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Am 28.Juni wurde der gewählte Staatspräsident
Honduras, Manuel Zelaya, durch einen Staatsstreich der bewaffneten Kräfte abgesetzt und
außer Landes nach Costa Rica abgeschoben. Es ist der erste Putsch dieser Art seit der
Rückkehr der lateinamerikanischen Länder zur Demokratie.
Ein Putsch, der von der US-
Regierung nicht nur nicht anerkannt, sondern auch aktiv bekämpft wird; eine Liberale
Partei, die ihn vom Zaun gebrochen hat, und ein oligarchischer Großgrundbesitzer, der zur
Galionsfigur der neuen Linken Lateinamerikas geworden ist — die Welt könnte nicht
widersprüchlicher sein. In Honduras, dem in vieler Hinsicht zurückgebliebensten Land
Zentralamerikas, ist jedoch alles möglich.
Als der US-amerikanische
Botschafter Hugo Llorens, ein in Miami aufgewachsener Exilkubaner, den Namen seines
Vorgängers John Negroponte hört, verdreht er die Augen. John Negroponte war lange
Jahre Botschafter in Tegucigalpa und hat von dort aus während der 80er Jahre den
„schmutzigen Krieg” gegen die zentralamerikanischen Revolutionäre
organisiert, bevor er unter George W. Bush zum Sicherheitschef im Irak und dann zum Chef des
Nationaler Sicherheitsrats avancierte, wo er — zumindest der Hierarchie nach —
für die grausamen Folterungen von Hunderten politischer Gefangener zuständig war.
Jetzt aber sei alles anders
geworden, sagt Llorens und fügt mit einem breiten Grinsen hinzu: „Ich freue mich
über die Proteste da draußen, denn es kommt nicht oft vor, dass wir dieselben Ziele
haben wie die Demonstranten.” Tatsächlich haben die USA unter Präsident Barack
Obama nicht nur die Militärhilfe, sondern inzwischen auch sämtliche Nettozahlungen
für das Putschregime eingestellt und versichert, dass sie die bevorstehenden
Präsidentschaftswahlen nicht anerkennen werden, wenn Präsident Zelaya nicht
zurückkehrt. Gegen die im Rahmen des G20-Prozesses vereinbarte Ausschüttung von 150
Millionen Dollar an Honduras haben die USA dennoch kein Veto eingelegt — übrigens
ebenso wenig wie Deutschland, wo Angela Merkel im Schlepptau der FDP-nahen Friedrich-Naumann-
Stiftung dafür sorgt, dass die Bestrafung der De-facto-Regierung Roberto Micheletti nicht
allzu streng ausfällt.
Dass der 61-jährige De-facto-Präsident trotz des massiven Protests der
Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der UNO und der internationalen Öffentlichkeit
bisher keinen Zentimeter von seiner Haltung abgewichen ist, ist nicht nur auf dessen
Starrsinnigkeit zurückzuführen, sondern vor allem auf jene Drahtzieher hinter den
Kulissen, die sich in seinem Halbschatten bewegen. Dazu gehört der unter Negroponte
groß gewordene Verbindungsmann der CIA, Billy Joya, der gleich nach dem Putsch zum
Obersten Sicherheitsberater des De-facto-Präsidenten ernannt wurde: Joya war in den 80er
Jahren laut Aussagen des langjährigen Generalsekretärs der internationalen
Bauernorganisation Via Campesina, Rafael Alegría, für das Verschwinden von 184
Menschen verantwortlich.
Ihm zuvorgekommen war nur das
Vierergespann von Salomon de Jesús Escoto (Chef der Nationalen Polizei), René
Maradiaga (Chef der Staatspolizei), Ventura Flores Maradiaga (Polizeichef von Tegucigalpa) und
Napoleon Nazar Herrera (Chef der Verkehrspolizei); sie hatten schon drei Wochen vor dem Putsch
unter Umgehung des zuständigen Nationalen Rats für Innere Sicherheit die Macht an
sich gerissen. Auch sie haben (ebenso wie Joya) dem berüchtigten Bataillon 3-16
angehört, das unter dem gewalttätigen Militärdiktator Gustavo Alvarez
Martínez ins Leben gerufen wurde. 2003 und 2004 standen sie an der Spitze der Kampagne
„Null-Toleranz” zur Verbrechensbekämpfung und waren für zwei Massaker
(in La Ceiba und in San Pedro Sula) verantwortlich, bei denen insgesamt 169 Jugendliche
verbrannt wurden.
Diese brutalen Methoden
gehören keineswegs der Vergangenheit an, das zeigt der Fall des Aktivisten Pedro Magdiel
Múñoz, der am 24.Juli von der Polizei nach einer Straßenschlacht verhaftet und dann,
laut Aussagen von Andrés Pavón, dem Präsidenten des Honduranischen Komitees
für Menschenrechte (CODEH), an paramilitärische Strukturen übergeben wurde. Am
nächsten Morgen wurde sein Körper von elf Messerstichen durchbohrt tot aufgefunden.
„Soweit wir wissen, haben israelische Kommandos ähnlich wie in Kolumbien private
Spezialeinheiten ausgebildet, die dann bei Demonstrationen selektiv Verbrechen verüben,
um Terror zu verbreiten und damit den Widerstand zu schwächen”, erklärt
Pavón.
Tatsächlich sind bei den
Demonstrationen bisher mindestens acht Menschen getötet und 120 zum Großteil schwer
verletzt worden, unter ihnen auch der ursprünglich als Präsidentschaftskandidat des
Movimiento de Resistencias vorgesehene Gewerkschafter Carlos H. Reyes und sein Kollege Juan
Barahona, der aber inzwischen wieder wohlauf ist. Außerdem gibt es auch zahlreiche
Verschwundene, deren Schicksal aufgrund der seit dem Putsch herrschenden Nachrichtensperre
bisher nicht aufgeklärt werden konnte.
