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Die Republik trauert. Sie trauert um ihre Innenstädte. Denn die
Innenstädte starben mit den großen Kaufhäusern — allen voran den ruhmreichen
Konsumtempeln von Karstadt und seinen Töchtern. Seit Monaten wird uns diese Botschaft von den
Menschen vermittelt, denen der Verlust ihrer Jobs beim Handelsriesen Arcandor droht.
Es wird behauptet, „die”
Innenstadt sei genuin mit dem warenförmigen Konsum verknüpft und anders nicht denkbar.
Bevor wir dem nachgehen, sei hier kurz die krisenhafte Entwicklung der großen Kaufhäuser
nachgezeichnet und auch ein Licht auf den offensichtlich potenten Nachfolger geworfen: die
vollintegrierte Shopping Mall. So viel sei an dieser Stelle aber bereits verraten: Wir sind durchaus
nicht der Meinung, dass „Innenstädte” nur als kapitalistische Konsumtionszone
denkbar sind — vorausgesetzt, wir können uns auf ein gemeinsames Bild von ihnen
verständigen. Vielmehr sind wir davon überzeugt, dass genau diese armselige Zuweisung
überwunden werden muss, um eine im eigentlichen Sinne menschengerechte Zukunft unserer Zentren
zu ermöglichen.
Die zu KarstadtQuelle (seit 2007 Arcandor) gehörenden Unternehmen beschäftigten vor gar
nicht allzu langer Zeit 100000 Menschen in großenteils gar nicht so schlechten Jobs.
Spätestens seit der Ära Middelhoff befindet sich das Unternehmen jedoch in forcierter
Selbstauflösung — mit massivem Stellenabbau und dem Verlust von regulären
Vollzeitarbeitsplätzen zu auskömmlichen Bedingungen; derzeit gibt es bei Karstadt noch
Stellen im Umfang von 28000 Vollzeitäquivalenten.
Nicht zuletzt auf Betreiben der
Großaktionärin Schickedanz, die sich nach eigenen Angaben schon auf dem Weg in Hartz IV
sieht, übernahm Middelhoff 2005 als Vorstandsvorsitzender den Laden, um ihn alsbald so richtig
vor die Wand zu fahren; dafür hat er sich mit gelungenen Immobiliendeals eine goldene Nase
verdient. Unter Middelhoff verkaufte Karstadt große Teile seiner Immobilienbestände an
Goldman Sachs (und hier an den Immobilienfonds Whitehall), um selber gewissermaßen Mieter im
eigenen Haus zu sein. Dafür (und für weitere angemietete Immobilien) müssen derzeit
monatlich Mietzahlungen in Höhe von 23 Mio. Euro aufgebracht werden — nicht zuletzt zum
Vorteil der Anteilseigner Middelhoff und Schickedanz.
Im Zweifelsfalle reicht das, um die
Profitabilität eines Unternehmens — und damit seine Existenzberechtigung unter den
aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen — über den Haufen zu werfen. Das zeigt das
Beispiel des ehemals selbständigen, dann von Karstadt aufgekauften und schließlich wieder
in die Unabhängigkeit entlassenen Traditionsunternehmens Hertie: Es konnte die Mietzahlungen an
seinen neuen Eigentümer Dawnay Day nicht mehr aufbringen und ist deshalb verschwunden, dabei
5000 Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassend. Über die Zukunft von Wehmeyer (1000
Beschäftigte) und SinnLeffers (über 4000 Beschäftigte), zwei weitere ehemalige
Karstadt-Töchter, ist noch nicht abschließend entschieden, man muss aber schon sehr
optimistisch sein, um etwas Besseres als eine geordnete Insolvenz zu erwarten.
Es wäre jedoch falsch, die
Schuld an der Pleite einzelnen Personen wie Middelhoff oder Schickedanz anzulasten. Die Pleite hat
sich schon längst vorher angekündigt, die vielen Umstrukturierungen, Käufe und
Verkäufe waren nicht zuletzt der Versuch, den Moloch KarstadtQuelle in einem schwierigen Umfeld
profitabel zu halten. Auch beim Hauptkonkurrenten Metro gibt es Probleme zuhauf, obwohl er sich
momentan benimmt, als stünde dort alles zum Besten, und großzügig noch die
Übernahme von Karstadt und die Fusion mit Kaufhof anbietet — nationalbewusst zur
„Deutsche Warenhaus AG” umetikettiert, mit erahnbaren Auswirkungen auf die
Arbeitsplätze. Die Tochter „real” war bis vor kurzem erheblich defizitär,
selbst die Namen gebende Großmarktkette hat schon bessere Zeiten gesehen und steht
gegenwärtig vor einem grundsätzlichen Umbau. Aber auch die hauseigene Kaufhauskette
Kaufhof mit ihren Premium-Großkaufhäusern Galeria Kaufhof, einschließlich der vor
einigen Jahren einverleibten Kette Horten, ist immer wieder für Schreckensmeldungen gut. Allein
die beiden marktdominierenden Elektronikketten MediaMarkt und Saturn sind hochprofitabel —
sehr zum Nachteil anderer Anbieter, die inzwischen nur noch Nischen besetzen.
