SoZ - Sozialistische Zeitung |
In SoZ 9/09 berichteten wir über die sogenannten
„Chaos-Tage der S-Bahn” in Berlin. Wir hatten gedacht, nun liegt alles auf dem
Tisch und das Lehrstück über Folgen der Privatisierung der öffentlichen
Daseinsfürsorge ist zu Ende. Weit gefehlt.
Am 7.September verkündete
das S-Bahn-Vorstandsmitglied Hombach noch die frohe Botschaft, in einer Woche würden
wieder 70% der Zugflotte unterwegs sein, und im Dezember sei eine Rückkehr zum
Normalbetrieb zu erwarten. Das ist Schnee von gestern. Mittlerweile rollt nur noch ein Viertel
der einsetzbaren 640 Züge, und die Verkehrssituation ist prekärer denn je. Denn, was
durch Bremsversuche erstmals festgestellt wurde, hat sich erhärtet. Nicht nur die
Räder wurden nicht ordnungsgemäß gewartet, auch die Bremsen nicht. Und dies
schon seit 2004.
Zusätzlich gibt es
Ärger wegen Schäden an den Kupplungskästen und Rissen im Bodenblech. Eine
besondere Wartung der Türen, die ausdrücklich vom Senat gefordert worden war, ist
ebenfalls unterblieben. Und, um das Fass voll zu machen, kam jetzt raus, dass die
Prüfprotokolle in den Werkstätten seit Jahren gefälscht wurden. Sie listen
Arbeiten auf, die in Wirklichkeit gar nicht durchgeführt wurden.
Offensichtlich sind in der
Zwischenzeit so viele Arbeitsplätze gestrichen worden, dass diese Arbeiten mit dem
vorhandenen Personal gar nicht mehr durchführbar waren. Die Zahl der Beschäftigten
sank zwischen 2002 und 2008 um mehr als 2000, das sind 40%. Und die Bahn plant, die Zahl der
Beschäftigten noch weiter zu reduzieren.
Ein Lokführer
erzählte einem Journalisten, warum das so laufen konnte. Die mittlere Führungsebene
hatte eine Nichtwartung angewiesen. Und die wiederum hatte ihre Vorgaben. Dafür findet
der Journalist Ulrich Zapata-Gerlach in einem Kommentar des Berliner Tagesspiegel treffende
Worte:
"Aber seit einigen Jahren
wird die S-Bahn nur noch als Gewinnausschüttungsmaschine missbraucht. Aus dem alten Blech
haben Mehdorn & Co. hemmungslos alles herausgepresst. Als fetten Beitrag für einen
Börsengang, der nicht stattgefunden hat. Jetzt sehen wir das Ergebnis, und wir
spüren die Folgen: Eine mit krimineller Energie heruntergewirtschaftete Wagenflotte kann
kaum noch auf den eigenen Rädern stehen, geschweige denn Menschen transportieren. Selbst
richtig bremsen können die Fahrzeuge kaum noch. Nicht einmal die DDR hätte es sich
erlauben dürfen, die S-Bahn so kaputt zu machen. Der Schaden ist enorm. Für die
Volkswirtschaft, für die Berliner und für das Image der Stadt. Gäbe es nicht
die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit ihrem dicht geknüpften Netz aus U-Bahn, Tram und
Bussen, würde Berlin vermutlich wirklich im Chaos und im Autoverkehr versinken. Wir
werden auch dies überstehen, und irgendwann ist alles repariert. Ein Zustand auf Dauer
ist das aber nicht.
Also, was tun —
über ein aktuelles Krisenmanagement hinaus, das BVG und Senat einigermaßen im Griff
haben? Erstens: Die S-Bahn muss der Deutschen Bahn als Tochterunternehmen so schnell wie
möglich entrissen werden. Sie könnte zum Beispiel unter das Dach der landeseigenen
Verkehrsbetriebe schlüpfen. Preiswert wird das aber nicht. Zweitens: Der Senat muss alle
rechtlichen und politischen Mittel ausschöpfen, um die Bahn zu einem angemessenen
Schadenersatz zu zwingen, und er muss den bis 2017 laufenden Verkehrsvertrag mit der S-Bahn
vorzeitig auflösen oder korrigieren. Drittens: Um die Verantwortlichen bei S-Bahn und
Deutscher Bahn muss sich sofort die Staatsanwaltschaft kümmern. Viertens: Die Senatorin
Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sollte endlich Verkehrspolitik lernen."
Bleibt noch zu erwähnen,
dass die Deutsche Bahn AG diese Praxis der Gewinnabführung an den Mutterkonzern
regelrecht erpresst hat. Als der Senat die jährlichen Zuschüsse von 234 Mio. Euro
auf 45 Mio. Euro kürzen wollte, drohte Mehdorn mit der Verlegung der Bahnzentrale nach
Hamburg, mit der Streichung von Strecken und damit, notfalls den gesamten Verkehr zum
Fahrplanwechsel Dezember 2003 einzustellen. Der Senat gab der Erpressung nach, und Mehdorn
bekam einen Vertrag, der eine ordentliche Kündigung erst im Jahr 2017 zulässt. Die
Frist für die Rückkehr zur Normalität schätzte ein Mitarbeiter des
Instituts für Land- und Seeverkehr (ILS) in der Abendschau auf zwei Jahre.
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