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Bei der vorliegenden Analyse der Landtagswahlen gehen wir
bewusst nicht davon aus, wie das Wahlergebnis sich auf die institutionelle Präsenz der
Parteien auswirkt, sondern davon, wie sich ihr Rückhalt in der Bevölkerung
verändert hat. Rückschlüsse auf die Bundestagswahl können daraus nicht
gezogen werden.
1Die Landtagswahlen vom 30.August 2009 drücken eine
Linkswende aus. Schwarz-gelb kann theoretisch in zwei Bundesländern durch Rot-Rot-
Grün abgelöst werden und dadurch auch die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat
kippen. Es gibt in Teilen der Republik eine Mehrheit links von CDU/ FDP, die sich jedoch, den
bisherigen Umfragen nach zu urteilen, in dieser Bundestagswahl noch nicht manifestieren wird.
2Die Hauptverliererin der Wahl ist die CDU, sogar in Sachsen hat sie
leicht verloren. Die meisten Stimmen hat die CDU an die FDP verloren; an zweiter Stelle an die
Nichtwähler; dann an die SPD (in Thüringen) bzw. die LINKE (an der Saar).
3Im Saarland und in Thüringen drückt die Wahl klar den Willen
zur Abwahl des jeweiligen CDU-Ministerpräsidenten und zum Regierungswechsel aus. Davon
profitierte auch die Wahlbeteiligung, die gegenüber der Landtagswahl 2004 in diesen
beiden Bundesländern gestiegen ist und vor allem der LINKEN, den Grünen, der FDP und
in Thüringen auch der SPD zugute gekommen ist. In Sachsen, wo die LINKE verloren hat und
die SPD stagniert, ist die Zahl der Nichtwähler nochmals gestiegen.
4Die SPD stagniert. Die FDP hat ihren Zuwachs vornehmlich der CDU zu
verdanken, in zweiter Linie den Nichtwählern und an dritter Stelle der NPD. Bemerkenswert
ist, dass es nirgends einen Wähleraustausch zwischen FDP und Grünen gegeben hat. Die
Grünen haben als einzige Partei nirgendwo Stimmen von der NPD bekommen.
5Die Grünen haben an der
Saar und in Thüringen vor allem Nichtwähler mobilisiert; in Thüringen gewannen
sie auch einen hohen Anteil von der CDU. In Sachsen hingegen, wo sie leicht zugelegt haben,
haben sie ihre Stimmen hauptsächlich von der LINKEN und der SPD geholt.
6An der Saar und in Sachsen ist die NPD spektakulär eingebrochen
— obwohl ihre Rivalen (DVU und REPs) diesmal keine Konkurrenz für sie waren. Dem
steht ihr Zuwachs in Thüringen entgegen. Eine genauere Analyse der Ergebnisse der
extremen Rechten steht noch aus.
7Die Ergebnisse der LINKEN waren sehr unterschiedlich, sehr abhängig
von ihrer Landespolitik und dem Profil des Spitzenkandidaten. Nur im Saarland konnte die LINKE
in hohem Maße Nichtwählerinnen mobilisieren (43000; die SPD nur 14000, alle anderen
Parteien weit dahinter). In Thüringen waren es nur 9000 (die CDU: 16000), und in Sachsen
hat die LINKE sogar 40000 Stimmen an die Nichtwähler verloren.
8Nur im Saarland ist das Ergebnis der LINKEN wirklich positiv
(herausragend): Hier hat sie von allen Parteien per Saldo Stimmen bekommen und keine
abgegeben: insgesamt rund 96000 von 113660. 43000 Stimmen kamen von den Nichtwählern,
26000 von der SPD, 10000 von der CDU, der Rest verteilt sich.
9In Thüringen hat die SPD die großen Einbrüche in andere
Lager erzielt: sie holte 20000 Stimmen von den Nichtwählern und 27000 von der CDU, sie
hat nur 6000 Stimmen abgegeben. Die Zuwachswerte der LINKEN sind halb so groß wie die
für die SPD (+1,3Prozentpunkte oder 25205 Stimmen für die LINKE gegenüber
+4Prozentpunkten oder 49056 Stimmen für die SPD). Die LINKE hat 16000 Stimmen von der CDU
und 4000 Stimmen von der SPD bekommen, aber 17000 Stimmen abgegeben, darunter 9000 an die
Nichtwähler. Die SPD hat also bedeutend besser abgeschnitten als die LINKE. Dennoch ist
sie nur dritte Kraft geblieben. Ihre dominante Stellung auf der Linken verdankt die LINKE in
Thüringen immer noch ihrer Vergangenheit als PDS.
10In Sachsen ist die Wahlbeteiligung stark gesunken (von 60% in 2004 auf
52% in 2009). Hier gab es keine Perspektive für einen Regierungswechsel. Sachsen war
deshalb das einzige Land, in dem die Zahl der Nichtwähler gestiegen um rund 242000 auf
über 1,6 Millionen gestiegen ist. Die LINKE hat 3Prozentpunkte verloren, 120289 Stimmen,
während die SPD 0,6Prozentpunkte zugelegt hat. Die LINKE hat an alle Parteien Stimmen
abgegeben, mit Ausnahme der NPD. Von der NPD hat sie als einzige Partei 3000 Stimmen gewonnen.
11Überproportional haben die Grünen, die FDP und die NPD die
Erstwähler für sich gewinnen können. Die Linke lag hier überall unter
ihrem Durchschnitt. Bei den Erstwählern ist die NPD mit 15% in Sachsen zweitstärkste
Partei.
12Die LINKE hat zumeist unter Arbeitslosen und Arbeitern
überproportional dazu gewonnen. Bei den Arbeitslosen ist die LINKE überall die
stärkste Partei; bei den Arbeitern ist sie im Saarland die stärkste Partei; in
Sachsen und Thüringen hingegen hinter der CDU auf dem 2.Platz, jeweils vor der SPD.
13Wenn man berücksichtigt, dass im Saarland Oskar Lafontaine eher
für einen traditionell sozialdemokratischen Kurs steht als für eine linke
Alternative zur alten SPD, muss man daraus den Schluss ziehen, dass die Landtagswahlen vom
30.8.2009 drei Haltungen zum Ausdruck bringen:
— eine Abkehr im
bürgerlichen Lager von der CDU zugunsten der FDP (also eine Radikalisierung im
bürgerlichen Lager);
— einen Aufschwung der
Grünen als linke Bürgerpartei, die für einen ökologisch modernisierten
Kapitalismus steht;
— eine Stärkung der
Parteien, die mit sozialer Gerechtigkeit in Verbindung gebracht werden. Dabei konnte die LINKE
der SPD nur im Saarland den Rang ablaufen — und da kandidierte in der Person von Oskar
Lafontaine ein „echter” und nicht ein „liberal angepasster”
Sozialdemokrat. In Thüringen und Sachsen konnte sie das nicht; ihre starke Stellung dort
ist ein Nachhall der PDS.
14Das Phänomen Oskar lässt sich jedoch nicht vervielfältigen. Die Abgrenzung der „traditionellen” von der „modernen” Sozialdemokratie fällt in der Praxis schwer, wenn sie sich auf dem Papier auch definieren lässt. Lafontaine hat sie deutlich gemacht, als er als Finanzminister zurücktrat. Er gilt deshalb bei seiner Fangemeinde im Saarland als der letzte aufrechte Sozialdemokrat und nicht als linke Alternative zur SPD. Die Verkörperung der „alten SPD” ist an seine Person gekoppelt, die LINKE kann dieses Image nicht übernehmen.
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