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Der Sommer und Herbst 2009 können in die Umweltgeschichte
als die Zeit eingehen, in der die Mächtigen der Welt langsam begonnen haben, in Richtung
einer sinnvollen Lösung des zunehmend drohenden Klimawandels zu kriechen. Oder aber, wenn
die Dinge weiter gehen wie bisher, können sie auch als die Monate in die Geschichte
eingehen, die unaufhaltbar das Abrutschen in Richtung unstabiler Klimaverhältnisse
festgeschrieben haben, in eine chaotische Welt, die unsere Vorfahren kaum wieder erkennen
würden.
Die Massenmedien malen die
Zukunft eher rosig, sie klammern sich an die G8-Erklärung Anfang Juli, die
Klimaerwärmung weiterhin auf weniger als zwei Grad beschränken zu wollen. Das
größte Hindernis auf diesem Weg sollen angeblich die sog. Entwicklungsländer
sein. Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass die Entwicklungsländer sich
nur deshalb gegen Langzeitziele wehren — also die Reduzierung der Treibgasemissionen auf
50% im Verhältnis zu 1990 bis zum Jahr 2050 — weil wichtige Industriestaaten keine
dazu gehörigen kurzfristigen Ziele anpeilen wollen, z.B. die Reduzierung auf 20% bis zum
Jahr 2020 (die meisten europäischen Regierungen haben dieses Ziel allerdings akzeptiert).
Ohne kurzfristige Festlegungen
können die Politiker alles Mögliche für den Zeitraum in 40 Jahren versprechen.
Klimatologen erinnern auf der wissenschaftlichen Internetseite www.realclimate.org daran, dass
selbst die „bescheidene” Klimaerwärmung von zwei Grad schwerwiegende Folgen
haben kann: Dürre und Orkane, die die Zukunft der zivilisierten Welt in Frage stellen.
Wenn die CO2-Emissionen weiterhin um 2% pro Jahr steigen, wird sich das Klima im Jahr 2100 um
mehr als 2 Grad erwärmt haben. Um den Anstieg unter 50% zu halten, müssen die
entwickelten Länder in den nächsten 40 Jahren ihre Emissionen um mindestens 80%
reduzieren. Diese Prognose ist jedoch höchst unsicher. Die einzig verlässliche Art,
das Ziel zu erreichen, wäre, die gesamten weltweiten Emissionen im Zeitraum von 2000 bis
2050 auf unter 400 Milliarden Tonnen zu begrenzen. Das Problem dabei ist, schreibt die US-
amerikanische Zeitschrift Nature, dass wir seit dem Jahr 2000 bereits ein Drittel dieser Menge
verbraucht haben. Das Kyoto-Abkommen, demzufolge die reichen Länder ihre Emissionen bis
2012 um 6—8% unter dem Niveau von 1990 reduzieren müssen, hat bislang keine
nachweisbaren Erfolge erzielt.
Auf diplomatischer Ebene ruhen die Hoffnungen auf ein Abwenden katastrophaler
Klimaveränderungen auf Vereinbarungen, die auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen
(7.—18. Dezember) getroffen werden müssen. Vor allem hofft man auf einen Durchbruch
in den bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und China, die zusammen für 40% der
weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Doch die USA, wie auch Japan, nehmen in den
Vorverhandlungen zum Klimagipfel weiterhin eine negative Rolle ein.
Die Vertreter der großen
Konzerne umschwirren die UN-Klimatreffen wie Geier, um ihre Bedingungen im wachsenden CO2-
Emissionshandel zu diktieren. „Cap-and-trade” (Deckeln und Handeln) heißt die
neue Devise: Die Schaffung eines künstlichen Markts für
„Emissionsrechte” soll die Verschmutzung eindämmen. Diese Idee stammt aus der
Zeit, als Präsident George Bush Sr. Anfang der 90er Jahre ein Programm gegen den sauren
Regen ins Leben rief. Damals wurde die Idee geboren, die effizienteste Art der Reduzierung der
Umweltverschmutzung bestehe darin, eine Obergrenze festzulegen und den Firmen zu erlauben, mit
Emissionsrechten zu handeln. Man hoffte, damit die kosteneffizientesten Technologien zu
fördern. Das Programm gegen den sauren Regen brachte bescheidene Erfolge, was jedoch vor
allem an der Reduzierung des Schwefelausstoßes lag. Der Handel mit Emissionsrechten trug
nur marginal dazu bei. In Europa fiel der Wert des zu handelnden CO2 vor drei Jahren
drastisch, und der CO2-Emissionshandel kollabierte nahezu vollständig, als viele
zusätzliche Genehmigungen an bevorzugte Industrien erteilt wurden.
Rund um den Emissionshandel hat sich ein vollkommen neuer Mythos entwickelt. Nahezu
jedesmal, wenn man ein Flugticket kauft, gibt es jemanden, der eine Kompensation anbietet, um
den persönlichen Beitrag zur Klimaerwärmung zu reduzieren. CO2-Kompensationen sind
die postmoderne Variante des Ablasshandels der katholischen Kirche, eine Art und Weise,
für seine Sünden zu büßen.
