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Vielleicht entscheidet die Frage der Atomenergie ja auch über den
Ausgang der Wahlen.
Die massiven Versuche der
Energiekonzerne, den unter der rot-grünen Regierung beschlossenen Atomausstieg
rückgängig zu machen, sind bei der CDU auf offene Ohren gestoßen, bei der FDP
sowieso. Immer wieder wird behauptet, wenn man von den CO2-Emissionen herunter wolle, müsse man
gut gehende Atomkraftwerke länger laufen lassen als vorgesehen, weil alternative Energien nicht
in der nötigen Menge zu Verfügung stehen können. Dagegen weisen die Atomgegner immer
wieder auf die ungelöste und sich zuspitzende Frage der Endlagerung des Atommülls hin. In
diesem Spiel wurden nun die „Karten” neu gemischt.
In den letzten Wochen kamen die
Sünden der Atomindustrie und ihrer politischen Förderer massiv zum Vorschein. Der neueste
Bube im Blatt der Atomkonzerne ist Forschungsminister Riesenhuber, der während der
Regierungszeit von Kohl mit einem Druckbrief dafür sorgte, dass ein Gutachten über den
Salzstock Gorleben zugunsten eines endlagerfähigen Standortes umgeschrieben wurde. Die Bedenken
aus dem ursprünglichen Gutachten über mögliche Wasserzuflüsse wurden innerhalb
von wenigen Tagen mehr oder weniger gestrichen. Die Änderungen zugunsten des Endlagers machten
das Gutachten endlich zum Mittel der Atomindustrie und der sie stützenden politischen
Kräfte.
Die Dame in dem Stück spielt
Angela Merkel, die Physikerin, die ebenfalls der CDU-Meinung ist, dass die Laufzeiten
verlängert werden müssen und die Förderung der Atomenergie nach den Wahlen mit einer
schwarz-gelben Regierung vorangetrieben werden soll. Allein die Laufzeitenverlängerung
würde die Müllmengen deutlich erhöhen, da immer mehr abgebrannte Kernstäbe
anfallen, die jetzt schon in aufwendigen Transporten in die Aufbereitungsanlage nach Frankreich und
danach in das bisherige Zwischenlager Gorleben transportiert werden. Die CDU setzt sich dafür
ein, Gorleben als Endlager zu bestimmen und gar keine anderen Standorte mehr zu erkunden. Zu Recht
fürchten deshalb die Gegner der Atomenergie, allen voran die Bürgerinitiative in
Lüchow-Dannenberg, dass das noch gar nicht untersuchte Bergwerk in Gorleben klammheimlich doch
zum Endlager wird, indem einfach Fakten geschaffen werden.
Eine weitere Dame kam zuletzt ins
Spiel, weil wieder einmal vor den Wahlen ein Gutachten nicht herausgebracht werden sollte. Es
handelt sich um die Nachfolgerin von Riesenhuber, Wissenschaftsministerin Frau Schavan. Das
Gutachten empfiehlt wieder den Bau weiterer Atomkraftwerke, allerdings auch die Suche nach
Alternativen für ein Endlager in tonigen Schichten. Umweltminister Gabriel spielt den
Empörten, rechtzeitig vor der Wahl will er für die SPD punkten.
Gorleben hofft, dass weder der Bube noch die Dame mehr stechen kann, weil das gefälschte
Gutachten aufgedeckt wurde. Die Bürgerinitiative ist schließlich König des
Widerstands.
Noch eine weitere Karte kommt ins
Spiel: Zum geologischen kommt noch ein rechtlicher Trumpf ins Blatt der Atomgegner. Die bisherige
Erkundung des Salzstocks in Gorleben hinsichtlich seiner Tauglichkeit als Endlager erfolgt nach
einer atomrechtlichen Regelung aus dem Jahre 1978. Darin verpflichteten sich die Grundbesitzer, ihre
Rechte an der Salzgewinnung aufzugeben zugunsten der Erforschung des Salzstocks — bis zum
Jahre 2015. Das damals für die Endlagerung zuständige Bundesamt für Strahlenschutz
ist nicht Besitzer des Salzes, das Amt hat mit einigen Eigentümern des Salzstocks lediglich
befristete Nutzungsverträge abgeschlossen. Darin wird nur die Erkundung des Salzstocks und der
Betrieb eines Erkundungsbergwerks, nicht jedoch die Endlagerung erlaubt.
