SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2009, Seite 24

Hotel Sahara,

Regie: Bettina Haasen, Deutschland 2008, Kinostart: 6.August 2009

Am Anfang sehen wir nur Wellen und Boote — und das in ungewohntem Schwarzweiß, etwas verschwommen, unten prangt das Logo der spanischen Guardia Civil. Vermutlich hat eines der Überwachungsflugzeuge das Bild aufgenommen. Dann wird die Leinwand weiß, ein roter Punkt wird größer, die Umrisse schärfer, es ist ein Jogger in der Wüste. Im Off erzählt er seine Fluchtgeschichte. Wenig später sitzen wir im Taxi durch Nouadhibou. Nouadhibou ist mit 90000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des westafrikanischen Staates Mauretaniens, eine Hafenstadt nahe der Grenze zu Marokko. Durch die staubigen Strassen erreichen wir das Meer, der Taxifahrer dreht sich um und fragt lachend, ob wir weiter nach Spanien fahren wollen. Der Hafen ist fast surreal in seiner Hässlichkeit. Am meisten beeindrucken die riesigen verrosteten Schiffe. Der Taxifahrer lebt selber schon eine Weile hier, eigentlich wollte er mal weiter nach Europa. Jetzt schlägt sich schlecht und recht durch und will es nur irgendwie besser schaffen, egal wo, wenn nötig auch hier.
Hotel Sahara ist diese Stadt Nouadhibou, die nie wirklich Kontur annimmt, ein Wartezimmer, eine Durchgangsstation für so viele Afrikaner auf dem Weg nach Europa, zu einem besseren Leben. Haufen von Häusern, Müll, von Schafen, die Autowracks am Straßenrand nach Futter durchsuchen, Eseln, die einsam am Strand stehen.
Wir lernen einige von den vorübergehenden Einwohnern aus den verschiedensten afrikanischen Ländern kennen, sie erzählen, beschreiben ihren Alltag, verraten ihre Träume. Nur sie kommen zur Sprache, keine Erzählerstimme ordnet ein, was sie sagen. Relativ zu Beginn sehen wir das Abschiebelager Nouadhibous, ein kahler, unfreundlicher Bau. In den heruntergekommenen Zellen sind Graffitis an der Wand, der Fussballstar Ronaldinho, Boote, die Namen der Sehnsuchtsorte. Der Leiter des Lagers erklärt: „Wir halten uns an die Regeln, wir sind kein Gefängnis.” Die Regeln, die sie befolgen, sagt er, sind die von der IOM, der Internationalen Organisation für Migration, eine weltweit agierende, in NGO-Kreisen umstrittene Nichtregierungsorganisation.
Die sagt: Man darf schon migrieren, aber dabei muss man die Regeln beachten. Genau dies finden die Afrikaner in der Warteschleife aber verkehrt. Wie kann es sein, fragen sie, dass Europäer sogar mit einem alten Fahrrad durch Afrika reisen dürfen, sie aber ein Hin- und Rückflugticket brauchen und kaum jemals ein Visum bekommen? Besonders berührt ChiChi Peculiar E., eine sehr junge Nigerianerin. Erstaunlich, wie sie ihr Leben meistert und nicht aufgibt. Sie singt ein Lied vor, ein Gebet, das sie selber geschrieben hat. Sie arbeitet mit Kindern und erzählt davon, dass sie ständig für eine Prostituierte gehalten wird, wie alle englischsprachigen Frauen hier in Nouadhibou.
Der Glaube spielt für viele der Migranten eine große Rolle. Father Jerome aus Nigeria leitet eine kleine Kirchengemeinde. Kurz wohnen wir einer Predigt bei: „Die heiligen drei Könige sind auch gereist”, predigt Father Jerome, „sie brauchten aber keine Visa."
Bettina Haasen wollte vor allem diese Situation des „Dazwischen” sichtbar machen. Wir sehen die Unterkünfte der jungen Afrikaner. Sie ähneln einander, eine Matratze, ein Fernseher, nicht viel, und trotzdem sind diese Zimmer mit Sorgfalt gepflegte Zufluchtsorte. Oft sind die Bilder überbelichtet, das grelle, gleißende Licht der Wüstenstadt wird so vermittelt. Man spürt, dass das hier in gewisser Weise das Ende der Welt ist. Schön, dass die Regisseurin sich Zeit nimmt und dem Zuschauer die Möglichkeit gibt, Einblick in die so fremden Lebenswelten dieser Menschen im Transit zu gewinnen.

Angela Huemer


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