SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 04

Tarifeinigung im Sozial- und Erziehungsdienst

Das Ergebnis blieb unter den Möglichkeiten

von Gisela Pütz

Das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den kommunalen Arbeitgebern und den 300 Delegierten aus dem Sozial- und Erziehungsdienst, das im August vorgelegt wurde, ist für viele Beschäftigte sehr unbefriedigend.
Für die Beschäftigten in den sozialen Diensten, in der Jugendarbeit, in den Kindertagesstätten und in der Behindertenhilfe wollte Ver.di zwei Kernpunkte in einen Tarifvertrag zur betrieblichen Gesundheitsförderung schreiben: den Rechtsanspruch, jeden Arbeitsplatz einmal jährlich auf Gesundheitsgefährdungen untersuchen zu lassen; und den Anspruch auf Maßnahmen zur Abschaffung der festgestellten Gefahren.
Eine Entgeltordnung konnte nicht erstreikt werden, da bis Ende des Jahres eine Friedenspflicht besteht. Mit der Einigung auf den TVöD (Tarifvertrag öffentlicher Dienst) 2005 hatten Ver.di und die öffentlichen Arbeitgeber verabredet, dass bis Oktober 2007 eine neue Entgeltordnung geschaffen werden sollte. Die Verhandlungen wurden jedoch hinausgeschoben, inzwischen sind Übergangsregelungen Standard. So gibt es in den sozialen Diensten und in den Kitas inzwischen zwei unterschiedlich bezahlte Gruppen: Die vor 2005 eingestellten Fachkräfte werden nach dem bis 2005 geltenden BAT bezahlt, die nach Oktober 2005 Eingestellten sind schlechter eingruppiert.
Gesundheitsgefährdungen gehen sowohl von physischen als auch von psychischen Belastungen aus. Schlagworte wie zunehmende Verarmung und Verwahrlosung von Kindern, BürgerInnen und Bürgern sind bittere Realität. In den letzten Jahren haben sich die Fallzahlen und Kinderschutzfälle deutlich erhöht. Die beruflichen Anforderungen für Kinderpflegerinnen, Sozialassistenten, Einrichtungsleitungen, Erzieherinnen, Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen, Heilpädagoginnen haben sich in den letzten Jahren enorm erhöht; unter den jetzigen Rahmenbedingungen können sie ihnen nicht mehr gerecht werden. Um darauf aufmerksam zu machen, haben die Beschäftigten in diesen Berufen gestreikt.
Dabei ging es nicht nur um die Kitas und die Erzieherinnen, die lassen sich nur in den Medien besser vermarkten. Es ging um die Arbeitsbedingungen im gesamten Sozial- und Erziehungsdienst. Unter welchem Druck Sozialarbeit stattfindet, wie man sie verbessern kann und wie die gesellschaftlichen Bedingungen dafür geändert werden müssen, das findet in den Medien kaum Beachtung. Kinderschutzfälle sind nur medienwirksam, wenn wieder ein Kind zu Tode gekommen ist.
Was gibt das Ergebnis her? Beim Gesundheitsschutz konnte das Recht auf den individuellen Anspruch auf eine Gefährdungsanalyse vereinbart werden. Jetzt können betriebliche Kommissionen, zeitlich befristete Gesundheitszirkel, eingerichtet werden, die Belastungen und deren Ursachen analysieren und Lösungsansätze erarbeiten. Bei unterschiedlichen Auffassungen über die Maßnahmen muss eine Mehrheit der Arbeitgebervertreter zustimmen. Wenn der Arbeitgeber die Vorschläge der betrieblichen Kommission ablehnt, muss er das schriftlich begründen.
Also nichts, was man erzwingen könnte, nur der oft zitierte „Fuß in der Tür”
Von der neuen Eingruppierung profitieren die Erzieherinnen, die nach Einführung des TVöD 2005 eingestellt wurden. Das bestehende Gefüge der Tarife im TVöD wurde nicht durchbrochen — zur Freude der Arbeitgeber. Langjährige Sozialarbeiterinnen, Erzieher, Kitaleiterinnen, die vom BAT in den TVÖD geführt wurden, bekommen entweder nur geringe oder keine Erhöhungen. Die große Gruppe der organisierten „Langjährigen” war bei den Streiks die aktive, Basis. Bei den Sozialarbeitern in den sozialen Diensten wurde eine neue Gruppe für eine höhere Bewertung eingeführt. Dies ist gekoppelt an den Kinderschutz. Ist Sozialarbeit in der Altenhilfe weniger wert?
Dass die „Langjährigen” streikten, war neu und äußerst günstig. Die Forderung nach tariflich festgelegtem Gesundheitsschutz hat die Mobilisierung für den Arbeitskampf tragfähig gemacht. Es wurde deutlich, wie viele Kolleginnen und Kollegen unter den Arbeitsbedingungen leiden. Meist handelt es sich in dieser Berufsgruppe um Frauen, die allgemein schlechter bezahlt werden. Sie stehen jetzt da mit einem schalen Geschmack im Mund. Personalschlüssel und Vertretungsregelungen für Langzeiterkrankungen waren nicht Gegenstand der Verhandlungen. Nun können sie Gesundheitszirkel gründen und haben ein Recht auf eine schriftliche Ablehnung des Arbeitgebers bei Ablehnung von Verbesserungsvorschlägen der Arbeitsbedingungen.
Für das Ergebnis hat nur eine knappe Mehrheit der Delegierten gestimmt. Hinzu kommt, dass die Delegierten, die abgestimmt haben, oftmals Urlaubsvertretungen für die Delegierten der „ersten Stunde” und nicht von Anfang an den Verhandlungen beteiligt waren. Bei einer Erklärungsfrist bis zum 21.August 2009 gab es keinen Zeitdruck, die Delegierten hätten sich mit den Streikenden rückkoppeln und den Vorschlag zu diskutieren. Wir sind in die Sommerpause gegangen im Bewusstsein, die Streiks im August bundesweit langsam aufzunehmen, um dann im September mit voller Kraft unbefristet oder mindestens bis zur Bundestagswahl zu streiken. Eine durchaus realistische Streikstrategie, die auch so vorbereitet war. Anders als dargestellt ist der Vertrag keine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung.
Der Gesundheitstarif ist erstreikbar gewesen. Umso erstaunter waren wir nach der Sommerpause, dass es bei der Urabstimmung auch um die Eingruppierungen ging. Wir waren für den Gesundheitsschutz und eine Aufwertungskampagne auf die Straße gegangen. Jetzt haben wir den Eindruck, für die Nachbesserung der in 2005 von Ver.di erzielten mangelhaften Ergebnisse bei der Einführung des TVöD gekämpft zu haben. Zwischen Ver.di-Hauptamtlichen und uns Streikenden wurden immer nur der Gesundheitstarif und die Aufwertungskampagne kommuniziert.
Wir haben sehr engagiert gekämpft und sind jetzt sehr enttäuscht und frustriert. Leider haben einige in Düsseldorf ihre ehrenamtlichen Ämter nach langjähriger Aktivität niedergelegt.

Die Autorin arbeitet als Sozialarbeiterin in der Elternberatung einer Einrichtung für behinderte und entwicklungsverzögerte Kinder. Dort ist sie Vertrauensfrau und war in der ehrenamtlichen Streikleitung.


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