SoZ - Sozialistische Zeitung |
Am Anfang sehen wir nur Wellen und Boote — und das in
ungewohntem Schwarzweiß, etwas verschwommen, unten prangt das Logo der spanischen Guardia
Civil. Vermutlich hat eines der Überwachungsflugzeuge das Bild aufgenommen. Dann wird die
Leinwand weiß, ein roter Punkt wird größer, die Umrisse schärfer, es ist
ein Jogger in der Wüste. Im Off erzählt er seine Fluchtgeschichte. Wenig später
sitzen wir im Taxi durch Nouadhibou. Nouadhibou ist mit 90000 Einwohnern die
zweitgrößte Stadt des westafrikanischen Staates Mauretaniens, eine Hafenstadt nahe
der Grenze zu Marokko. Durch die staubigen Strassen erreichen wir das Meer, der Taxifahrer
dreht sich um und fragt lachend, ob wir weiter nach Spanien fahren wollen. Der Hafen ist fast
surreal in seiner Hässlichkeit. Am meisten beeindrucken die riesigen verrosteten Schiffe.
Der Taxifahrer lebt selber schon eine Weile hier, eigentlich wollte er mal weiter nach Europa.
Jetzt schlägt sich schlecht und recht durch und will es nur irgendwie besser schaffen,
egal wo, wenn nötig auch hier.
Hotel Sahara ist diese Stadt
Nouadhibou, die nie wirklich Kontur annimmt, ein Wartezimmer, eine Durchgangsstation für
so viele Afrikaner auf dem Weg nach Europa, zu einem besseren Leben. Haufen von Häusern,
Müll, von Schafen, die Autowracks am Straßenrand nach Futter durchsuchen, Eseln, die
einsam am Strand stehen.
Wir lernen einige von den
vorübergehenden Einwohnern aus den verschiedensten afrikanischen Ländern kennen, sie
erzählen, beschreiben ihren Alltag, verraten ihre Träume. Nur sie kommen zur
Sprache, keine Erzählerstimme ordnet ein, was sie sagen. Relativ zu Beginn sehen wir das
Abschiebelager Nouadhibous, ein kahler, unfreundlicher Bau. In den heruntergekommenen Zellen
sind Graffitis an der Wand, der Fussballstar Ronaldinho, Boote, die Namen der Sehnsuchtsorte.
Der Leiter des Lagers erklärt: „Wir halten uns an die Regeln, wir sind kein
Gefängnis.” Die Regeln, die sie befolgen, sagt er, sind die von der IOM, der
Internationalen Organisation für Migration, eine weltweit agierende, in NGO-Kreisen
umstrittene Nichtregierungsorganisation.
Die sagt: Man darf schon
migrieren, aber dabei muss man die Regeln beachten. Genau dies finden die Afrikaner in der
Warteschleife aber verkehrt. Wie kann es sein, fragen sie, dass Europäer sogar mit einem
alten Fahrrad durch Afrika reisen dürfen, sie aber ein Hin- und Rückflugticket
brauchen und kaum jemals ein Visum bekommen? Besonders berührt ChiChi Peculiar E., eine
sehr junge Nigerianerin. Erstaunlich, wie sie ihr Leben meistert und nicht aufgibt. Sie singt
ein Lied vor, ein Gebet, das sie selber geschrieben hat. Sie arbeitet mit Kindern und
erzählt davon, dass sie ständig für eine Prostituierte gehalten wird, wie alle
englischsprachigen Frauen hier in Nouadhibou.
Der Glaube spielt für
viele der Migranten eine große Rolle. Father Jerome aus Nigeria leitet eine kleine
Kirchengemeinde. Kurz wohnen wir einer Predigt bei: „Die heiligen drei Könige sind
auch gereist”, predigt Father Jerome, „sie brauchten aber keine Visa."
Bettina Haasen wollte vor
allem diese Situation des „Dazwischen” sichtbar machen. Wir sehen die
Unterkünfte der jungen Afrikaner. Sie ähneln einander, eine Matratze, ein Fernseher,
nicht viel, und trotzdem sind diese Zimmer mit Sorgfalt gepflegte Zufluchtsorte. Oft sind die
Bilder überbelichtet, das grelle, gleißende Licht der Wüstenstadt wird so
vermittelt. Man spürt, dass das hier in gewisser Weise das Ende der Welt ist. Schön,
dass die Regisseurin sich Zeit nimmt und dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, Einblick in
die so fremden Lebenswelten dieser Menschen im Transit zu gewinnen.
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