist in Thalhausen im Westerwald in ein Bauernhaus gezogen, wo sie bis Ende 2006
lebte. Bis 1979 arbeitete Leni noch beim Landesamt für Agrarordnung des Landes Nordrhein-
Westfalen in Siegburg. Danach hatte sie den Plan, in ihrem Haus eine Schulungsstätte
für Mitglieder und Sympathisanten der IV.Internationale aufzubauen. Einige Jahre haben
dort zahlreiche Zusammenkünfte stattgefunden, auch mit internationalen Gästen.
Aufgrund zunehmender Streitigkeiten in der GIM wurde das Haus jedoch zu wenig genutzt; wegen
fortschreitenden Alters musste Leni die Schule schließlich aufgeben. Vor etwa zweieinhalb
Jahre haben ihre Freunde sie wieder nach Köln geholt.
Mit ihren Tätigkeiten,
ihren politischen Ratschlägen, ihren Kochkünsten und ihren legendären Anekdoten
über eine ganze Reihe von Leitungsmitgliedern der Internationale aus den 50er und 60er
Jahren wird sie allen, die sie gekannt und geschätzt haben, im Gedächtnis bleiben.
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