Überhaupt haben es die Putschisten vor allem auf kritische Medien und unabhängige
Zeugen der Menschenrechtsverbrechen des Repressionsapparats abgesehen. Nachdem in den ersten
14 Tagen nach dem Putsch die relativ wenigen Medien, die nicht auf der Seite der Putschisten
standen, militärisch angegriffen wurden, vergnügten sich die Hintermänner
Michelettis in der Folge mit telefonischen Todesdrohungen und SMS wie: „Hör auf,
die Leute aufzuwiegeln, sonst kriegen wir dich und du wachst nicht mehr auf!” Einige
Journalisten glauben sogar, die Stimme des von den Putschisten eingesetzten
Generalstaatsanwalts persönlich erkannt zu haben.
"Wir sind ganz allein
— wie ein David gegen viele Goliaths”, entfährt es José Luís
Galdames von Radio Globo. Dieser unabhängigen Station ist es gelungen, die Schallmauer
dadurch zu durchbrechen, dass viele Menschen ihrem Aufruf Folge geleistet und sich um das
Funkhaus versammelt haben. Heute ist Radio Globo die wichtigste Informationsquelle von
Honduras, die auch im Internet fast zu jeder Tag- und Nachtzeit abrufbar ist
(www.radioglobohonduras.com).
"Was sich in Honduras
derzeit abspielt, ist nicht nur ein politisches Problem und nicht nur ein Problem der
Menschenrechte im klassischen Sinn. Es ist ein Klassenkampf”, analysiert François
Houtart, ein international bekannter Religionssoziologe und Mitglied des Internationalen Rats
des Weltsozialforums. Er hat an einer internationalen Menschenrechtsmission namhafter
Organisationen wie FIAN-International, CIDCA (ein renommiertes argentinisches Institut zur
Lebensmittelforschung), die Internationale Liga für Menschenrechte u.a. teilgenommen, die
inzwischen durch ihre Forderung aufhorchen ließ, die Putschisten vor den internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.
Tatsächlich
bestätigt ein Blick auf die Straßen von Honduras Houtarts Hypothese. Während es
sich bei den Mobilisierungen der weiß behemdeten Anhänger von Roberto Micheletti zum
überwiegenden Teil um Privatunternehmer und ihre Privatangestellten handelt, die sich
nicht genieren, die honduranischen Streitkräfte hochleben zu lassen, geben die
Anhänger des von den Militärs verschleppten Präsidenten Manuel Zelaya ein
wesentlich bunteres Bild ab: Männer mit Stoppelbart und Frauen mit ausgelaugten Jeans
schreien oft wild durcheinander, manche schwingen auch die rot-weiss-rote Fahne der Liberalen
Partei, der sowohl Zelaya als auch Micheletti angehören.
Viele der Demonstranten sind
Lehrer und Studierende, andere wieder Kleinbauern, die oft stundenlang, manchmal sogar
tagelang zu Fuß marschieren müssen, weil die Soldaten den Autobussen die Reifen
aufgeschlitzt haben. So etwas wie Ordnung kommt erst dann in ihre Reihen, wenn sie gemeinsam
den Schlachtruf des honduranischen Widerstands skandieren: „¡Queremos a Mel!”, was
soviel heißt wie: Wir wollen unseren Manuel (Zelaya) zurückhaben.
Wie bekannt, konnte Mel diesen immer massiver gewordenen Lockrufen nicht widerstehen und
tauchte in periodischen Abständen an der nikaraguanisch-honduranischen Grenze in Las
Manos auf. Mit seinem gemütlichen Schnauzbart und dem breitkrempigen, weißen
Sombrero ähnelt er eher einer mexikanischen Version von John Wayne als einem
Staatspräsidenten. Meist ist er von einem Schwarm von Journalisten umgeben, die ihm immer
wieder dieselben Fragen stellen: „Wann werden Sie nach Honduras zurückkehren? Was
hat Ihnen Hillary Clinton gesagt?"
Dabei scheint Zelaya eine
durchaus praktikable Strategie zu verfolgen: Einerseits will er durch seine Anwesenheit an der
Grenze erreichen, dass sich die Proteste im Landesinneren ausbreiten, andererseits versucht
er, mit den lokalen Militärkommandanten per Mobiltelefon Kontakt aufzunehmen. Ob es ihm
allerdings gelingen wird, diese noch vor den für Ende Oktober angesetzten Wahlen
umzustimmen, ist zweifelhaft.
Als ich Zelaya fragte, warum
er denn nicht auch mit seinen ehemaligen Parteigenossen rede, gab er mir zur Antwort:
„Drehen Sie sich doch um und sagen Sie selbst: Wer hat denn da auf der anderen Seite die
Macht: die Zivilen oder die Militärs?” Gleichsam als Antwort auf diese Frage wurde
ich kurz darauf von Militärs festgehalten und etwas unsanft über die Grenze nach
Nikaragua befördert; ich hatte dem bekannten honduranischen Bauernführer Rafael
Alegría mit meinem Auto geholfen, die zahlreichen Militärsperren zu passieren, die
ganz Honduras derzeit in einen kriegsähnlich Zustand versetzen.
Der Autor ist Journalist und
Anthropologe und nahm Ende Juli als Vertreter des Weltsozialforums an einer 17-köpfigen
Menschenrechtsmission in Honduras teil. Seine 20-minütige Videodokumentation
Mörderisches Honduras kann beim Südwind bestellt werden.
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