SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 09

Wenn Beschäftigte sich ihre Vertretung nicht aussuchen dürfen

Arbeitskampf im Filmtheater Babylon

von Jochen Gester

Im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte läuft seit Mitte Juni ein ungewöhnlicher Arbeitskampf.
Das Babylon hat eine lange Geschichte. 1929 wurde es als Stummfilmkino eröffnet. Die DEFA zeigte hier viele Dokumentarfilme. Nach der Wende wurde es restauriert und als Programmkino neu eröffnet. Nicht selten werden hier kritische politische Filme uraufgeführt.
Die inneren Verhältnisse im Kino entsprechen jedoch in keiner Weise diesem progressiven Image. Die Geschäftsleitung praktiziert gegenüber der Belegschaft ein Regime nach Gutsherrenart. Ein Teil der Belegschaft wird mit Löhnen zwischen 5,50 und 8 Euro abgespeist, das Personalmanagement heuert und feuert rigoros und willkürlich.
Doch die Beschäftigten sind nicht bereit, dies alles hinzunehmen. In monatelanger Arbeit, an der sich fast die gesamte Belegschaft beteiligte, wurde ein gewerkschaftlicher Forderungskatalog entwickelt, über dessen Realisierung mit der Leitung des Kinos verhandelt werden sollte.
Die hier initiative und aktive Gewerkschaft ist die anarchosyndikalistische FAU (Freie Arbeiter-Union), die nach eigenen Angaben etwa ein Drittel der Beschäftigten organisiert. Das Ganze ist also schon deshalb interessant, weil man hier studieren kann, wie ein Arbeitskampf von Anarchosyndikalisten von dem der traditionellen Platzhirsche unterscheidet, und was unter dem Strich dabei herauskommt.
Der Forderungskatalog beinhaltet das Angebot für einen Haustarifvertrag und fordert die Anhebung der Löhne auf ein Niveau deutlich über Hartz IV, die Zahlung von Nacht- und Feiertagszuschlägen, die Umwandlung der befristeten Verträge in unbefristete Arbeitsverhältnisse und eine ordentliche Entlohnung der Praktikanten — kurzum, wie es in einer Presseerklärung der FAU-Betriebsgruppe heißt, „das sofortige Ende prekärer Verhältnisse im Babylon Mitte”
Die Geschäftsleitung verweigert jedoch Verhandlungen. Geschäftsführer Grossman erklärte schlicht, für ihn seien „Anarchisten, die eine Welt ohne Staat und Bosse wollen”, kein Gesprächspartner.
Die FAU hat deshalb einen Appell an die Kino-Öffentlichkeit verfasst, in dem dazu aufgerufen wird, das Babylon so lange zu meiden, bis die Geschäftsleitung sich zu Verhandlungen bereit erklärt. Das blieb nicht ohne Echo. Die Besucherzahlen sanken deutlich.
Parallel dazu wurden Protestkundgebungen vor dem Kino durchgeführt und ein offener Brief an den „rot- roten” Senat geschrieben, der das Kino jährlich mit mehreren 100000 Euro bezuschusst.
Die Linkspartei wird in dem Brief daran erinnert, dass sie eine moralische Mitverantwortung für die Zustände im Kino habe, und deren Duldung in offenem Gegensatz zu ihrer Forderung nach der Verbesserung der Arbeitsnehmerrechte und einem Mindestlohn von 10 Euro stehe.
Die Landesregierung habe die Aufgabe, die Geschäftsführer des halbkommunalen Kinos zur Raison zu bringen. Auch gebe es Zweifel, ob die Geschäftsführer den kommerziellen und nichtkommerziellen Kinobetrieb ausreichen trennten. Dies sei eine nicht ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Gelder.
Eine offizielle Antwort des Senats darauf gibt es nicht.

Ver.di steigt ein

Die Geschäftsführung des Babylon ist jedoch nicht untätig und sucht die Flucht nach vorn. Sie versucht, Stellen in ein Zweitunternehmen auszugliedern, um so die Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats zu mindern. Auch wurde ein Teilbereich des Kinos geschlossen, was die Dienstpläne der Mitarbeiter ausgedünnt hat und ihre Einkünfte zusätzlich verringert.
Die FAU hat daraufhin den Arbeitskampf auch auf das Zweitunternehmen Kino und Konzerte GmbH ausgedehnt; beim Programmstart des Freiluftkinos im Schloss Charlottenburg versuchte sie, ein wenig unerfreuliche Werbung für die Sponsoren des Kinos zu machen.
Ende Juli gab es einen neuen Eklat, als FAU-Gewerkschafter mit Soli-T-Shirts eine kostenlose Vorstellung des vom italienischen Kulturinstitut präsentierten Films Un giorno e un altro ancora gaben. Zuerst verwiesen Geschäftsführer Grossmann und Theaterleiter Mikat ihnen bekannte Gewerkschaftsvertreter des Saals, anschließend ließ der Geschäftsführer den verbliebenen Rest zum völligen Unverständnis der Veranstalter polizeilich aus dem Saal entfernen.
Timothy Grossmann möchte offensichtlich darüber entscheiden, mit wem er verhandelt. Dem sollen sich die Beschäftigten beugen. Es ist ihm egal, wen die Belegschaft mit der Vertretung ihrer Interessen beauftragt hat. Ein seltsames Demokratieverständnis hat dieser selbstherrliche, kommunikationsunfähige Mann.
Doch nicht seine Abberufung scheint die Folge. Er bekommt plötzlich einen Gesprächspartner, der seinen Geschmack treffen könnte. Die Gewerkschaft Ver.di, die sich zu Beginn der Auseinandersetzung noch weigerte, irgendwas zu unternehmen, hat erklärt, sie werde jetzt mit der Neuen Babylon GmbH in Verhandlung treten und sei optimistisch, dass schnell ein Ergebnis erzielt werde. Wegen der „besonderen Bedeutung” des mit öffentlichen Mitteln geförderten Filmtheaters habe er die Angelegenheit „zur Chefsache gemacht”, betonte der stellvertretende Landesbezirksvorsitzende Andreas Kühn.
Die drei bis vier Mitglieder im Betrieb werden diese Nachricht mit ungläubigem Erstaunen zur Kenntnis genommen haben. Man darf gespannt sein, wie die „einzig tarifmächtige Gewerkschaft im Kino und Filmtheaterbereich” (Ver.di-Presseerklärung) die Belegschaft von ihrer Nothilfeaktion überzeugen und wie sie es anstellen will, den Forderungskatalog der FAU, der sich an den Bundestarifvertrag von Ver.di anlehnt und nur im Entgeltniveau etwas höher liege, durchzusetzen.


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