Nur einigen wenigen Nischenanbietern innerhalb der Handelssparte des Arcandor-Konzerns scheint es
vorübergehend zu gelingen, profitabel zu arbeiten; dazu gehören z.B. Runners Point,
Starbucks und die Luxuskaufhäuser KaDeWe, Alsterhaus, ggf. Wertheim und Oberpollinger. Das
zeigt, wohin die Reise geht. Abgesehen von einzelnen „Metropolanbietern” in den
größten Städten sind nicht mehr die großen Kaufhäuser die Magneten der
Städte, sondern die bunten Malls, in denen einzelne Großkaufhäuser wohl noch die
Aufgabe des Attraktors übernehmen, dabei aber umfangreich flankiert werden von einer Vielzahl
von Klein- und Mittelflächenanbietern, die sehr viel direkter und flexibler auf sich
ändernde Nachfragestrukturen eingehen können. Selbst innerhalb eines großen
Kaufhauses setzt sich der Anbietermix durch: In der im regionalen Vergleich immer noch
größten Shopping Mall „Rhein-Ruhr-Zentrum” in Mülheim/Ruhr hat Karstadt
schon vor einem halben Jahrzehnt das Konzept des Boutique-Kaufhauses umgesetzt, in dem Karstadt zwar
noch relativ die größte Fläche besetzt, aber von vielen kleinen Fachanbietern, die
nicht selten zur Konzernfamilie gehören, kohärent gestützt wird. Für die neue,
noch in Entwicklung befindliche Essener Shopping Mall „Limbecker Platz” in der
Innenstadt wurde im Jahr 2006 das Traditionshaus der Vorgängergesellschaft
„Althoff” aus dem Jahr 1911 nach beinahe 100 Jahren gesprengt. Die neue Shopping Mall
funktioniert nach demselben Prinzip: Karstadt ist Hauptmieter, daneben fungieren viele Kleinanbieter
als buntes Panoptikum zur Attraktivitätssteigerung, plus ein oder zwei Großanbieter
— in diesem Fall mit Saturn sogar ein Zugpferd des Hauptkonkurrenten Metro, außerdem
C&A sowie Karstadt Sports.
Wurden bis in die 80er Jahre hinein
neue Shopping-Malls — weniger anheimelnd auch Einkaufszentren genannt — in den
allermeisten Fällen in nicht-integrierter Lage „auf der grünen Wiese” für
den mit dem Auto anreisenden Konsumenten errichtet, hat sich dies in der jüngeren Zeit
erkennbar geändert. In allen größeren Städten des Rhein-Ruhr-Raums — und
selbstverständlich nicht nur da — werden in bester Innenstadtlage neue Konsumtempel
errichtet, häufig mit einem der beiden Platzhirsche Karstadt oder Kaufhof als Hauptmieter.
Diese neuen Großkaufhäuser in integrierter Lage erhalten ihre Attraktivität über
ihre Angebotsbreite: Von einem oder zwei Großanbietern angeschoben, bieten etliche Filialisten
ihre Produkte an, die sich meist auf Oberbekleidung und Schuhe konzentrieren. Ihren Thrill bekommen
die Malls aber erst durch die Exoten, die auf sich allein gestellt nicht in der Lage wären,
sich den Standort zu leisten. Erst über die Mischkalkulation des Mallbetreibers (z.B. die
Hamburger Gruppe ECE oder die Essener mfi) rechnet sich ein Zooladen, ein Heimwerker-, Tiffany- oder
Teddybärladen oder eine Fahrradreparaturwerkstatt. Hinzu kommen Angebote, die aus einem
Einkaufszentrum ein Urban Entertainment Center machen: Restaurants unterschiedlicher Qualität,
aber mit erkennbarem Schwerpunkt auf „familienfreundlichem” Fast Food, Multiplex-Kinos
und anderen Freizeiteinrichtungen wie Bowling-Bahnen oder Karaoke-Bars. Alle zusammen verfolgen das
Ziel, die Flächenproduktivität über die Ausdehnung der zeitlichen Nutzung hinaus zu
erhöhen. Damit ist zugleich das Kernproblem des Einzelhandels in Deutschland benannt: die
fortwährend sinkende Flächenproduktivität wegen der steigenden Verkaufsflächen
bei stagnierender aggregierter Kaufkraft. Sie führt tendenziell zu einem Wettbewerbsvorteil der
großen Ketten, die ihre Produkte in konfektionierten Filialen anbieten und aufgrund
„günstigerer” Produktions- und Vertriebsbedingungen einen höheren Mehrwert
realisieren und so in der Lage sind, die besten Lagen zu besetzen — und auch das Gesicht der
Malls bestimmen.