Das liegt am niedersächsischen
Bergrecht, welches den Grundeigentümern auch das Recht auf Ausbeute des darunter liegenden
Bodenschatzes, in dem Fall des Salzes, erlaubt. Das Recht, den Salzstock auszubeuten, wurde durch
die Verträge mit dem Bundesamt aufgegeben, jedoch nur bis 2015. Wenn die Eigentümer den
Pachtvertrag nicht verlängern, ist die Erkundung des Salzstockes sowieso ausgeschlossen, es sei
denn, ein regelrechtes Enteignungsverfahren gegen die Grundbesitzer würde angestrengt. Das
dürfte in der Gegend, die seit langem den Widerstand gegen die Atomkonzerne organisiert und
politisch trägt, kaum durchzusetzen sein.
Aber der Widerstand in Gorleben und
im Wendland kann sich sicher nicht auf diese rechtlichen Fragen verlassen. Dass Umweltminister
Gabriel aufgrund der wieder aufgefundenen Rechtsdokumente und angesichts der Gutachtenfälschung
davon sprach, der Standort Gorleben sei „tot”, sollte keinen beruhigen. Entscheidend
scheint eher ein anderes As, das seit Wochen auf dem Tisch liegt. Diese Karte wurde durch intensives
Nachforschen beim Endlager Asse aufgedeckt. Die Asse ist das langjährige Lager für
schwach- und mittelaktive Abfälle der Atomwirtschaft bzw. der Forschungsinstitute. Auch hier
handelt es sich um ein Salzbergwerk, dem — wie sich inzwischen zeigt — bedenkenlos alles
„anvertraut” wurde, was an Atomabfällen anfiel.
Nicht nur dem bergmännisch
Tätigen oder Erfahrenen graust es vor den nun bekannt gewordenen Zuständen im Bergwerk.
Fässer mit radioaktiven Stoffen sind in die Salzkavernen gestürzt, wurden, zum Teil ohne
Kontrolle, ohne sicheren Stand, mit Salz oder Beton abgedeckt, und aus den umliegenden
Gesteinsschichten strömt unkontrolliert Wasser in die Salzlager, das ist seit Zeiten bekannt.
Dort wurde die dreifache Menge an Plutonium eingelagert als angegeben. Bekannt wurde auch, dass die
zuströmenden Wasser bereits Räume ausgelaugt haben, die nun einzustürzen drohen. Und
dass Beschäftigte ohne Sicherungen in der Umgebung radioaktiver Lauge tätig waren, von
denen einer auf Berufsschaden klagen muss, weil er eine typische Art von Leukämie bekam, die
bisher nicht anerkannt wurde. Bekannt wurde, dass 1966 der Firma Siemens sogar die Ablagerung von
hochradioaktivem Müll erlaubt wurde, obwohl das gar nicht genehmigungsfähig war.
Salz gilt den Befürwortern der
Lagerung von Atommüll als viele Millionen Jahre alte sichere Gesteinsformation.
Bergmännische Erfahrung zeigt, dass Salz aber nicht stabil genug ist, wenn es erstmal abgebaut
wurde und wenn es Wasserzuflüsse gibt, die das Salz auslaugen können und Hohlräume
entstehen lassen. Danach kann Lauge wieder in die umliegenden Gesteinsschichten sickern. Bei Asse
besteht die Gefahr, dass nach einem Einbruch des Salzstocks die radioaktiv verseuchte Lauge
über die nebenstehenden Gesteine in die Weser oder die Elbe gelangen kann — ein
„Worst-case-Szenario” nicht nur für die Anwohner. Ein Untersuchungsausschuss des
niedersächsischen Landtages „kümmert” sich inzwischen um das Bergwerk Asse und
die Möglichkeiten, dort Sicherheit zu schaffen.
Wer einmal unter Tage in alten
Grubenräumen gearbeitet hat, der weiß, was für ein langwieriges und oft
gefährliches Unternehmen es ist, zuerst überhaupt einmal die Standsicherheit der
Grubengebäude (wieder) herzustellen, um dann eventuell eine Umlagerung der Fässer, die
Sicherung von flüssigen verseuchten Gewässern oder sogar einen Transport zu Tage vornehmen
zu können. Im Salzbergwerk herrschen sicher andere Bedingungen als im Ruhrbergbau, dessen alte
Strecken und Strebe vorn vornherein nie als Lager für gefährliche Güter infrage kamen
— obwohl auch hier Müll und Abfallstoffe eingelagert wurden.
Sollten in Gorleben, das immerhin
für viele Tonnen hochradioaktiven Abfalls herhalten soll, ähnliche Problem bestehen wie in
der Asse, dürften allein die dortigen Erfahrungen ausreichen, nicht nur den Widerstand der
Bevölkerung weiter anzuheizen, sondern auch den beteiligten Wissenschaftlern und Ingenieuren
nachdrücklich auf dem Gewissen zu liegen, dass sie nicht erneut mit Gefälligkeitsgutachten
die Lage beschönigen. Die bunte und große Demonstration in Berlin hat gezeigt, dass in
Atomenergie die Karten nicht nur von Industrie und Politik gemischt werden.
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