Auf globaler Ebene, wo nicht
Individuen, sondern Konzerne die Hauptakteure sind, entpuppt sich dieser Handel als eine
Riesendummheit. Anstatt innovative Maßnahmen zu fördern, die dazu beitragen, den
Energieverbrauch in armen Ländern zu reduzieren, unterstützt der CO2-
Kompensationshandel bereits bestehende Projekte, die hochgradig zur Erderwärmung
beitragen. Die routinemäßige Zerstörung von Abfallprodukten aus Chinas
steigender Produktion von Hydrofluorcarbon (ein Gas, das anstelle von Ozon zerstörenden
Gasen eingesetzt wurde, sich allerdings als verantwortlich für die globale Erwärmung
herausgestellt hat) kann dadurch beispielsweise fortgesetzt werden. Ein Viertel der CO2-
Kompensationsprojekte sind große Wasserkraftwerke; nahezu alle diese Projekte gab es
bereits, bevor sie zur Kompensation für den CO2-Ausstoß herangezogen wurden.
Umweltorganisationen weisen darauf hin, dass große Wasserkraftwerke gar nicht
umweltfreundlich sind, sondern große Mengen an Methan und anderen Treibstoffgasen
produzieren. Eine deutsche Studie über CO2-Kompensationsprojekte im Jahr 2007 kommt zum
Ergebnis, dass 86% der aufgeführten Projekte eh betrieben worden wären. Dies
widerspricht ganz klar den Richtlinien des Kyoto-Protokolls, denen zufolge
Kompensationsprojekte zusätzlich zu bereits bestehenden Projekten entstehen müssen,
also nicht bereits geplant sein dürfen.
Wenn man also Firmen erlaubt,
die Reduzierung der von ihnen produzierten Treibhausgase durch den Erwerb sog. Kompensationen
aufzuschieben, ist das ein trojanisches Pferd, das einen Fortschritt im Kampf gegen den
Klimawandel torpediert. Dennoch ist Emissions- und Kompensationshandel ein wesentlicher Teil
der aktuellen US-Gesetzgebung gegen den Klimawandel.
Seit rund einem Jahr treffen sich Aktivisten aus aller Welt, um anlässlich des UN-
Klimagipfels in Kopenhagen mit vereinter Kraft zu reagieren. Da vorauszusehen ist, dass die
Vereinbarungen in Kopenhagen zur Bekämpfung des Klimawandels unzureichend sein werden,
wollen die Aktivisten auf die Notwendigkeit sofortigen Handelns gegen seine Hauptursachen
aufmerksam machen. Bei einem Treffen des Netzwerks „Climate-Justice-Action” in
diesem Sommer einigten sich Teilnehmende aus rund 20 Ländern — viele davon aus dem
Süden — auf eine ehrgeizige Agenda als Gegenentwurf zum businessorientierten
Verhandeln auf UN-Ebene. „Wir können weder dem Markt unsere Zukunft anvertrauen,
noch an unbewiesene und unhaltbare Technologien glauben”, heißt es da. „Im
Gegensatz zu denen, die an den grünen Kapitalismus glauben, wissen wir, dass
es unmöglich ist, auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum zu haben."
Die Resolution fordert,
fossile Brennstoffe in der Erde zu belassen, eine öffentliche und regionale Kontrolle
über die Produktion, den Respekt für die Rechte indigener Völker sowie
Reparationszahlungen für die Schäden, die durch den Klimawandel entstehen. Ein
Aktionstag in Kopenhagen wird dem Thema „Klimaschulden” gewidmet sein.
Die wachsende Debatte rund um
Klimagerechtigkeit zeigt, dass es ein erhöhtes Verständnis dafür gibt, dass
diejenigen, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, am wenigsten dafür
verantwortlich sind. Viele Menschen sind sowohl von den Klimafolgen als auch von den falschen
Maßnahmen gegen den Klimawandel betroffen. Zudem verstärken die Lösungen der
Konzerne oftmals die Privatisierung und den Warencharakter von Land, Wasser oder der
Atmosphäre selbst, oft zum Schaden der betroffenen Menschen.
Diese Sichtweise wurde
erstmals nach einem Treffen in Durban, Südafrika, im Herbst 2004 artikuliert. Vertreter
von sozialen Bewegungen aus Indien, Brasilien, Samoa, den USA, Großbritannien und
Südafrika entwarfen die Durban-Deklaration zum Emissionshandel. Die Durban-Gruppe hat
auch dazu beigetragen, dass Betroffene zu UN-Treffen kommen können — also die
Menschen, die zunehmend von der Plünderung der Ressourcen und der Umwandlung von Wald in
Monokulturen betroffen sind — der in der Mehrzahl der Fälle mit der Reduzierung der
CO2-Belastung gerechtfertigt wird. Nach dem UN-Klimagipfel in Bali 2007, wo betroffene
Völker sowohl im Rahmen der offiziellen Veranstaltungen als auch außerhalb stark
auftraten, entstand ein weltweites Netzwerk unter dem Motto „Klimagerechtigkeit
jetzt!"
Das Netzwerk vereinigt eine
beeindruckende Bandbreite von Interessen. In Pittsburgh, USA, gab es bspw. ein „Climate
Action Camp” während der Pittsburgh Coal Conference vom 21. bis 23.September und
parallel zum anschließenden G20-Gipfeltreffen. Ziel des Camps war, Druck auf die
Regierung von Präsident Obama auszuüben, dass in Kopenhagen tatsächlich
wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden. Aktionen sind auch für
den Tag der indigenen Völker am 12.Oktober geplant und für den internationalen
Klimaaktionstag am 24.Oktober, dem Tag der Vereinten Nationen.
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