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Nach derzeitigem Stand sind bereits 35 Bundeswehrsoldaten im Afghanistankrieg ums Leben
gekommen, außerdem Dutzende, durch direktes Handeln von Soldaten der Bundeswehr
getötete, afghanische Zivilisten. Seit einiger Zeit wird auch offiziell von Gefallenen
geredet, und die Vermeidung der Bezeichnung „Krieg” für das blutige und
tödliche Geschehen in Afghanistan wird allerorts bemängelt.
Seit dem Ende des Faschismus
wurde in Deutschland am 8.September 2009 das erste Ehrenmal für gestorbene Soldaten
eingeweiht, ein Ort für das Heldengedenken an die neuen Krieger. Kurz zuvor wurde die
Tapferkeitsmedaille (wieder) eingeführt. Die Kriegseinsätze werden sogar im
Parlament gefeiert: So wurde im Bundestag Ende Juni anlässlich des vor 15 Jahren (am
22.Juli 1994) vom Parlament an die Bundeswehr erteilte Mandat für Auslandseinsätze,
mit dem Bundeswehr-Musikkorps feierlich eine Ausstellung eröffnet.
Bei jedem dieser Anlässe
gab es Proteste: gegen die Tapferkeitsmedaille, das Ehrenmal, die Ausstellungseröffnung
sowie die Rekrutierung von neuen Soldaten gab es Proteste, aber auch gegen öffentliche
Gelöbnisse, gegen Werbeauftritte der Bundeswehr auf Marktplätzen, an Schulen und in
JobCentern. Längst nicht alle Menschen wollen diese neue „Normalität”
akzeptieren.
Es gibt also vielfältigen und entschlossenen Widerstand gegen die militärische
Infrastruktur und Propaganda. Auch vor dem ersten deutschen Massaker seit 1945, das am
4.September westlich von Kunduz auf Befehl eines Bundeswehrkommandanten verübt wurde, war
die Brutalität des neokolonialen Krieges in Afghanistan vielen bewusst.
Eine solche Kriegsbeteiligung
verändert hierzulande die innergesellschaftliche Realität. Männlich
zugeschriebene Werte von Mut und Tapferkeit, von „Opfern für Deutschland” und
der Anerkennung der Leistungen „unserer” Soldaten und Soldatinnen im
Auslandseinsatz werden zunehmend hoch gehalten.
In der Financial Times
Deutschland (18.6.09) wird der Alltag der Soldaten in Afghanistan beschrieben: Verletzungen
und Tod, Hinterhalte, Schusswechsel und Sprengladungen. Doch das wird heroisch gewendet:
„Für die Freiheit!, scherzen einige Soldaten, wenn sie sich mit
Schutzwesten und bewaffnet mit allem, was sie zum Schießen haben, in ihre gepanzerten
Ungetüme setzen, um durch das Mittelalter in den Dörfern ringsherum zu fahren."
Der Anführer der
schnellen Eingreiftruppe in Kunduz, Hans-Christoph Grohmann, beschreibt den Stolz seiner
Kämpfer auf die professionelle Erfüllung der militärischen Aufgaben:
„Einen seiner Offiziere stellt er (Grohmann) so vor: Der erste Oberleutnant, der
nach 1945 eine Infanterie-Kompanie im Angriff geführt hat."
Nicht nur der Stolz auf
Angriffsgefechte wird hier deutlich. Die Bundeswehr besteht seit 1955, seit 1994 sind laut
Bundesverfassungsgerichtsurteil bewaffnete Auslandseinsätze möglich — warum
also das Datum 1945?
Die Bundesregierung wird auf Anfragen nicht müde, zu wiederholen, dass „die
ehemalige deutsche Wehrmacht als Werkzeug der nationalsozialistischen Weltanschauung für
die Bundeswehr keine Tradition begründet” Doch die Praxis der Bundeswehr weist auf
ein anderes Verständnis hin, das die Bundesregierung zu ignorieren scheint.
