SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 03

Klimaschutz erfordert Klimagerechtigkeit

Vor dem Klimagipfel in Kopenhagen formieren sich weltweit Protestgruppen

von Brian Tokar

Der Sommer und Herbst 2009 können in die Umweltgeschichte als die Zeit eingehen, in der die Mächtigen der Welt langsam begonnen haben, in Richtung einer sinnvollen Lösung des zunehmend drohenden Klimawandels zu kriechen. Oder aber, wenn die Dinge weiter gehen wie bisher, können sie auch als die Monate in die Geschichte eingehen, die unaufhaltbar das Abrutschen in Richtung unstabiler Klimaverhältnisse festgeschrieben haben, in eine chaotische Welt, die unsere Vorfahren kaum wieder erkennen würden.
Die Massenmedien malen die Zukunft eher rosig, sie klammern sich an die G8-Erklärung Anfang Juli, die Klimaerwärmung weiterhin auf weniger als zwei Grad beschränken zu wollen. Das größte Hindernis auf diesem Weg sollen angeblich die sog. Entwicklungsländer sein. Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass die Entwicklungsländer sich nur deshalb gegen Langzeitziele wehren — also die Reduzierung der Treibgasemissionen auf 50% im Verhältnis zu 1990 bis zum Jahr 2050 — weil wichtige Industriestaaten keine dazu gehörigen kurzfristigen Ziele anpeilen wollen, z.B. die Reduzierung auf 20% bis zum Jahr 2020 (die meisten europäischen Regierungen haben dieses Ziel allerdings akzeptiert).
Ohne kurzfristige Festlegungen können die Politiker alles Mögliche für den Zeitraum in 40 Jahren versprechen. Klimatologen erinnern auf der wissenschaftlichen Internetseite www.realclimate.org daran, dass selbst die „bescheidene” Klimaerwärmung von zwei Grad schwerwiegende Folgen haben kann: Dürre und Orkane, die die Zukunft der zivilisierten Welt in Frage stellen. Wenn die CO2-Emissionen weiterhin um 2% pro Jahr steigen, wird sich das Klima im Jahr 2100 um mehr als 2 Grad erwärmt haben. Um den Anstieg unter 50% zu halten, müssen die entwickelten Länder in den nächsten 40 Jahren ihre Emissionen um mindestens 80% reduzieren. Diese Prognose ist jedoch höchst unsicher. Die einzig verlässliche Art, das Ziel zu erreichen, wäre, die gesamten weltweiten Emissionen im Zeitraum von 2000 bis 2050 auf unter 400 Milliarden Tonnen zu begrenzen. Das Problem dabei ist, schreibt die US- amerikanische Zeitschrift Nature, dass wir seit dem Jahr 2000 bereits ein Drittel dieser Menge verbraucht haben. Das Kyoto-Abkommen, demzufolge die reichen Länder ihre Emissionen bis 2012 um 6—8% unter dem Niveau von 1990 reduzieren müssen, hat bislang keine nachweisbaren Erfolge erzielt.

Deckeln und Handeln

Auf diplomatischer Ebene ruhen die Hoffnungen auf ein Abwenden katastrophaler Klimaveränderungen auf Vereinbarungen, die auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen (7.—18. Dezember) getroffen werden müssen. Vor allem hofft man auf einen Durchbruch in den bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und China, die zusammen für 40% der weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Doch die USA, wie auch Japan, nehmen in den Vorverhandlungen zum Klimagipfel weiterhin eine negative Rolle ein.
Die Vertreter der großen Konzerne umschwirren die UN-Klimatreffen wie Geier, um ihre Bedingungen im wachsenden CO2- Emissionshandel zu diktieren. „Cap-and-trade” (Deckeln und Handeln) heißt die neue Devise: Die Schaffung eines künstlichen Markts für „Emissionsrechte” soll die Verschmutzung eindämmen. Diese Idee stammt aus der Zeit, als Präsident George Bush Sr. Anfang der 90er Jahre ein Programm gegen den sauren Regen ins Leben rief. Damals wurde die Idee geboren, die effizienteste Art der Reduzierung der Umweltverschmutzung bestehe darin, eine Obergrenze festzulegen und den Firmen zu erlauben, mit Emissionsrechten zu handeln. Man hoffte, damit die kosteneffizientesten Technologien zu fördern. Das Programm gegen den sauren Regen brachte bescheidene Erfolge, was jedoch vor allem an der Reduzierung des Schwefelausstoßes lag. Der Handel mit Emissionsrechten trug nur marginal dazu bei. In Europa fiel der Wert des zu handelnden CO2 vor drei Jahren drastisch, und der CO2-Emissionshandel kollabierte nahezu vollständig, als viele zusätzliche Genehmigungen an bevorzugte Industrien erteilt wurden.

