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Um die Zusammenfassung einmal an den Anfang zu stellen: Das hier ist ein deprimierendes
Buch. Nicht etwa, weil es seiner selbst gestellten Aufgabe nicht genüge, sondern weil es
die Ausweglosigkeit des afrikanischen Kontinents, insbesondere der 48 Länder südlich
der Sahara, so überzeugend darlegt — vielleicht überzeugender, als der Autor
beabsichtigte.
Jörg Goldberg, Jahrgang 1943 und promovierter
Ökonom, hat viele Jahre in über zwanzig schwarzafrikanischen Ländern als
wirtschafts- und sozialpolitischer Berater dortiger Regierungen gearbeitet.
Generalthema seines Buches ist
die Frage, womit die „afrikanische Ausnahme von der Regel kapitalistischer
Entwicklung” zu erklären ist. Wenngleich seine Annahme, „dass die von den
kapitalistischen Zentren dominierten Strukturen des Weltmarktes in anderen Teilen der
Peripherie eine eigenständige Entwicklung nicht ausschließen”,
möglicherweise etwas voreilig ist, ist Goldberg zweifellos zuzustimmen, wenn er betont,
dass die „afrikanische Ausnahme” nicht allein mit der strukturellen Ungleichheit
der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erklärt werden kann.
Diese „afrikanische
Ausnahme” mit ihrem in vielfacher Hinsicht besonders niedrigen Entwicklungsniveau ist
nicht zu leugnen. Was aber sind die Gründe für die gehemmte Entwicklung —
nicht zuletzt auch der sozialen und politischen Strukturen?
Zum einen führt der Autor
die besonders ungünstigen naturräumlichen Bedingungen des Kontinents an: Klima,
Bodenbeschaffung, Bevölkerungsdichte etc. Über diese sagt Goldberg: „Nach 80
Jahren Kolonialismus und fast vier Dekaden Unabhängigkeit gibt es zwar Kapital in Afrika,
aber keinen Kapitalismus. Die vorherrschenden sozialen Beziehungen sind wie die
Produktionslogiken noch immer nichtkapitalistisch. Afrika südlich der Sahara existiert in
einer kapitalistischen Welt, die die Lebenslage ihrer Bewohner bestimmt, aber es gehört
nicht zu ihr."
Zustimmend zitiert der Autor
John Lonsdale, demzufolge der bedeutendste Beitrag Afrikas zur Geschichte der Menschheit die
Kunst gewesen sei, ohne einen Staat friedlich zusammenzuleben. Doch das ist zu hinterfragen.
Es bedürfte in der Tat einer ungewöhnlichen Definition von „Staat”,
wollte man leugnen, dass auch das präkoloniale Afrika eine Vielzahl von Staaten aufwies
— im Sahelgürtel ebenso wie an der westafrikanischen Küste, im Kongo, im
ostafrikanischen Zwischenseegebiet oder in Südafrika — Staaten allerdings, deren
Grenzen und Zentren fast ausnahmslos nicht identisch mit den kolonialen und nachkolonialen
Gebilden waren. Aber wenn auch die theoretische Einordnung fragwürdig ist, legt der Autor
doch ausreichend Fakten vor, die die relative Besonderheit der afrikanischen Entwicklung
illustrieren.
Goldbergs Buch ist in vier Hauptkapitel gegliedert. Nach der positiv beantworteten Frage,
ob Afrika ein Sonderfall der Entwicklung sei, geht es im zweiten Kapitel um Afrikas Stellung
im Kapitalismus. Er weist auf die Rolle Afrikas im Weltmarkt hin, der für den Kontinent
so wichtig und für den Afrika mit Ausnahme einiger seiner Rohstoffe so unwichtig ist. Und
er beleuchtet das Problem der Flucht von Humankapital ("brain drain"), zusammen mit
der Auslandsverschuldung und der sogenannten „Entwicklungsfinanzierung.
Goldberg zeigt auf, wie die
Entwicklungsländer finanziell definitiv in die Krise gerieten, als die
Industrieländer, die USA an ihrer Spitze, zwecks Inflationsbekämpfung vor rund 20
Jahren eine Periode der Hochzinspolitik einleiteten; in Afrika hatte die Schuldenlast
verheerendere Auswirkungen als im Rest der Peripherie. Erst als offensichtlich wurde, dass die
hoch verschuldeten armen Länder (HIPC) trotz und auch wegen der ihnen von IWF und
Weltbank aufoktroyierten „Strukturanpassungsprogramme” ihre Schulden nicht
würden zurückzahlen können, erhöhte sich die offizielle Entwicklungshilfe
(ODA) deutlich.
Der Hinweis auf die
Strukturanpassungsprogramme der imperialistischen Finanzinstitutionen ist gerade jetzt in
einem anderen Zusammenhang wichtig, dem Goldberg sich im 3. Kapitel widmet. Allenthalben wird
es Mode, dass Repräsentanten der imperialistischen Mächte in Afrika „good
governance” anmahnen. Nicht, dass „good governance” in Afrika nennenswert
verbreitet wäre. Denn die Strukturanpassungspolitik hat den staatlichen Institutionen die
Möglichkeiten, überhaupt wirksam zu werden, beschnitten. Unter diesen Umständen
ist es nicht verwunderlich, dass für die Lösung praktisch aller Probleme des
täglichen Überlebenskampfes auf prästaatliche Sozialbindungen
zurückgegriffen wird. „Tribalismus”, jede Art von Klientelwesen und
umfassende Korruption sind hier die Stichworte.