Bereits 2007 wurde die
Bundesregierung durch eine Anfrage von Ulla Jelpke, mir und weiteren linken Abgeordneten auf
Kommandeure deutscher Sondereinheiten aus Militär und Polizei (GSG9, KSK) aufmerksam
gemacht, die in der Spezialdivision „Brandenburg” der Wehrmacht ein Vorbild sehen.
Im Buch Geheime Krieger
— drei deutsche Kommandoverbände im Bild, das 2006 im rechtsextremen Verlag Pour le
Mérite erschien, bezeichnen General a.D. Reinhard Günzel (Kommando
Spezialkräfte der Bundeswehr) und General a.D. Ulrich K. Wegener (GSG9 des damaligen
Bundesgrenzschutzes) die Division „Brandenburg” als traditionsstiftend für
die von ihnen angeführten Spezialeinheiten. Günzel: „Die Kommandosoldaten des
KSK wissen genau, wo ihre Wurzeln liegen. Die Einsätze der Brandenburger ...
gelten der Truppe geradezu als legendär.” Wegener sieht vor allem
„Kameradschaft und Korpsgeist der Brandenburger” als vorbildhaft,
sowie die „unkonventionelle” Vorgehensweise, die „Raffinesse” und die
„Fähigkeit zur Gegnertäuschung”
Die Division
„Brandenburg” war eine terroristische Sondereinheit der Wehrmacht, die hinter den
feindlichen Linien eingesetzt wurde und zahlreiche Kriegsverbrechen und Massaker besonders im
Kampf gegen Partisanen beging. Ihre Kampfweise war auch durch das damalige
Kriegsvölkerrecht nicht gedeckt und schloss bspw. das Tragen gegnerischer Uniformen ein.
Selbst in den
Ausbildungshandbüchern der Bundeswehr sind Wehrmachtstexte abgedruckt. Um Soldaten in
Kampfstimmung zu versetzen, werden Lieder und Kriegsgeschichten der Wehrmacht eingesetzt.
Diese sind in Büchern wie „Einsatznah ausbilden” und „Üben und
Schießen” zu Hunderten abgedruckt, wie die Magazinsendung Kontraste aufdeckte.
Ein Soldat, der anonym bleiben
will, bezeugt: „Problematisch ist, dass das einige Soldaten, ich sag mal, geil finden,
wenn sie das dann verwenden und sagen, damals wurde heroisch gekämpft. Das ist
natürlich für ein Klientel, das äußerst rechts politisch orientiert ist,
ein gefundenes Fressen."
An alle im Rahmen von ISAF in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten wird das Buch
Wegweiser zur Geschichte — Afghanistan ausgegeben, das Artikel zur Geschichte und Kultur
des Landes enthält. Dieses Handbuch wird vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt
der Bundeswehr (MGFA) erstellt. Nach dem proklamierten Selbstverständnis soll darin die
„Militärgeschichte des Nationalsozialismus und die Auseinandersetzung mit
dieser” aufgearbeitet und eine „historische Aufklärung der Rolle der
Wehrmacht” geleistet werden. Dabei wird besonderer Wert „auf die Sensibilisierung
für die Epoche des Nationalsozialismus” gelegt.
Trotzdem wurde man erst durch
die Recherche des Nachrichtenmagazins Kontraste Ende April 2009 auf einen Text aus dem Buch
aufmerksam, der in selbstgefälliger Weise den Einsatz der „Brandenburger” im
„Unternehmen Tiger” 1941-43 in Afghanistan beschreibt — verfasst von einem
noch lebenden ehemaligen Angehörigen dieser Division, Dietrich Witzel! Dieser Text wurde
daraufhin nicht entfernt, sondern nur leicht gekürzt und geändert sowie mit einem
neuen Autorenkürzel versehen. Statt dw für Dietrich Witzel, steht dort nun bc
für Dr.Bernhard Chiari, Mitarbeiter des MGFA.
