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Im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte
läuft seit Mitte Juni ein ungewöhnlicher Arbeitskampf.
Das Babylon hat eine lange
Geschichte. 1929 wurde es als Stummfilmkino eröffnet. Die DEFA zeigte hier viele
Dokumentarfilme. Nach der Wende wurde es restauriert und als Programmkino neu eröffnet.
Nicht selten werden hier kritische politische Filme uraufgeführt.
Die inneren Verhältnisse
im Kino entsprechen jedoch in keiner Weise diesem progressiven Image. Die
Geschäftsleitung praktiziert gegenüber der Belegschaft ein Regime nach
Gutsherrenart. Ein Teil der Belegschaft wird mit Löhnen zwischen 5,50 und 8 Euro
abgespeist, das Personalmanagement heuert und feuert rigoros und willkürlich.
Doch die Beschäftigten
sind nicht bereit, dies alles hinzunehmen. In monatelanger Arbeit, an der sich fast die
gesamte Belegschaft beteiligte, wurde ein gewerkschaftlicher Forderungskatalog entwickelt,
über dessen Realisierung mit der Leitung des Kinos verhandelt werden sollte.
Die hier initiative und aktive
Gewerkschaft ist die anarchosyndikalistische FAU (Freie Arbeiter-Union), die nach eigenen
Angaben etwa ein Drittel der Beschäftigten organisiert. Das Ganze ist also schon deshalb
interessant, weil man hier studieren kann, wie ein Arbeitskampf von Anarchosyndikalisten von
dem der traditionellen Platzhirsche unterscheidet, und was unter dem Strich dabei herauskommt.
Der Forderungskatalog
beinhaltet das Angebot für einen Haustarifvertrag und fordert die Anhebung der Löhne
auf ein Niveau deutlich über Hartz IV, die Zahlung von Nacht- und
Feiertagszuschlägen, die Umwandlung der befristeten Verträge in unbefristete
Arbeitsverhältnisse und eine ordentliche Entlohnung der Praktikanten — kurzum, wie
es in einer Presseerklärung der FAU-Betriebsgruppe heißt, „das sofortige Ende
prekärer Verhältnisse im Babylon Mitte”
Die Geschäftsleitung
verweigert jedoch Verhandlungen. Geschäftsführer Grossman erklärte schlicht,
für ihn seien „Anarchisten, die eine Welt ohne Staat und Bosse wollen”, kein
Gesprächspartner.
Die FAU hat deshalb einen
Appell an die Kino-Öffentlichkeit verfasst, in dem dazu aufgerufen wird, das Babylon so
lange zu meiden, bis die Geschäftsleitung sich zu Verhandlungen bereit erklärt. Das
blieb nicht ohne Echo. Die Besucherzahlen sanken deutlich.
Parallel dazu wurden
Protestkundgebungen vor dem Kino durchgeführt und ein offener Brief an den „rot-
roten” Senat geschrieben, der das Kino jährlich mit mehreren 100000 Euro
bezuschusst.
Die Linkspartei wird in dem
Brief daran erinnert, dass sie eine moralische Mitverantwortung für die Zustände im
Kino habe, und deren Duldung in offenem Gegensatz zu ihrer Forderung nach der Verbesserung der
Arbeitsnehmerrechte und einem Mindestlohn von 10 Euro stehe.
Die Landesregierung habe die
Aufgabe, die Geschäftsführer des halbkommunalen Kinos zur Raison zu bringen. Auch
gebe es Zweifel, ob die Geschäftsführer den kommerziellen und nichtkommerziellen
Kinobetrieb ausreichen trennten. Dies sei eine nicht ordnungsgemäße Verwendung
öffentlicher Gelder.
Eine offizielle Antwort des
Senats darauf gibt es nicht.
Die Geschäftsführung des Babylon ist jedoch nicht untätig und sucht die
Flucht nach vorn. Sie versucht, Stellen in ein Zweitunternehmen auszugliedern, um so die
Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats zu mindern. Auch wurde ein Teilbereich des Kinos
geschlossen, was die Dienstpläne der Mitarbeiter ausgedünnt hat und ihre
Einkünfte zusätzlich verringert.
Die FAU hat daraufhin den
Arbeitskampf auch auf das Zweitunternehmen Kino und Konzerte GmbH ausgedehnt; beim
Programmstart des Freiluftkinos im Schloss Charlottenburg versuchte sie, ein wenig
unerfreuliche Werbung für die Sponsoren des Kinos zu machen.
Ende Juli gab es einen neuen
Eklat, als FAU-Gewerkschafter mit Soli-T-Shirts eine kostenlose Vorstellung des vom
italienischen Kulturinstitut präsentierten Films Un giorno e un altro ancora gaben.
Zuerst verwiesen Geschäftsführer Grossmann und Theaterleiter Mikat ihnen bekannte
Gewerkschaftsvertreter des Saals, anschließend ließ der Geschäftsführer
den verbliebenen Rest zum völligen Unverständnis der Veranstalter polizeilich aus
dem Saal entfernen.
Timothy Grossmann möchte
offensichtlich darüber entscheiden, mit wem er verhandelt. Dem sollen sich die
Beschäftigten beugen. Es ist ihm egal, wen die Belegschaft mit der Vertretung ihrer
Interessen beauftragt hat. Ein seltsames Demokratieverständnis hat dieser
selbstherrliche, kommunikationsunfähige Mann.
Doch nicht seine Abberufung
scheint die Folge. Er bekommt plötzlich einen Gesprächspartner, der seinen Geschmack
treffen könnte. Die Gewerkschaft Ver.di, die sich zu Beginn der Auseinandersetzung noch
weigerte, irgendwas zu unternehmen, hat erklärt, sie werde jetzt mit der Neuen Babylon
GmbH in Verhandlung treten und sei optimistisch, dass schnell ein Ergebnis erzielt werde.
Wegen der „besonderen Bedeutung” des mit öffentlichen Mitteln
geförderten Filmtheaters habe er die Angelegenheit „zur Chefsache gemacht”,
betonte der stellvertretende Landesbezirksvorsitzende Andreas Kühn.
Die drei bis vier Mitglieder
im Betrieb werden diese Nachricht mit ungläubigem Erstaunen zur Kenntnis genommen haben.
Man darf gespannt sein, wie die „einzig tarifmächtige Gewerkschaft im Kino und
Filmtheaterbereich” (Ver.di-Presseerklärung) die Belegschaft von ihrer
Nothilfeaktion überzeugen und wie sie es anstellen will, den Forderungskatalog der FAU,
der sich an den Bundestarifvertrag von Ver.di anlehnt und nur im Entgeltniveau etwas
höher liege, durchzusetzen.
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