Ein Staat, der nicht über die Werkzeuge verfügt, das Leben seiner Bürger zu
verbessern, kann auch von ihnen nicht ernstgenommen und gestützt werden. Die Antwort auf
diese Situation hängt auch mit gegebenen Voraussetzungen zusammen — so mit dem
weitgehenden Fehlen moderner Klassenbildung. In einem Kontinent, in dem es über die
Maßen freies Land gibt, ist die Lohnarbeit in der Landwirtschaft ebenso schwer
durchzusetzen wie eine Produktivitätssteigerung durch die Kleinbauern. Was die Rolle des
ethnischen Zusammengehörigkeitgefühls, auch „Tribalismus” genannt,
für die zahlreichen bewaffneten Konflikte in Afrika betrifft, so weist Goldberg darauf
hin, dass dieser „Tribalismus” zwar von den Beteiligten mobilisiert wird, aber
praktisch nie der wirkliche Grund für die Auseinandersetzungen ist. Dieser ist letztlich
im Kampf um die mageren wirtschaftlichen (landwirtschaftlichen) Ressourcen zu suchen, oder er
wird durch die Existenz nicht so magerer Ressourcen (Erdöl, Metalle und dergleichen)
verlängert — im letztgenannten Fall durchaus auch durch interessierte
transnationale Konzerne.
Goldberg fasst zusammen: „Ein schwacher Staat, ethnische und/oder regionale
Konfliktlagen und eine lokale und regionale Geschichte gewaltsamer Auseinandersetzungen
(Kolonialzeit, Apartheid) bilden den Hintergrund."
Das letzte Kapitel setzt sich
theoretisch mit dem Charakter der „afrikanischen Produktionsweise” auseinander.
Der Autor rekurriert hier auf die marxistische Diskussion über die sogenannte
„asiatische Produktionsweise” als die der ersten Klassengesellschaften
überhaupt. Gerade weil in Afrika die für diese Produktionsweise typische
ökonomische Funktion des Staates als Organisator von großen, für die
Gemeinschaft wichtigen, Arbeiten wie Bewässerungsanlagen fehlt, greift Goldberg den
Terminus der „afrikanischen Produktionsweise” auf. Diese sei gekennzeichnet durch
lokale Gemeinschaften, die kaum Mehrprodukt erzeugen, und andererseits Imperien, die auf
militärisch organisiertem Raub und der Kontrolle des Fernhandels basieren, und nur in
Ausnahmefällen auf der Abschöpfung des agrarischen Mehrprodukts.
Auch die nachkolonialen
Staaten basieren ökonomisch nicht in erster Linie auf der Abschöpfung des mageren
Mehrprodukts der bäuerlichen Bevölkerung, sondern auf den Einnahmen aus dem Export
von Cash crops und/oder von Rohstoffen wie Erdöl. Allerdings sind auch die Ansätze
für eine kommerzielle Landwirtschaft stecken geblieben, vor allem deshalb, weil bei einer
systematischen (nicht saisonalen) Anwendung von Lohnarbeit die Löhne zu hoch wären.
Versuche nachkolonialer
Regierungen, ihre Länder zu industrialisieren, waren nach Meinung Goldbergs, trotz aller
Probleme wie mangelnde Kapazität und mangelnde Kompetenz staatlicher Strukturen,
keineswegs von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber: „Unabhängig von der
Frage, ob die Kameruner (und andere afrikanischen) Eliten in der Lage gewesen wären, nach
Zahlung des Lehrgelds aus den Fehlern zu lernen und diese zu korrigieren: Dazu war keine Zeit
mehr. Der Rohstoffboom kam vor Ende der 70er Jahre zu einem abrupten Ende. Die kapitalistische
Weltwirtschaftskrise beendete die afrikanischen Modernisierungsexperimente durch sinkende
Rohstoffeinnahmen und steigende Zinsen. Der Versuch der Regierungen — darunter
derjenigen Kameruns —, die finanzielle Durststrecke durch kurzfristige
Kredite zu überbrücken, führte in die Schuldenkrise und damit die
Abhängigkeit von den internationalen Finanzinstitutionen.” Bis heute haben die
„terms of trade” zwischen Afrikas Exporten und Importen in die und aus den
Industrieländern nicht einmal das Niveau der 60er Jahre erreicht.
Angesichts der traditionellen
Unterentwicklung ist die Spaltung in die modernen Hauptklassen, Bourgeoisie und
Arbeiterklasse, in Afrika ungenügend ausgeprägt. Dem Staat kommt damit für die
Entwicklung eine überragende Rolle zu. Aber der Staat wird als „gewalttätiges
fremdes Monster” betrachtet, und man kann ihm aus dem Weg gehen — das ist laut
Goldberg ein Spezifikum afrikanischer Verhältnisse im Vergleich zu denen in anderen
Teilen der Peripherie. Die erwähnte Schwächung des Staates in seinen sozialen
Funktionen durch imperialistische Eingriffe wie die berüchtigten
Strukturanpassungsprogramme verschärft das Problem.
Goldberg behandelt zwei
Fälle angeblich erfolgreicher Entwicklung — Botswana und Südafrika —
etwas ausführlicher und zeigt, dass hier einmalige Voraussetzungen herrschen und die
Erfolge gleichwohl sehr begrenzt sind.
Da er — leider wohl
zutreffend — eine sozialistische Entwicklung auf absehbare Zeit nicht für
realistisch hält, aber offenbar den Leser auch nicht völlig entmutigt
zurücklassen möchte, widmet er sich relativ ausführlich allen möglichen
Diskussionen, die in — bürgerlichen — entwicklungspolitischen Kreisen
geführt werden. Die reale — negative — Entwicklung ist aber m.E. durch die
Kombination spezifisch afrikanischer Voraussetzungen und der Gesetzmäßigkeiten des
imperialistischen Kapitalismus festgeschrieben. Die notwendigen Fakten für diese
Überzeugung liefert der Autor in seinem unbedingt empfehlenswerten Buch selbst.
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