Dietrich Witzel will bis heute
von Verbrechen der Wehrmacht nichts wissen — für ihn sind sie ein
„Seiteneffekt” und er ist gerne gesehen in rechten Kreisen.
Auch bei der Bundeswehr ist er
offenbar ein willkommener Gast, wie sein Textbeitrag und ein aus seinem Privatarchiv
beigesteuertes Foto im Wegweiser Afghanistan zeigen. Das Foto zeigt den Grabstein des
Geheimagenten Manfred Oberdörffer, einem Angehörigen der Spezialeinheit
„Brandenburg”, der 1941 bei der Vorbereitung einer weiteren Angriffsfront gegen
Indien starb. Dazu steht im Wegweiser zur Geschichte folgende Bildunterschrift: „Das von
der ISAF gepflegte Grab Manfred Oberdörffers auf dem europäischen Friedhof in
Kabul."
Das wirft viele Fragen auf,
denen ich mit Recherchen und einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung nachgegangen bin.
Ein Besuch auf dem Friedhof von Kabul ergab, dass sich die an einer Mauer angebrachten
Gedenktafeln für deutsche ISAF-Angehörige und Polizisten, die in Afghanistan ihr
Leben verloren, in unmittelbarer Nähe zum Grab des faschistischen Geheimagenten
Oberdörffer befinden (siehe Foto). Der Friedhof ist groß und diese räumliche
Nähe ist auffällig und muss bewusst gewählt worden sein.
Die Bundesregierung wollte die
Frage dazu nicht verstehen und antwortete: „Es besteht kein inhaltlicher Bezug zwischen
den Gedenktafeln und dem Grab aus dem Zweiten Weltkrieg.” Das im Wegweiser zur
Geschichte abgebildete Grab zeigt einen auf der Wiese liegenden Grabstein. Doch im letzten
Jahr wurde das Grab neu gestaltet und vergrößert. Der Grabstein wurde aufgerichtet,
das Grab eingefasst und mit weißen Kieselsteinen aufgefüllt. Daneben wachsen
Rosensträucher.
Der Friedhofsgärtner
sagt, dass ihn „ein Ausländer” damit beauftragte und ihn bar bezahlte;
über die deutsche Auslandsvertretung erhält er 50 Dollar im Jahr für die Pflege
der deutschen Gräber. Die Vergrößerung des Oberdörffer-Grabs sei jedoch
nicht von der Bundesregierung finanziert worden. Weitere Informationen werden nicht gegeben.
Allerdings besteht die
Bundesregierung darauf, dass „in früheren Ausgaben des Wegweisers nicht von
deutschen, sondern nur von ISAF-Soldaten die Rede [war]”, die
das Grab von Manfred Oberdörffer pflegen. Wer pflegt also das Grab? Vielleicht
niederländische oder polnische ISAF-Soldaten, deren Staaten vor 60 Jahren von der
Wehrmacht überrollt wurden? Und warum weist auch nach seiner Überarbeitung der
Wegweiser, den alle Soldaten erhalten, die in die ISAF-Mission nach Afghanistan geschickt
werden, weiter auf das Grab Oberdörffers hin?
Die Ausbildungshilfen mit
Texten und Liedern der Wehrmacht werden nun überarbeitet und in der bisherigen Form nicht
mehr in der Ausbildung eingesetzt. Der Wegweiser zur Geschichte — Afghanistan wird in
der kritisierten Ausgabe nicht mehr verteilt, eine überarbeitete Neuauflage wurde
veranlasst. Nur wegen der Kritik von außen verliert also die positive Bezugnahme auf die
Tradition der Wehrmacht an Einfluss.
Statt Ehrungen und
gesellschaftliche Anerkennung von soldatischem Einsatz im Krieg — mit oder ohne Bezug
auf die Wehrmacht — brauchen wir soziale Bewegungen, die sich konsequent gegen jeden
Kriegseinsatz und gegen jedes Militär stellen.
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