Ein neuer Ablasshandel

Rund um den Emissionshandel hat sich ein vollkommen neuer Mythos entwickelt. Nahezu jedesmal, wenn man ein Flugticket kauft, gibt es jemanden, der eine Kompensation anbietet, um den persönlichen Beitrag zur Klimaerwärmung zu reduzieren. CO2-Kompensationen sind die postmoderne Variante des Ablasshandels der katholischen Kirche, eine Art und Weise, für seine Sünden zu büßen.
Auf globaler Ebene, wo nicht Individuen, sondern Konzerne die Hauptakteure sind, entpuppt sich dieser Handel als eine Riesendummheit. Anstatt innovative Maßnahmen zu fördern, die dazu beitragen, den Energieverbrauch in armen Ländern zu reduzieren, unterstützt der CO2- Kompensationshandel bereits bestehende Projekte, die hochgradig zur Erderwärmung beitragen. Die routinemäßige Zerstörung von Abfallprodukten aus Chinas steigender Produktion von Hydrofluorcarbon (ein Gas, das anstelle von Ozon zerstörenden Gasen eingesetzt wurde, sich allerdings als verantwortlich für die globale Erwärmung herausgestellt hat) kann dadurch beispielsweise fortgesetzt werden. Ein Viertel der CO2- Kompensationsprojekte sind große Wasserkraftwerke; nahezu alle diese Projekte gab es bereits, bevor sie zur Kompensation für den CO2-Ausstoß herangezogen wurden. Umweltorganisationen weisen darauf hin, dass große Wasserkraftwerke gar nicht umweltfreundlich sind, sondern große Mengen an Methan und anderen Treibstoffgasen produzieren. Eine deutsche Studie über CO2-Kompensationsprojekte im Jahr 2007 kommt zum Ergebnis, dass 86% der aufgeführten Projekte eh betrieben worden wären. Dies widerspricht ganz klar den Richtlinien des Kyoto-Protokolls, denen zufolge Kompensationsprojekte zusätzlich zu bereits bestehenden Projekten entstehen müssen, also nicht bereits geplant sein dürfen.
Wenn man also Firmen erlaubt, die Reduzierung der von ihnen produzierten Treibhausgase durch den Erwerb sog. Kompensationen aufzuschieben, ist das ein trojanisches Pferd, das einen Fortschritt im Kampf gegen den Klimawandel torpediert. Dennoch ist Emissions- und Kompensationshandel ein wesentlicher Teil der aktuellen US-Gesetzgebung gegen den Klimawandel.

Der Kampf um Klimagerechtigkeit

Seit rund einem Jahr treffen sich Aktivisten aus aller Welt, um anlässlich des UN- Klimagipfels in Kopenhagen mit vereinter Kraft zu reagieren. Da vorauszusehen ist, dass die Vereinbarungen in Kopenhagen zur Bekämpfung des Klimawandels unzureichend sein werden, wollen die Aktivisten auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns gegen seine Hauptursachen aufmerksam machen. Bei einem Treffen des Netzwerks „Climate-Justice-Action” in diesem Sommer einigten sich Teilnehmende aus rund 20 Ländern — viele davon aus dem Süden — auf eine ehrgeizige Agenda als Gegenentwurf zum businessorientierten Verhandeln auf UN-Ebene. „Wir können weder dem Markt unsere Zukunft anvertrauen, noch an unbewiesene und unhaltbare Technologien glauben”, heißt es da. „Im Gegensatz zu denen, die an den ‘grünen Kapitalismus‘ glauben, wissen wir, dass es unmöglich ist, auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum zu haben."
Die Resolution fordert, fossile Brennstoffe in der Erde zu belassen, eine öffentliche und regionale Kontrolle über die Produktion, den Respekt für die Rechte indigener Völker sowie Reparationszahlungen für die Schäden, die durch den Klimawandel entstehen. Ein Aktionstag in Kopenhagen wird dem Thema „Klimaschulden” gewidmet sein.
Die wachsende Debatte rund um Klimagerechtigkeit zeigt, dass es ein erhöhtes Verständnis dafür gibt, dass diejenigen, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, am wenigsten dafür verantwortlich sind. Viele Menschen sind sowohl von den Klimafolgen als auch von den falschen Maßnahmen gegen den Klimawandel betroffen. Zudem verstärken die Lösungen der Konzerne oftmals die Privatisierung und den Warencharakter von Land, Wasser oder der Atmosphäre selbst, oft zum Schaden der betroffenen Menschen.
Diese Sichtweise wurde erstmals nach einem Treffen in Durban, Südafrika, im Herbst 2004 artikuliert. Vertreter von sozialen Bewegungen aus Indien, Brasilien, Samoa, den USA, Großbritannien und Südafrika entwarfen die Durban-Deklaration zum Emissionshandel. Die Durban-Gruppe hat auch dazu beigetragen, dass Betroffene zu UN-Treffen kommen können — also die Menschen, die zunehmend von der Plünderung der Ressourcen und der Umwandlung von Wald in Monokulturen betroffen sind — der in der Mehrzahl der Fälle mit der Reduzierung der CO2-Belastung gerechtfertigt wird. Nach dem UN-Klimagipfel in Bali 2007, wo betroffene Völker sowohl im Rahmen der offiziellen Veranstaltungen als auch außerhalb stark auftraten, entstand ein weltweites Netzwerk unter dem Motto „Klimagerechtigkeit jetzt!"
Das Netzwerk vereinigt eine beeindruckende Bandbreite von Interessen. In Pittsburgh, USA, gab es bspw. ein „Climate Action Camp” während der Pittsburgh Coal Conference vom 21. bis 23.September und parallel zum anschließenden G20-Gipfeltreffen. Ziel des Camps war, Druck auf die Regierung von Präsident Obama auszuüben, dass in Kopenhagen tatsächlich wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden. Aktionen sind auch für den Tag der indigenen Völker am 12.Oktober geplant und für den internationalen Klimaaktionstag am 24.Oktober, dem Tag der Vereinten Nationen.

Der Autor ist Leiter des Instituts für Sozialökologie in Vermont, USA). (Übersetzung: Angela Klein.)






Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang