SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2009, Seite 15

Afrika im globalen Kapitalismus

Die Ausnahme von der Regel kapitalistischer Entwicklung

von Anton Holberg

Jörg Goldberg: Überleben im Goldland — Afrika im globalen Kapitalismus, Köln: PapyRossa, 2008, 249 S., 16,90 Euro

Um die Zusammenfassung einmal an den Anfang zu stellen: Das hier ist ein deprimierendes Buch. Nicht etwa, weil es seiner selbst gestellten Aufgabe nicht genüge, sondern weil es die Ausweglosigkeit des afrikanischen Kontinents, insbesondere der 48 Länder südlich der Sahara, so überzeugend darlegt — vielleicht überzeugender, als der Autor beabsichtigte.

Jörg Goldberg, Jahrgang 1943 und promovierter Ökonom, hat viele Jahre in über zwanzig schwarzafrikanischen Ländern als wirtschafts- und sozialpolitischer Berater dortiger Regierungen gearbeitet.
Generalthema seines Buches ist die Frage, womit die „afrikanische Ausnahme von der Regel kapitalistischer Entwicklung” zu erklären ist. Wenngleich seine Annahme, „dass die von den kapitalistischen Zentren dominierten Strukturen des Weltmarktes in anderen Teilen der Peripherie eine eigenständige Entwicklung nicht ausschließen”, möglicherweise etwas voreilig ist, ist Goldberg zweifellos zuzustimmen, wenn er betont, dass die „afrikanische Ausnahme” nicht allein mit der strukturellen Ungleichheit der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erklärt werden kann.
Diese „afrikanische Ausnahme” mit ihrem in vielfacher Hinsicht besonders niedrigen Entwicklungsniveau ist nicht zu leugnen. Was aber sind die Gründe für die gehemmte Entwicklung — nicht zuletzt auch der sozialen und politischen Strukturen?
Zum einen führt der Autor die besonders ungünstigen naturräumlichen Bedingungen des Kontinents an: Klima, Bodenbeschaffung, Bevölkerungsdichte etc. Über diese sagt Goldberg: „Nach 80 Jahren Kolonialismus und fast vier Dekaden Unabhängigkeit gibt es zwar Kapital in Afrika, aber keinen Kapitalismus. Die vorherrschenden sozialen Beziehungen sind wie die Produktionslogiken noch immer nichtkapitalistisch. Afrika südlich der Sahara existiert in einer kapitalistischen Welt, die die Lebenslage ihrer Bewohner bestimmt, aber es gehört nicht zu ihr."
Zustimmend zitiert der Autor John Lonsdale, demzufolge der bedeutendste Beitrag Afrikas zur Geschichte der Menschheit die Kunst gewesen sei, ohne einen Staat friedlich zusammenzuleben. Doch das ist zu hinterfragen. Es bedürfte in der Tat einer ungewöhnlichen Definition von „Staat”, wollte man leugnen, dass auch das präkoloniale Afrika eine Vielzahl von Staaten aufwies — im Sahelgürtel ebenso wie an der westafrikanischen Küste, im Kongo, im ostafrikanischen Zwischenseegebiet oder in Südafrika — Staaten allerdings, deren Grenzen und Zentren fast ausnahmslos nicht identisch mit den kolonialen und nachkolonialen Gebilden waren. Aber wenn auch die theoretische Einordnung fragwürdig ist, legt der Autor doch ausreichend Fakten vor, die die relative Besonderheit der afrikanischen Entwicklung illustrieren.

Afrikas Stellung im Weltmarkt

Goldbergs Buch ist in vier Hauptkapitel gegliedert. Nach der positiv beantworteten Frage, ob Afrika ein Sonderfall der Entwicklung sei, geht es im zweiten Kapitel um Afrikas Stellung im Kapitalismus. Er weist auf die Rolle Afrikas im Weltmarkt hin, der für den Kontinent so wichtig und für den Afrika mit Ausnahme einiger seiner Rohstoffe so unwichtig ist. Und er beleuchtet das Problem der Flucht von Humankapital ("brain drain"), zusammen mit der Auslandsverschuldung und der sogenannten „Entwicklungsfinanzierung.
Goldberg zeigt auf, wie die Entwicklungsländer finanziell definitiv in die Krise gerieten, als die Industrieländer, die USA an ihrer Spitze, zwecks Inflationsbekämpfung vor rund 20 Jahren eine Periode der Hochzinspolitik einleiteten; in Afrika hatte die Schuldenlast verheerendere Auswirkungen als im Rest der Peripherie. Erst als offensichtlich wurde, dass die hoch verschuldeten armen Länder (HIPC) trotz und auch wegen der ihnen von IWF und Weltbank aufoktroyierten „Strukturanpassungsprogramme” ihre Schulden nicht würden zurückzahlen können, erhöhte sich die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) deutlich.
Der Hinweis auf die Strukturanpassungsprogramme der imperialistischen Finanzinstitutionen ist gerade jetzt in einem anderen Zusammenhang wichtig, dem Goldberg sich im 3. Kapitel widmet. Allenthalben wird es Mode, dass Repräsentanten der imperialistischen Mächte in Afrika „good governance” anmahnen. Nicht, dass „good governance” in Afrika nennenswert verbreitet wäre. Denn die Strukturanpassungspolitik hat den staatlichen Institutionen die Möglichkeiten, überhaupt wirksam zu werden, beschnitten. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass für die Lösung praktisch aller Probleme des täglichen Überlebenskampfes auf prästaatliche Sozialbindungen zurückgegriffen wird. „Tribalismus”, jede Art von Klientelwesen und umfassende Korruption sind hier die Stichworte.

Der schwache Staat...

Ein Staat, der nicht über die Werkzeuge verfügt, das Leben seiner Bürger zu verbessern, kann auch von ihnen nicht ernstgenommen und gestützt werden. Die Antwort auf diese Situation hängt auch mit gegebenen Voraussetzungen zusammen — so mit dem weitgehenden Fehlen moderner Klassenbildung. In einem Kontinent, in dem es über die Maßen freies Land gibt, ist die Lohnarbeit in der Landwirtschaft ebenso schwer durchzusetzen wie eine Produktivitätssteigerung durch die Kleinbauern. Was die Rolle des ethnischen Zusammengehörigkeitgefühls, auch „Tribalismus” genannt, für die zahlreichen bewaffneten Konflikte in Afrika betrifft, so weist Goldberg darauf hin, dass dieser „Tribalismus” zwar von den Beteiligten mobilisiert wird, aber praktisch nie der wirkliche Grund für die Auseinandersetzungen ist. Dieser ist letztlich im Kampf um die mageren wirtschaftlichen (landwirtschaftlichen) Ressourcen zu suchen, oder er wird durch die Existenz nicht so magerer Ressourcen (Erdöl, Metalle und dergleichen) verlängert — im letztgenannten Fall durchaus auch durch interessierte transnationale Konzerne.

...und die afrikanische Produktionsweise

Goldberg fasst zusammen: „Ein schwacher Staat, ethnische und/oder regionale Konfliktlagen und eine lokale und regionale Geschichte gewaltsamer Auseinandersetzungen (Kolonialzeit, Apartheid) bilden den Hintergrund."
Das letzte Kapitel setzt sich theoretisch mit dem Charakter der „afrikanischen Produktionsweise” auseinander. Der Autor rekurriert hier auf die marxistische Diskussion über die sogenannte „asiatische Produktionsweise” als die der ersten Klassengesellschaften überhaupt. Gerade weil in Afrika die für diese Produktionsweise typische ökonomische Funktion des Staates als Organisator von großen, für die Gemeinschaft wichtigen, Arbeiten wie Bewässerungsanlagen fehlt, greift Goldberg den Terminus der „afrikanischen Produktionsweise” auf. Diese sei gekennzeichnet durch lokale Gemeinschaften, die kaum Mehrprodukt erzeugen, und andererseits Imperien, die auf militärisch organisiertem Raub und der Kontrolle des Fernhandels basieren, und nur in Ausnahmefällen auf der Abschöpfung des agrarischen Mehrprodukts.
Auch die nachkolonialen Staaten basieren ökonomisch nicht in erster Linie auf der Abschöpfung des mageren Mehrprodukts der bäuerlichen Bevölkerung, sondern auf den Einnahmen aus dem Export von Cash crops und/oder von Rohstoffen wie Erdöl. Allerdings sind auch die Ansätze für eine kommerzielle Landwirtschaft stecken geblieben, vor allem deshalb, weil bei einer systematischen (nicht saisonalen) Anwendung von Lohnarbeit die Löhne zu hoch wären.
Versuche nachkolonialer Regierungen, ihre Länder zu industrialisieren, waren nach Meinung Goldbergs, trotz aller Probleme wie mangelnde Kapazität und mangelnde Kompetenz staatlicher Strukturen, keineswegs von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber: „Unabhängig von der Frage, ob die Kameruner (und andere afrikanischen) Eliten in der Lage gewesen wären, nach Zahlung des Lehrgelds aus den Fehlern zu lernen und diese zu korrigieren: Dazu war keine Zeit mehr. Der Rohstoffboom kam vor Ende der 70er Jahre zu einem abrupten Ende. Die kapitalistische Weltwirtschaftskrise beendete die afrikanischen Modernisierungsexperimente durch sinkende Rohstoffeinnahmen und steigende Zinsen. Der Versuch der Regierungen — darunter derjenigen Kameruns —, die finanzielle ‘Durststrecke‘ durch kurzfristige Kredite zu überbrücken, führte in die Schuldenkrise und damit die Abhängigkeit von den internationalen Finanzinstitutionen.” Bis heute haben die „terms of trade” zwischen Afrikas Exporten und Importen in die und aus den Industrieländern nicht einmal das Niveau der 60er Jahre erreicht.
Angesichts der traditionellen Unterentwicklung ist die Spaltung in die modernen Hauptklassen, Bourgeoisie und Arbeiterklasse, in Afrika ungenügend ausgeprägt. Dem Staat kommt damit für die Entwicklung eine überragende Rolle zu. Aber der Staat wird als „gewalttätiges fremdes Monster” betrachtet, und man kann ihm aus dem Weg gehen — das ist laut Goldberg ein Spezifikum afrikanischer Verhältnisse im Vergleich zu denen in anderen Teilen der Peripherie. Die erwähnte Schwächung des Staates in seinen sozialen Funktionen durch imperialistische Eingriffe wie die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme verschärft das Problem.
Goldberg behandelt zwei Fälle angeblich erfolgreicher Entwicklung — Botswana und Südafrika — etwas ausführlicher und zeigt, dass hier einmalige Voraussetzungen herrschen und die Erfolge gleichwohl sehr begrenzt sind.
Da er — leider wohl zutreffend — eine sozialistische Entwicklung auf absehbare Zeit nicht für realistisch hält, aber offenbar den Leser auch nicht völlig entmutigt zurücklassen möchte, widmet er sich relativ ausführlich allen möglichen Diskussionen, die in — bürgerlichen — entwicklungspolitischen Kreisen geführt werden. Die reale — negative — Entwicklung ist aber m.E. durch die Kombination spezifisch afrikanischer Voraussetzungen und der Gesetzmäßigkeiten des imperialistischen Kapitalismus festgeschrieben. Die notwendigen Fakten für diese Überzeugung liefert der Autor in seinem unbedingt empfehlenswerten Buch selbst.


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