Was wir hier haben, ist nicht weniger als die Inszenierung dessen, was die meisten Menschen unter
„Innenstadt” verstehen, bzw. wie sich die Mehrheit der Nutzer diese wünschen:
klimatisch geschützt, im Modalmix bestens erreichbar, bunt und kontrolliert, d.h. frei von
unerwünschten Eindrücken und Personen. Tatsächlich haben viele Städte
längst begonnen, für ihre Innenstädte (hier: die nicht überdachten und nicht
integrierten Einkaufsmeilen) Sondernutzungserlasse zu verabschieden, die es möglich machen,
Platzverbote auszusprechen. Menschen, die das Einkaufsvergnügen konsumwilliger und vor allem
konsumfähiger Geldbörsen stören könnten, dürfen „des Platzes
verwiesen” werden — gerne auch von sog. Ordnungspartnerschaften, also privat bestellten
Wachdiensten. Die Ausrichtung der Innenstädte allein auf den privatwirtschaftlich organisierten
Handel führt zunehmend zur Kommerzialisierung und damit Privatisierung öffentlicher
Räume, und auch zu deren Konfektionierung.
Unsere ehemals Identität
stiftenden Innenstädte verlieren weitgehend ihr Gesicht; es ist heute grundsätzlich egal,
in welcher Innenstadt ich mich befinde, überall finde ich die immergleichen Anbieter
immergleicher Waren. Es verwundert daher auch nicht, wenn Städte versuchen, ihrer selbst
hergestellten Austauschbarkeit durch eine nicht enden wollende „Politik der
Festivalisierung” zu entgehen und den Innenstädten doch wieder so etwas wie ein genuines
Leben einzuhauchen — vergeblich.
Menschen, die in Innenstädten ihr Geld ausgeben sollen, entscheiden sich — vor die
Wahl gestellt, Innenstädte oder Shopping Malls aufzusuchen — mehr und mehr für das
Original. Das nimmt nicht wunder. Feuilletonistisch vorgebrachte Kulturkritik ereifert sich zwar
über die Niveaulosigkeit der Malls. Aber es muss doch gesagt werden, dass der
„lebensstiladäquate Einkauf"("Du bist, was und wie du konsumierst") seine
Heimstatt in der Shopping Mall, im Urban Entertainment Center, hat. Dort gibt es die
„urbane” (in Wirklichkeit: urbane Motive bemühende) Bühne, die offensichtlich
profitabel ist.
Darüber ließe sich klagen.
In einer warenproduzierenden Gesellschaft aber ist die Klage gegenstandslos. Deshalb möchten
wir mit einem Plädoyer schließen: Gebt den Menschen ihre Shopping Mall. Und gebt den
Innenstädten wieder die Chance, zu sich selbst zu kommen. Befreit sie vom ökonomischen
Druck, höchste Profitraten zu erzielen. Baut hoch verdichtete geschlossene Malls mit allen
korrespondierenden Einrichtungen, schließt sie ans öffentliche Verkehrsnetz an, baut sie
also auf brach fallendem innerstädtischem Gebiet. Aber erhöht die Nutzungskomplexität
der restlichen Innenstadt. In den oberen Geschossen der Häuser an den Fußgängerzonen
lassen sich nämlich nicht nur Waren lagern, es lässt sich dort auch gut wohnen und leben.
Menschen, die momentan in den Innenstädten lediglich ihrer Konsumlust nachkommen, könnten
dann dort auch wieder wohnen, was sie momentan nicht tun, weil es schlechterdings angesichts der
„Unwirtlichkeit unserer Innenstädte” nicht möglich ist. Reißt solche
Häuser ab, die nur der Profitorientierung wegen noch stehen und den modernen Anforderungen
nicht mehr genügen. Baut attraktive Wohnungen und kleidet sie in grüne Parks, die für
alle da sind. Das ist das Gebot einer schrumpfenden Gesellschaft. Stadtentwicklung hat früher
einmal bedeutet: Berücksichtigung der unterschiedlichen Wohn-, Arbeits- und Lebenswünsche
einer zunehmend heterogenen Bevölkerung. Im Grundsatz tut es dies noch immer, wenn auch auf
zunehmend prekärem Grund. Es geht um die Gestaltung unterschiedlicher Milieuräume sowie um
die Schaffung von Möglichkeitsräumen. Innenstädte, die dem profitorientierten
Warenumschlag vorbehalten sind, können dazu nichts beitragen; von diesem Zwang befreit aber
haben sie das historisch unter Beweis gestellte Potenzial; wir müssen es reklamieren.
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